Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen. stellt das Ges. v. 9. Juni 1871 den Kaiser als den eigentlichenGesetzgeber hin. Dieser Unterschied ist kein bloß theoretischer und formeller. 1) Bei den Berathungen des Gesetzes vom 9. Juni 1871 im Deutschen
Reichstage traten in dieser Hinsicht sehr verschiedene Ansichten hervor. Von einigen Rednern wurde die Auffassung zur Geltung gebracht, daß der Kaiser bei der Gesetzgebung für Els.-Lothringen dem Bundesrathe gegenüber dieselbe Stellung habe, wie sie ihm nach Art. 5 der R.-V. zukomme. So namentlich in den Berathungen der Kommission v. Mittnacht, und in der Sitzung des Reichstages v. 20. Mai 1871 die Abgeordneten Wagner und Windthorst (Stenogr. Ber. S. 820. 822). Von anderer Seite wurde die ausdrückliche Anerkennung des kaiserlichen Veto in dem Gesetze gewünscht, insbesondere von den Abgeordneten v. Treitschke und v. Kardorff (Stenogr. Ber. S. 817. 844). Minister Delbrück und Andere machten dagegen geltend, daß es dem Einfluß der Kaiserl. Regierung ohnedies gelingen würde, die Mehrheit im Bundesrathe in wichtigen Fragen zu erlangen. Mit vorzüglicher Klarheit führte indessen der Abgeordnete Lasker aus, daß die Stellung des Kaisers im Reichslande, wie sie durch das Einverleibungsgesetz begründet werden sollte, eine wesentlich andere sei wie die Stellung des Kaisers als Bundespräsidium nach der Reichsverf. (Stenogr. Berichte S. 827. 828). Den hier in Betracht kommenden Satz sprach endlich auf das Bestimmteste Fürst Bismarck aus, indem er erklärte, er könne als Reichskanzler im Bundesrathe "nicht majorisirt werden, ohne Zustimmung des Kaisers ist kein Gesetz möglich." (Stenogr. Berichte S. 924.) -- Die Frage ist seit Einf. der Reichsverfassung in Elsaß- Lothringen ohne praktische politische Bedeutung, und nur staatsrechtlich von Interesse. §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. ſtellt das Geſ. v. 9. Juni 1871 den Kaiſer als den eigentlichenGeſetzgeber hin. Dieſer Unterſchied iſt kein bloß theoretiſcher und formeller. 1) Bei den Berathungen des Geſetzes vom 9. Juni 1871 im Deutſchen
Reichstage traten in dieſer Hinſicht ſehr verſchiedene Anſichten hervor. Von einigen Rednern wurde die Auffaſſung zur Geltung gebracht, daß der Kaiſer bei der Geſetzgebung für Elſ.-Lothringen dem Bundesrathe gegenüber dieſelbe Stellung habe, wie ſie ihm nach Art. 5 der R.-V. zukomme. So namentlich in den Berathungen der Kommiſſion v. Mittnacht, und in der Sitzung des Reichstages v. 20. Mai 1871 die Abgeordneten Wagner und Windthorſt (Stenogr. Ber. S. 820. 822). Von anderer Seite wurde die ausdrückliche Anerkennung des kaiſerlichen Veto in dem Geſetze gewünſcht, insbeſondere von den Abgeordneten v. Treitſchke und v. Kardorff (Stenogr. Ber. S. 817. 844). Miniſter Delbrück und Andere machten dagegen geltend, daß es dem Einfluß der Kaiſerl. Regierung ohnedies gelingen würde, die Mehrheit im Bundesrathe in wichtigen Fragen zu erlangen. Mit vorzüglicher Klarheit führte indeſſen der Abgeordnete Lasker aus, daß die Stellung des Kaiſers im Reichslande, wie ſie durch das Einverleibungsgeſetz begründet werden ſollte, eine weſentlich andere ſei wie die Stellung des Kaiſers als Bundespräſidium nach der Reichsverf. (Stenogr. Berichte S. 827. 828). Den hier in Betracht kommenden Satz ſprach endlich auf das Beſtimmteſte Fürſt Bismarck aus, indem er erklärte, er könne als Reichskanzler im Bundesrathe „nicht majoriſirt werden, ohne Zuſtimmung des Kaiſers iſt kein Geſetz möglich.“ (Stenogr. Berichte S. 924.) — Die Frage iſt ſeit Einf. der Reichsverfaſſung in Elſaß- Lothringen ohne praktiſche politiſche Bedeutung, und nur ſtaatsrechtlich von Intereſſe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0142" n="128"/><fw place="top" type="header">§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.</fw><lb/> ſtellt das Geſ. v. 9. 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§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.
