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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 60. Die Wirkungen der Reichsgesetze.
hat; die Reichsgesetze gelten auch in denjenigen Orten, in denen
niemals Jemand ein Stück des Reichsgesetzblattes zu Gesicht be-
kommen hat 1). Deshalb ist es auch unerheblich, ob das Reichs-
gesetzblatt in einen gewissen Theil des Reichsgebietes gelangen
konnte oder nicht. In einer belagerten Festung, in einem vom
Feinde besetzten Landstrich, in einer durch Ueberfluthung oder an-
dere Natur-Ereignisse unzugänglich gemachten Gegend erlangen die
Gesetze des Deutschen Reiches in demselben Zeitpunkt wie im
übrigen Bundesgebiet verbindliche Kraft 2). Andererseits erlangt
vor Ablauf der gesetzlichen Frist kein Reichsgesetz verbindliche
Kraft, wenngleich es die allgemeinste Verbreitung und Gemein-
kundigkeit gefunden hat.

2) Der Termin, an welchem die verbindliche Kraft der Reichs-
gesetze beginnt, ist für das ganze Bundesgebiet derselbe; die
größere oder geringere Entfernung von Berlin macht keinen Unter-
schied 3). Aber er gilt auch nur für das Bundesgebiet, nicht für
das Ausland. Die an die Spitze des Artikels 2 der R.-V. ge-
stellten Worte: "innerhalb dieses Bundesgebietes" sind auch auf
den Schlußsatz desselben Artikels zu beziehen und dort zu ergänzen.
Eine Bestätigung findet dies in dem Konsulats-Gesetz v. 8. Nov.
1867 §. 24 Abs. 2 (B.-G.-Bl. S. 142), wonach in den Konsular-
Jurisdiktonsbezirken die verbindliche Kraft der Reichsgesetze nach
Ablauf von 6 Monaten, von dem Tage gerechnet, an welchem

1) Die Verbreitung der Bekanntschaft erfolgt in der That durch
die Zeitungen viel wirksamer als durch das R.-G.-Bl.
2) Damit ist die Frage nicht zu verwechseln, in wie weit bei Fest-
stellung der subjectiven Verschuldung die Thatsache
in
Betracht zu ziehen ist, daß Jemand von dem Erlaß einer reichsgesetzl. Vor-
schrift keine Kunde hatte oder haben konnte.
3) Es kann jedoch in einem Reichsgesetz den Einzelstaaten vorbehalten
werden, schon vor dem reichsgesetzl. Termin die Geltung des Reichsgesetzes
in ihren Gebieten eintreten zu lassen. Dies ist z. B. geschehen in der Ge-
werbe
-Ordn. v. 21. Juni 1869 §. 7 (durch Landes gesetz); Münzgesetz
§. 1 und Personenstands- und Civilehegesetz v. 6. Febr. 1875 §. 79 (im Ver-
ordnungs
wege). Andererseits kann den Einzelstaaten auch gestattet werden,
den Anfangstermin der Geltung einer reichsgesetzl. Bestimmung über den
reichsgesetzl. Termin hinauszuschieben. Beispiele: Ges. v. 10. Nov. 1871
§. 2 (R.-G.-Bl. S. 392) u. Ges. v. 26. Nov. 1871 § 2 (R.-G.-Bl. S. 397).

§. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze.
hat; die Reichsgeſetze gelten auch in denjenigen Orten, in denen
niemals Jemand ein Stück des Reichsgeſetzblattes zu Geſicht be-
kommen hat 1). Deshalb iſt es auch unerheblich, ob das Reichs-
geſetzblatt in einen gewiſſen Theil des Reichsgebietes gelangen
konnte oder nicht. In einer belagerten Feſtung, in einem vom
Feinde beſetzten Landſtrich, in einer durch Ueberfluthung oder an-
dere Natur-Ereigniſſe unzugänglich gemachten Gegend erlangen die
Geſetze des Deutſchen Reiches in demſelben Zeitpunkt wie im
übrigen Bundesgebiet verbindliche Kraft 2). Andererſeits erlangt
vor Ablauf der geſetzlichen Friſt kein Reichsgeſetz verbindliche
Kraft, wenngleich es die allgemeinſte Verbreitung und Gemein-
kundigkeit gefunden hat.

2) Der Termin, an welchem die verbindliche Kraft der Reichs-
geſetze beginnt, iſt für das ganze Bundesgebiet derſelbe; die
größere oder geringere Entfernung von Berlin macht keinen Unter-
ſchied 3). Aber er gilt auch nur für das Bundesgebiet, nicht für
das Ausland. Die an die Spitze des Artikels 2 der R.-V. ge-
ſtellten Worte: „innerhalb dieſes Bundesgebietes“ ſind auch auf
den Schlußſatz deſſelben Artikels zu beziehen und dort zu ergänzen.
Eine Beſtätigung findet dies in dem Konſulats-Geſetz v. 8. Nov.
1867 §. 24 Abſ. 2 (B.-G.-Bl. S. 142), wonach in den Konſular-
Jurisdiktonsbezirken die verbindliche Kraft der Reichsgeſetze nach
Ablauf von 6 Monaten, von dem Tage gerechnet, an welchem

