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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 60. Die Wirkungen der Reichsgesetze.
in Betreff des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des ge-
richtlichen Verfahrens ist nach Art. 4 Z. 13 der R.-V. (Ges. v.
20. Dez. 1873) die Kompetenz des Reiches beschänkt auf "die ge-
meinsame Gesetzgebung". Darnach ist die Fortbildung und Um-
gestaltung eines einzelnen Landrechts oder Partikularrechts durch
die Reichsgesetzgebung verfassungsmäßig ausgeschlossen 1). Soweit
indeß partikuläre Rechtssätze mit den allgemeinen von der Reichs-
gesetzgebung befolgten Prinzipien und Tendenzen im Widerspruch
stehen, ohne daß sie durch den Wortlaut der Reichsgesetze als auf-
gehoben zu erachten sind, steht es dem Reiche zu, sie durch be-
sondere Gesetze zu beseitigen 2).

Der Satz, daß Reichsgesetze auch für Theile des Bundes-
gebietes erlassen werden können, findet folgende spezielle Anwen-
dungs-Fälle:

1) Ein Landesgesetz kann zum Reichsgesetz erklärt werden,
ohne Erweiterung seines Geltungsgebietes. Dadurch wird in den
geltenden Rechtssätzen selbst nichts geändert, sondern nur der lan-
desherrliche Befehl, diese Sätze als Rechtsregeln zu befolgen, durch
den Befehl des Reiches ersetzt. Dies hat die Wirkung, daß der
Einzelstaat dieses Gesetz weder aufheben noch verändern kann.

Hievon ist aber wohl zu unterscheiden der überaus häufige
Fall, daß in einem Reichsgesetz hinsichtlich gewisser Pnnkte auf die
Landesgesetze verwiesen, dieselben für anwendbar erklärt, oder in

dieselben Gebiete und Nordhessen; Ges. v. 1. Juli 1869 (B.-G.-Bl. S. 376)
für Theile des Hamburgischen Gebietes u. s. w.
1) Vgl. darüber Heinze S. 142 fg. und derselbe in den Erörterun-
gen zum Entw. des St.-G.-B. (1870) S. 18 fg. Die von ihm gezogenen Con-
sequenzen gehen aber zu weit. Vgl. Rüdorff, Kommentar zum St.-G.-B.
(2. Aufl.) S. 55.
2) Ein Beispiel liefert das Ges. v. 4. Nov. 1874 (R.-G.-Bl. S. 128),
welches Bestimmungen des Lüb. Rechts und Rostocker Stadtrechts aufhob, die
mit den Prinzipien der Gewerbe-Ordnung nicht im Einklang standen. Eben-
so ist dem Reiche wol nicht die Befugniß zu bestreiten, Landesgesetze auf-
zuheben oder für nichtig zu erklären, welche sich mit der gemeinsamen Gesetz-
gebung des Reichs in Bezug auf bürgerliches Recht, Strafrecht oder gericht-
liches Verfahren in Widerspruch befinden. Dadurch kann das Reich Ueberschrei-
tungen der den Einzelstaaten zustehenden Autonomie beseitigen und unschädlich
machen. Ein solches Gesetz wäre nicht Normirung des Partikularrechts, son-
dern Schutz des gemeinsamen Rechts. Abweichender Ansicht ist Heinze
S. 143.

§. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze.
in Betreff des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des ge-
richtlichen Verfahrens iſt nach Art. 4 Z. 13 der R.-V. (Geſ. v.
20. Dez. 1873) die Kompetenz des Reiches beſchänkt auf „die ge-
meinſame Geſetzgebung“. Darnach iſt die Fortbildung und Um-
geſtaltung eines einzelnen Landrechts oder Partikularrechts durch
die Reichsgeſetzgebung verfaſſungsmäßig ausgeſchloſſen 1). Soweit
indeß partikuläre Rechtsſätze mit den allgemeinen von der Reichs-
geſetzgebung befolgten Prinzipien und Tendenzen im Widerſpruch
ſtehen, ohne daß ſie durch den Wortlaut der Reichsgeſetze als auf-
gehoben zu erachten ſind, ſteht es dem Reiche zu, ſie durch be-
ſondere Geſetze zu beſeitigen 2).

Der Satz, daß Reichsgeſetze auch für Theile des Bundes-
gebietes erlaſſen werden können, findet folgende ſpezielle Anwen-
dungs-Fälle:

1) Ein Landesgeſetz kann zum Reichsgeſetz erklärt werden,
ohne Erweiterung ſeines Geltungsgebietes. Dadurch wird in den
geltenden Rechtsſätzen ſelbſt nichts geändert, ſondern nur der lan-
desherrliche Befehl, dieſe Sätze als Rechtsregeln zu befolgen, durch
den Befehl des Reiches erſetzt. Dies hat die Wirkung, daß der
Einzelſtaat dieſes Geſetz weder aufheben noch verändern kann.