ſtellt das Geſ. v. 9. Juni 1871 den Kaiſer als den eigentlichen
Geſetzgeber hin.
Dieſer Unterſchied iſt kein bloß theoretiſcher und formeller.
Zwar kann der Kaiſer kein Geſetz für Elſaß-Lothringen erlaſſen
ohne Zuſtimmung des Bundesrathes; während aber der Kaiſer
nach der Reichsverfaſſung verpflichtet iſt, ein vom Bundesrath ord-
nungsmäßig beſchloſſenes Geſetz zu promulgiren, ohne daß ihm
ein Veto zuſteht, hat er für Elſaß-Lothringen die freie Entſchei-
dung darüber, ob er dem vom Bundesrath beſchloſſenen Geſetze
ſein Placet ertheilen wolle oder nicht 1). Der Kaiſer kann nicht
majoriſirt werden; ja ſelbſt, wenn die Preußiſchen Stimmen im
Bundesrath für einen Geſetzentwurf abgegeben worden ſind, kann
der Kaiſer — wenn er z. B. durch Berichte aus dem Reichslande
die Ueberzeugung von der Unzweckmäßigkeit des Geſetzentwurfs
gewinnt — die Genehmigung deſſelben verweigern. Die Beſchlnß-
faſſung des Bundesrathes über ein elſaß-lothring. Geſetz iſt
an ſich ohne Rechtswirkung; ſie iſt eine bloße Vorbedingung für
den Erlaß eines kaiſerlichen Geſetzes. Die Beſchlußfaſſung des
1) Bei den Berathungen des Geſetzes vom 9. Juni 1871 im Deutſchen
Reichstage traten in dieſer Hinſicht ſehr verſchiedene Anſichten hervor. Von
einigen Rednern wurde die Auffaſſung zur Geltung gebracht, daß der Kaiſer
bei der Geſetzgebung für Elſ.-Lothringen dem Bundesrathe gegenüber dieſelbe
Stellung habe, wie ſie ihm nach Art. 5 der R.-V. zukomme. So namentlich
in den Berathungen der Kommiſſion v. Mittnacht, und in der Sitzung des
Reichstages v. 20. Mai 1871 die Abgeordneten Wagner und Windthorſt
(Stenogr. Ber. S. 820. 822). Von anderer Seite wurde die ausdrückliche
Anerkennung des kaiſerlichen Veto in dem Geſetze gewünſcht, insbeſondere von
den Abgeordneten v. Treitſchke und v. Kardorff (Stenogr. Ber. S. 817.
844). Miniſter Delbrück und Andere machten dagegen geltend, daß es dem
Einfluß der Kaiſerl. Regierung ohnedies gelingen würde, die Mehrheit im
Bundesrathe in wichtigen Fragen zu erlangen. Mit vorzüglicher Klarheit
führte indeſſen der Abgeordnete Lasker aus, daß die Stellung des Kaiſers
im Reichslande, wie ſie durch das Einverleibungsgeſetz begründet werden ſollte,
eine weſentlich andere ſei wie die Stellung des Kaiſers als Bundespräſidium
nach der Reichsverf. (Stenogr. Berichte S. 827. 828). Den hier in Betracht
kommenden Satz ſprach endlich auf das Beſtimmteſte Fürſt Bismarck aus,
indem er erklärte, er könne als Reichskanzler im Bundesrathe „nicht majoriſirt
werden, ohne Zuſtimmung des Kaiſers iſt kein Geſetz möglich.“ (Stenogr.
Berichte S. 924.) — Die Frage iſt ſeit Einf. der Reichsverfaſſung in Elſaß-
Lothringen ohne praktiſche politiſche Bedeutung, und nur ſtaatsrechtlich von
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