1) Die Verbreitung der Bekanntſchaft erfolgt in der That durch
die Zeitungen viel wirkſamer als durch das R.-G.-Bl.
2) Damit iſt die Frage nicht zu verwechſeln, in wie weit bei Feſt-
ſtellung der ſubjectiven Verſchuldung die Thatſache
in
Betracht zu ziehen iſt, daß Jemand von dem Erlaß einer reichsgeſetzl. Vor-
ſchrift keine Kunde hatte oder haben konnte.
3) Es kann jedoch in einem Reichsgeſetz den Einzelſtaaten vorbehalten
werden, ſchon vor dem reichsgeſetzl. Termin die Geltung des Reichsgeſetzes
in ihren Gebieten eintreten zu laſſen. Dies iſt z. B. geſchehen in der Ge-
werbe
-Ordn. v. 21. Juni 1869 §. 7 (durch Landes geſetz); Münzgeſetz
§. 1 und Perſonenſtands- und Civilehegeſetz v. 6. Febr. 1875 §. 79 (im Ver-
ordnungs
wege). Andererſeits kann den Einzelſtaaten auch geſtattet werden,
den Anfangstermin der Geltung einer reichsgeſetzl. Beſtimmung über den
reichsgeſetzl. Termin hinauszuſchieben. Beiſpiele: Geſ. v. 10. Nov. 1871
§. 2 (R.-G.-Bl. S. 392) u. Geſ. v. 26. Nov. 1871 § 2 (R.-G.-Bl. S. 397).
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[103/0117] §. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze. hat; die Reichsgeſetze gelten auch in denjenigen Orten, in denen niemals Jemand ein Stück des Reichsgeſetzblattes zu Geſicht be- kommen hat 1). Deshalb iſt es auch unerheblich, ob das Reichs- geſetzblatt in einen gewiſſen Theil des Reichsgebietes gelangen konnte oder nicht. In einer belagerten Feſtung, in einem vom Feinde beſetzten Landſtrich, in einer durch Ueberfluthung oder an- dere Natur-Ereigniſſe unzugänglich gemachten Gegend erlangen die Geſetze des Deutſchen Reiches in demſelben Zeitpunkt wie im übrigen Bundesgebiet verbindliche Kraft 2). Andererſeits erlangt vor Ablauf der geſetzlichen Friſt kein Reichsgeſetz verbindliche Kraft, wenngleich es die allgemeinſte Verbreitung und Gemein- kundigkeit gefunden hat. 2) Der Termin, an welchem die verbindliche Kraft der Reichs- geſetze beginnt, iſt für das ganze Bundesgebiet derſelbe; die größere oder geringere Entfernung von Berlin macht keinen Unter- ſchied 3). Aber er gilt auch nur für das Bundesgebiet, nicht für das Ausland. Die an die Spitze des Artikels 2 der R.-V. ge- ſtellten Worte: „innerhalb dieſes Bundesgebietes“ ſind auch auf den Schlußſatz deſſelben Artikels zu beziehen und dort zu ergänzen. Eine Beſtätigung findet dies in dem Konſulats-Geſetz v. 8. Nov. 1867 §. 24 Abſ. 2 (B.-G.-Bl. S. 142), wonach in den Konſular- Jurisdiktonsbezirken die verbindliche Kraft der Reichsgeſetze nach Ablauf von 6 Monaten, von dem Tage gerechnet, an welchem 1) Die Verbreitung der Bekanntſchaft erfolgt in der That durch die Zeitungen viel wirkſamer als durch das R.-G.-Bl. 2) Damit iſt die Frage nicht zu verwechſeln, in wie weit bei Feſt- ſtellung der ſubjectiven Verſchuldung die Thatſache in Betracht zu ziehen iſt, daß Jemand von dem Erlaß einer reichsgeſetzl. Vor- ſchrift keine Kunde hatte oder haben konnte. 3) Es kann jedoch in einem Reichsgeſetz den Einzelſtaaten vorbehalten werden, ſchon vor dem reichsgeſetzl. Termin die Geltung des Reichsgeſetzes in ihren Gebieten eintreten zu laſſen. Dies iſt z. B. geſchehen in der Ge- werbe-Ordn. v. 21. Juni 1869 §. 7 (durch Landes geſetz); Münzgeſetz §. 1 und Perſonenſtands- und Civilehegeſetz v. 6. Febr. 1875 §. 79 (im Ver- ordnungs wege). Andererſeits kann den Einzelſtaaten auch geſtattet werden, den Anfangstermin der Geltung einer reichsgeſetzl. Beſtimmung über den reichsgeſetzl. Termin hinauszuſchieben. Beiſpiele: Geſ. v. 10. Nov. 1871 §. 2 (R.-G.-Bl. S. 392) u. Geſ. v. 26. Nov. 1871 § 2 (R.-G.-Bl. S. 397).

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/117>, abgerufen am 27.11.2024.