Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 61. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung. der ausschließlichen Gesetzgebung der Einzelstaaten überlassen ist,beschränkt werden durch ein nach den Vorschriften des Art. 78 Abs. 1 und event. Art. 78 Abs. 2 der R.-V. zu Stande gekomme- nes Reichsgesetz. 4. Es entsteht nun die Frage, ob Behörden der Einzelstaaten, Hier ist zunächst die Einmengung eines unrichtigen Gesichts- 1) Vgl. Hiersemenzel II. S. 282. v. Holtzendorff, Reichs-
strafr. und Landesstrafr. S. 16 (Allgem. Deutsche Strafrechtszeitung 1871). Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 247. §. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung. der ausſchließlichen Geſetzgebung der Einzelſtaaten überlaſſen iſt,beſchränkt werden durch ein nach den Vorſchriften des Art. 78 Abſ. 1 und event. Art. 78 Abſ. 2 der R.-V. zu Stande gekomme- nes Reichsgeſetz. 4. Es entſteht nun die Frage, ob Behörden der Einzelſtaaten, Hier iſt zunächſt die Einmengung eines unrichtigen Geſichts- 1) Vgl. Hierſemenzel II. S. 282. v. Holtzendorff, Reichs-
ſtrafr. und Landesſtrafr. S. 16 (Allgem. Deutſche Strafrechtszeitung 1871). Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 247. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0132" n="118"/><fw place="top" type="header">§. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung.</fw><lb/> der ausſchließlichen Geſetzgebung der Einzelſtaaten überlaſſen iſt,<lb/> beſchränkt werden durch ein nach den Vorſchriften des Art. 78<lb/> Abſ. 1 und event. Art. 78 Abſ. 2 der R.-V. zu Stande gekomme-<lb/> nes Reichsgeſetz.</p><lb/> <p>4. Es entſteht nun die Frage, ob Behörden der Einzelſtaaten,<lb/> richterliche oder Verwaltungs-Behörden, befugt und verpflichtet<lb/> ſind, die Zuläſſigkeit eines Landesgeſetzes oder einer landesherr-<lb/> lichen Verordnung gegenüber einem Reichsgeſetz zu prüfen, oder<lb/> ob es dem Reiche überlaſſen bleiben muß, kraft der ihm nach<lb/> Art. 4 und Art. 17 zuſtehenden „Beaufſichtigung“ und „Ueber-<lb/> wachung“ dafür Sorge zu tragen, daß die Einzelſtaaten Anordnun-<lb/> gen zurücknehmen, zu deren Erlaß ſie der Reichsgeſetzgebung gegen-<lb/> über nicht befugt waren.</p><lb/> <p>Hier iſt zunächſt die Einmengung eines unrichtigen Geſichts-<lb/> punktes abzuweiſen; nämlich die Berückſichtigung landesgeſetzlicher<lb/> Vorſchriften über das Recht der Behörden, die Rechtsgültigkeit<lb/> gehörig verkündeter landesherrlicher Geſetze oder Verordnungen zu<lb/> prüfen, wie ſie z. B. die Preuß. Verf.-Urk. Art. 106 aufſtellt.<lb/> Dieſe Vorſchriften beziehen ſich nicht auf das Verhältniß der vom<lb/> Einzelſtaat angeordneten Rechtsſätze zu den von einer <hi rendition="#g">überge-<lb/> ordneten</hi> Gewalt ausgehenden Anordnungen, ſondern auf die<lb/> Bethätigung der Geſetzgebungs-Befugniß <hi rendition="#g">innerhalb</hi> der Macht-<lb/> ſphäre des Einzelſtaats. Entſtanden ſind dieſe Anordnungen zu<lb/> einer Zeit, als den Einzelſtaaten die ſouveraine Geſetzgebungs-<lb/> gewalt zuſtand; anwendbar geblieben ſind ſie ſeit Gründung des<lb/> Reiches (Nordd. Bundes) nur auf die den Einzelſtaaten verbliebene<lb/> Autonomie <note place="foot" n="1)">Vgl. <hi rendition="#g">Hierſemenzel</hi> <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 282. v. <hi rendition="#g">Holtzendorff</hi>, Reichs-<lb/> ſtrafr. und Landesſtrafr. S. 16 (Allgem. Deutſche Strafrechtszeitung 1871).<lb/><hi rendition="#g">Schulze</hi>, Preuß. Staatsr. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 247.</note>. So weit die Einzelſtaaten noch das Recht der Ge-<lb/> ſetzgebung haben, ſo weit behalten auch dieſe Vorſchriften unge-<lb/> ſchmälert ihre Kraft; ob aber die Einzelſtaaten überhaupt über<lb/> einen gewiſſen Punkt noch Geſetze zu geben befugt ſind, iſt eine<lb/> Frage, welche von jenen Vorſchriften völlig unberührt bleibt. Das<lb/> Verhältniß, in welchem die Organe der einzelnen Staaten in Be-<lb/> ziehung auf die Geſetzgebung zu einander ſtehen, kann durch Geſetz<lb/> jedes einzelnen Staates normirt werden; das Verhältniß dagegen<lb/> der Staatsgewalt des Einzelſtaats zur Reichsgewalt hinſichtlich der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0132]
§. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung.