Hievon iſt aber wohl zu unterſcheiden der überaus häufige
Fall, daß in einem Reichsgeſetz hinſichtlich gewiſſer Pnnkte auf die
Landesgeſetze verwieſen, dieſelben für anwendbar erklärt, oder in

dieſelben Gebiete und Nordheſſen; Geſ. v. 1. Juli 1869 (B.-G.-Bl. S. 376)
für Theile des Hamburgiſchen Gebietes u. ſ. w.
1) Vgl. darüber Heinze S. 142 fg. und derſelbe in den Erörterun-
gen zum Entw. des St.-G.-B. (1870) S. 18 fg. Die von ihm gezogenen Con-
ſequenzen gehen aber zu weit. Vgl. Rüdorff, Kommentar zum St.-G.-B.
(2. Aufl.) S. 55.
2) Ein Beiſpiel liefert das Geſ. v. 4. Nov. 1874 (R.-G.-Bl. S. 128),
welches Beſtimmungen des Lüb. Rechts und Roſtocker Stadtrechts aufhob, die
mit den Prinzipien der Gewerbe-Ordnung nicht im Einklang ſtanden. Eben-
ſo iſt dem Reiche wol nicht die Befugniß zu beſtreiten, Landesgeſetze auf-
zuheben oder für nichtig zu erklären, welche ſich mit der gemeinſamen Geſetz-
gebung des Reichs in Bezug auf bürgerliches Recht, Strafrecht oder gericht-
liches Verfahren in Widerſpruch befinden. Dadurch kann das Reich Ueberſchrei-
tungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Autonomie beſeitigen und unſchädlich
machen. Ein ſolches Geſetz wäre nicht Normirung des Partikularrechts, ſon-
dern Schutz des gemeinſamen Rechts. Abweichender Anſicht iſt Heinze
S. 143.
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[98/0112] §. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze. in Betreff des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des ge- richtlichen Verfahrens iſt nach Art. 4 Z. 13 der R.-V. (Geſ. v. 20. Dez. 1873) die Kompetenz des Reiches beſchänkt auf „die ge- meinſame Geſetzgebung“. Darnach iſt die Fortbildung und Um- geſtaltung eines einzelnen Landrechts oder Partikularrechts durch die Reichsgeſetzgebung verfaſſungsmäßig ausgeſchloſſen 1). Soweit indeß partikuläre Rechtsſätze mit den allgemeinen von der Reichs- geſetzgebung befolgten Prinzipien und Tendenzen im Widerſpruch ſtehen, ohne daß ſie durch den Wortlaut der Reichsgeſetze als auf- gehoben zu erachten ſind, ſteht es dem Reiche zu, ſie durch be- ſondere Geſetze zu beſeitigen 2). Der Satz, daß Reichsgeſetze auch für Theile des Bundes- gebietes erlaſſen werden können, findet folgende ſpezielle Anwen- dungs-Fälle: 1) Ein Landesgeſetz kann zum Reichsgeſetz erklärt werden, ohne Erweiterung ſeines Geltungsgebietes. Dadurch wird in den geltenden Rechtsſätzen ſelbſt nichts geändert, ſondern nur der lan- desherrliche Befehl, dieſe Sätze als Rechtsregeln zu befolgen, durch den Befehl des Reiches erſetzt. Dies hat die Wirkung, daß der Einzelſtaat dieſes Geſetz weder aufheben noch verändern kann. Hievon iſt aber wohl zu unterſcheiden der überaus häufige Fall, daß in einem Reichsgeſetz hinſichtlich gewiſſer Pnnkte auf die Landesgeſetze verwieſen, dieſelben für anwendbar erklärt, oder in 1) 1) Vgl. darüber Heinze S. 142 fg. und derſelbe in den Erörterun- gen zum Entw. des St.-G.-B. (1870) S. 18 fg. Die von ihm gezogenen Con- ſequenzen gehen aber zu weit. Vgl. Rüdorff, Kommentar zum St.-G.-B. (2. Aufl.) S. 55. 2) Ein Beiſpiel liefert das Geſ. v. 4. Nov. 1874 (R.-G.-Bl. S. 128), welches Beſtimmungen des Lüb. Rechts und Roſtocker Stadtrechts aufhob, die mit den Prinzipien der Gewerbe-Ordnung nicht im Einklang ſtanden. Eben- ſo iſt dem Reiche wol nicht die Befugniß zu beſtreiten, Landesgeſetze auf- zuheben oder für nichtig zu erklären, welche ſich mit der gemeinſamen Geſetz- gebung des Reichs in Bezug auf bürgerliches Recht, Strafrecht oder gericht- liches Verfahren in Widerſpruch befinden. Dadurch kann das Reich Ueberſchrei- tungen der den Einzelſtaaten zuſtehenden Autonomie beſeitigen und unſchädlich machen. Ein ſolches Geſetz wäre nicht Normirung des Partikularrechts, ſon- dern Schutz des gemeinſamen Rechts. Abweichender Anſicht iſt Heinze S. 143. 1) dieſelben Gebiete und Nordheſſen; Geſ. v. 1. Juli 1869 (B.-G.-Bl. S. 376) für Theile des Hamburgiſchen Gebietes u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/112>, abgerufen am 27.11.2024.