Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 61. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung. Nur wenn ein Reichsgesetz ausdrücklich die Einzelstaaten er- Außerdem kann das Reichsgesetz die Veranlassung bieten, c) Landesgesetze, welche Rechtsvorschriften, die mit einem D. R. S. 187 soll allerdings den Landes-Regierungen "eine gewissermaßen gutachtliche Publikation (!) über die derogirende Wirksamkeit eines Reichsgesetzes zustehen." 1) Den entgegengesetzten Grundsatz hat das Hamburg. Obergericht in
zwei Erkenntnissen, welche in der Allgem. Deutsch. Strafrechtszeitung Bd. X. (1870) S. 265 ff. mitgetheilt sind, zur Geltung gebracht. Vgl. über die Un- richtigkeit dieser Urtheile Belmonte a. a. O. und John ebenda Bd. XI. S. 240 ff., woselbst ein von der richtigen Auffassung ausgehendes Urtheil des O.-A.-G's. zu Lübeck mitgetheilt ist. Vgl. ferner auch Dreyer, Reichs- civilr. S. 12 fg. Kayser a. a. O. S. 57. §. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung. Nur wenn ein Reichsgeſetz ausdrücklich die Einzelſtaaten er- Außerdem kann das Reichsgeſetz die Veranlaſſung bieten, c) Landesgeſetze, welche Rechtsvorſchriften, die mit einem D. R. S. 187 ſoll allerdings den Landes-Regierungen „eine gewiſſermaßen gutachtliche Publikation (!) über die derogirende Wirkſamkeit eines Reichsgeſetzes zuſtehen.“ 1) Den entgegengeſetzten Grundſatz hat das Hamburg. Obergericht in
zwei Erkenntniſſen, welche in der Allgem. Deutſch. Strafrechtszeitung Bd. X. (1870) S. 265 ff. mitgetheilt ſind, zur Geltung gebracht. Vgl. über die Un- richtigkeit dieſer Urtheile Belmonte a. a. O. und John ebenda Bd. XI. S. 240 ff., woſelbſt ein von der richtigen Auffaſſung ausgehendes Urtheil des O.-A.-G’s. zu Lübeck mitgetheilt iſt. Vgl. ferner auch Dreyer, Reichs- civilr. S. 12 fg. Kayſer a. a. O. S. 57. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0125" n="111"/> <fw place="top" type="header">§. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung.</fw><lb/> <p>Nur wenn ein Reichsgeſetz ausdrücklich die Einzelſtaaten er-<lb/> mächtigt, diejenigen landesrechtlichen Vorſchriften im Wege der<lb/> Geſetzgebung oder im Wege der Verordnung zu bezeichnen, welche<lb/> durch das Reichsgeſetz in Wegfall kommen, iſt der Einzelſtaat in<lb/> der Lage, die Veränderungen, welche das Reichsgeſetz an dem bis-<lb/> herigen Rechtszuſtande hervorbringt, partikularrechtlich zu fixiren.</p><lb/> <p>Außerdem kann das Reichsgeſetz die Veranlaſſung bieten,<lb/> landesrechtliche Vorſchriften, welche mit dem Reichsgeſetz nicht im<lb/> Widerſpruch ſtehen, die aber durch daſſelbe aus ihrem bisherigen<lb/> Zuſammenhange geriſſen werden und deren Fortgeltung die Har-<lb/> monie des Rechtszuſtandes ſtören würde, zu beſeitigen, alſo die<lb/> Wirkungen des Reichsgeſetzes zu <hi rendition="#g">erweitern</hi>. Eben dahin iſt<lb/> der Fall zu rechnen, wenn Rechtsgrundſätze, welche ein Reichsgeſetz<lb/> für gewiſſe Thatbeſtände anordnet, landesgeſetzlich auch auf andere<lb/> Thatbeſtände ausgedehnt werden. Hierzu iſt der Regel nach<lb/> ein förmliches Landesgeſetz erforderlich; es ſei denn, daß das<lb/> Reichsgeſetz ſelbſt die Aufhebung derartiger Vorſchriften des Lan-<lb/> desrechts im Verordnungswege geſtattet.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">c</hi>) Landesgeſetze, welche Rechtsvorſchriften, die mit einem<lb/> Reichsgeſetz im Widerſpruch ſtehen, <hi rendition="#g">einführen</hi>, ſind unzuläſſig;<lb/> ebenſo Landesgeſetze, welche reichsgeſetzliche Anordnungen aufheben,<lb/> zeitweilig außer Wirkſamkeit ſetzen oder abändern. Denn der Be-<lb/> fehl der höheren Gewalt kann nicht durch den Befehl der unter-<lb/> geordneten Gewalt aufgehoben oder verändert werden; der Um-<lb/> ſtand, daß das Landesgeſetz das ſpätere iſt, kann nicht in Betracht<lb/> kommen, da es dem Reichsgeſetz gegenüber das ſchwächere iſt <note place="foot" n="1)">Den entgegengeſetzten Grundſatz hat das <hi rendition="#g">Hamburg</hi>. Obergericht in<lb/> zwei Erkenntniſſen, welche in der Allgem. Deutſch. Strafrechtszeitung Bd. <hi rendition="#aq">X.