der ausſchließlichen Geſetzgebung der Einzelſtaaten überlaſſen iſt,
beſchränkt werden durch ein nach den Vorſchriften des Art. 78
Abſ. 1 und event. Art. 78 Abſ. 2 der R.-V. zu Stande gekomme-
nes Reichsgeſetz.
4. Es entſteht nun die Frage, ob Behörden der Einzelſtaaten,
richterliche oder Verwaltungs-Behörden, befugt und verpflichtet
ſind, die Zuläſſigkeit eines Landesgeſetzes oder einer landesherr-
lichen Verordnung gegenüber einem Reichsgeſetz zu prüfen, oder
ob es dem Reiche überlaſſen bleiben muß, kraft der ihm nach
Art. 4 und Art. 17 zuſtehenden „Beaufſichtigung“ und „Ueber-
wachung“ dafür Sorge zu tragen, daß die Einzelſtaaten Anordnun-
gen zurücknehmen, zu deren Erlaß ſie der Reichsgeſetzgebung gegen-
über nicht befugt waren.
Hier iſt zunächſt die Einmengung eines unrichtigen Geſichts-
punktes abzuweiſen; nämlich die Berückſichtigung landesgeſetzlicher
Vorſchriften über das Recht der Behörden, die Rechtsgültigkeit
gehörig verkündeter landesherrlicher Geſetze oder Verordnungen zu
prüfen, wie ſie z. B. die Preuß. Verf.-Urk. Art. 106 aufſtellt.
Dieſe Vorſchriften beziehen ſich nicht auf das Verhältniß der vom
Einzelſtaat angeordneten Rechtsſätze zu den von einer überge-
ordneten Gewalt ausgehenden Anordnungen, ſondern auf die
Bethätigung der Geſetzgebungs-Befugniß innerhalb der Macht-
ſphäre des Einzelſtaats. Entſtanden ſind dieſe Anordnungen zu
einer Zeit, als den Einzelſtaaten die ſouveraine Geſetzgebungs-
gewalt zuſtand; anwendbar geblieben ſind ſie ſeit Gründung des
Reiches (Nordd. Bundes) nur auf die den Einzelſtaaten verbliebene
Autonomie 1). So weit die Einzelſtaaten noch das Recht der Ge-
ſetzgebung haben, ſo weit behalten auch dieſe Vorſchriften unge-
ſchmälert ihre Kraft; ob aber die Einzelſtaaten überhaupt über
einen gewiſſen Punkt noch Geſetze zu geben befugt ſind, iſt eine
Frage, welche von jenen Vorſchriften völlig unberührt bleibt. Das
Verhältniß, in welchem die Organe der einzelnen Staaten in Be-
ziehung auf die Geſetzgebung zu einander ſtehen, kann durch Geſetz
jedes einzelnen Staates normirt werden; das Verhältniß dagegen
der Staatsgewalt des Einzelſtaats zur Reichsgewalt hinſichtlich der
1) Vgl. Hierſemenzel II. S. 282. v. Holtzendorff, Reichs-
ſtrafr. und Landesſtrafr. S. 16 (Allgem. Deutſche Strafrechtszeitung 1871).
Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 247.
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