</hi><lb/> (1870) S. 265 ff. mitgetheilt ſind, zur Geltung gebracht. Vgl. über die Un-<lb/> richtigkeit dieſer Urtheile <hi rendition="#g">Belmonte</hi> a. a. O. und <hi rendition="#g">John</hi> ebenda Bd. <hi rendition="#aq">XI.</hi><lb/> S. 240 ff., woſelbſt ein von der richtigen Auffaſſung ausgehendes Urtheil des<lb/> O.-A.-G’s. zu <hi rendition="#g">Lübeck</hi> mitgetheilt iſt. Vgl. ferner auch <hi rendition="#g">Dreyer</hi>, Reichs-<lb/> civilr. S. 12 fg. <hi rendition="#g">Kayſer</hi> a. a. O. S. 57.</note>.<lb/> Enthält ein Landesgeſetz Vorſchriften, welche theilweiſe mit einem<lb/> Reichsgeſetz im Widerſpruch ſtehen, theilweiſe nicht, ſo kann es in-<lb/><note xml:id="seg2pn_10_2" prev="#seg2pn_10_1" place="foot" n="4)">D. R. S. 187 ſoll allerdings den Landes-Regierungen „eine gewiſſermaßen<lb/> gutachtliche Publikation (!) über die derogirende Wirkſamkeit eines Reichsgeſetzes<lb/> zuſtehen.“</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0125]
§. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung.
Nur wenn ein Reichsgeſetz ausdrücklich die Einzelſtaaten er-
mächtigt, diejenigen landesrechtlichen Vorſchriften im Wege der
Geſetzgebung oder im Wege der Verordnung zu bezeichnen, welche
durch das Reichsgeſetz in Wegfall kommen, iſt der Einzelſtaat in
der Lage, die Veränderungen, welche das Reichsgeſetz an dem bis-
herigen Rechtszuſtande hervorbringt, partikularrechtlich zu fixiren.
Außerdem kann das Reichsgeſetz die Veranlaſſung bieten,
landesrechtliche Vorſchriften, welche mit dem Reichsgeſetz nicht im
Widerſpruch ſtehen, die aber durch daſſelbe aus ihrem bisherigen
Zuſammenhange geriſſen werden und deren Fortgeltung die Har-
monie des Rechtszuſtandes ſtören würde, zu beſeitigen, alſo die
Wirkungen des Reichsgeſetzes zu erweitern. Eben dahin iſt
der Fall zu rechnen, wenn Rechtsgrundſätze, welche ein Reichsgeſetz
für gewiſſe Thatbeſtände anordnet, landesgeſetzlich auch auf andere
Thatbeſtände ausgedehnt werden. Hierzu iſt der Regel nach
ein förmliches Landesgeſetz erforderlich; es ſei denn, daß das
Reichsgeſetz ſelbſt die Aufhebung derartiger Vorſchriften des Lan-
desrechts im Verordnungswege geſtattet.
c) Landesgeſetze, welche Rechtsvorſchriften, die mit einem
Reichsgeſetz im Widerſpruch ſtehen, einführen, ſind unzuläſſig;
ebenſo Landesgeſetze, welche reichsgeſetzliche Anordnungen aufheben,
zeitweilig außer Wirkſamkeit ſetzen oder abändern. Denn der Be-
fehl der höheren Gewalt kann nicht durch den Befehl der unter-
geordneten Gewalt aufgehoben oder verändert werden; der Um-
ſtand, daß das Landesgeſetz das ſpätere iſt, kann nicht in Betracht
kommen, da es dem Reichsgeſetz gegenüber das ſchwächere iſt 1).
Enthält ein Landesgeſetz Vorſchriften, welche theilweiſe mit einem
Reichsgeſetz im Widerſpruch ſtehen, theilweiſe nicht, ſo kann es in-
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1) Den entgegengeſetzten Grundſatz hat das Hamburg. Obergericht in
zwei Erkenntniſſen, welche in der Allgem. Deutſch. Strafrechtszeitung Bd. X.
(1870) S. 265 ff. mitgetheilt ſind, zur Geltung gebracht. Vgl. über die Un-
richtigkeit dieſer Urtheile Belmonte a. a. O. und John ebenda Bd. XI.
S. 240 ff., woſelbſt ein von der richtigen Auffaſſung ausgehendes Urtheil des
O.-A.-G’s. zu Lübeck mitgetheilt iſt. Vgl. ferner auch Dreyer, Reichs-
civilr. S. 12 fg. Kayſer a. a. O. S. 57.
4) D. R. S. 187 ſoll allerdings den Landes-Regierungen „eine gewiſſermaßen
gutachtliche Publikation (!) über die derogirende Wirkſamkeit eines Reichsgeſetzes
zuſtehen.“
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