Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
das Wort Reichsgesetz in einem ganz andern Sinne zu verstehen
und diesem Ausdruck in derselben Zeile der Reichsverfassung zwei
verschiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieser zweite Satz be-
schränkt sich nicht auf die formellen Gesetze, von denen erst Art. 5
der R.-V. spricht, sondern er schreibt für alle vom Reiche erlas-
senen Rechtsvorschriften die Verkündigung mittelst des Reichsgesetz-
blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des
Reiches, welche nicht im Reichsgesetzblatt verkündigt sind, keine
verbindliche Kraft haben.

Für die vom Kaiser erlassenen Verordnungen ist übrigens in
der Verordn. v. 26. Juli 1867 (B.-G.-Bl. S. 24) ausdrücklich
vorgeschrieben worden, daß sie in dem Reichsgesetzblatt verkündet
werden sollen 2). Die Ausführung dieser Vorschrift liegt dem Reichs-
kanzler als Minister des Kaisers ob 3).

Den Abdruck der vom Bundesrath sanctionirten Verordnungen
hat der Reichskanzler als Vorsitzender des Bundesrathes zu ver-
anstalten. Es folgt dies aus Art. 15 der R.-V.; da zu der ihm
obliegenden "Leitung der Geschäfte" auch die zur Ausführung der
Beschlüsse des Bundesrathes erforderlichen Verfügungen gehören 4),
der Beschluß des Bundesrathes aber, eine Verordnung zu erlassen,
durch Bekanntmachung dieser Verordnung im Reichsgesetzblatte aus-
geführt wird.

Andere Regeln gelten selbstverständlich für diejenigen Verord-

1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs-
gesetze ohne Rechtsinhalt im Gesetzblatt verkündigt werden müssen, ist zweifel-
los, da die Verkündigung zum "Wege der Gesetzgebung" gehört; daraus ist
aber der Rückschluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorschriften ohne Gesetzes-
form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen.
2) Unter "Verordnungen" sind aber hier Gesetzgebungsakte zu verstehen,
nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entsch. des R.-O.-H.-G.
Bd. XV. S. 297.
3) Eine auffallende Ausnahme von dieser Vorschrift bildet die Verordn.
v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reisekosten der Personen des Sol-
datenstandes "des preußischen Heeres". Obwohl dieselbe vom Minister
Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contrasignirt ist, die Finanzen des
Reiches berührt und allgemeine Normen aufstellt, welche vermögensrechtliche
Ansprüche einzelner Personen gegen die Reichskasse begründen, ist sie nicht im
Reichsgesetzblatt verkündet, sondern nur im Centralblatt f. das Deutsche Reich
v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden.
4) Gesch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.

§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
das Wort Reichsgeſetz in einem ganz andern Sinne zu verſtehen
und dieſem Ausdruck in derſelben Zeile der Reichsverfaſſung zwei
verſchiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieſer zweite Satz be-
ſchränkt ſich nicht auf die formellen Geſetze, von denen erſt Art. 5
der R.-V. ſpricht, ſondern er ſchreibt für alle vom Reiche erlaſ-
ſenen Rechtsvorſchriften die Verkündigung mittelſt des Reichsgeſetz-
blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des
Reiches, welche nicht im Reichsgeſetzblatt verkündigt ſind, keine
verbindliche Kraft haben.

Für die vom Kaiſer erlaſſenen Verordnungen iſt übrigens in
der Verordn. v. 26. Juli 1867 (B.-G.-Bl. S. 24) ausdrücklich
vorgeſchrieben worden, daß ſie in dem Reichsgeſetzblatt verkündet
werden ſollen 2). Die Ausführung dieſer Vorſchrift liegt dem Reichs-
kanzler als Miniſter des Kaiſers ob 3).

Den Abdruck der vom Bundesrath ſanctionirten Verordnungen
hat der Reichskanzler als Vorſitzender des Bundesrathes zu ver-
anſtalten. Es folgt dies aus Art. 15 der R.-V.; da zu der ihm
obliegenden „Leitung der Geſchäfte“ auch die zur Ausführung der
Beſchlüſſe des Bundesrathes erforderlichen Verfügungen gehören 4),
der Beſchluß des Bundesrathes aber, eine Verordnung zu erlaſſen,
durch Bekanntmachung dieſer Verordnung im Reichsgeſetzblatte aus-
geführt wird.

Andere Regeln gelten ſelbſtverſtändlich für diejenigen Verord-

1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs-
geſetze ohne Rechtsinhalt im Geſetzblatt verkündigt werden müſſen, iſt zweifel-
los, da die Verkündigung zum „Wege der Geſetzgebung“ gehört; daraus iſt
aber der Rückſchluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorſchriften ohne Geſetzes-
form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen.
2) Unter „Verordnungen“ ſind aber hier Geſetzgebungsakte zu verſtehen,
nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entſch. des R.-O.-H.-G.
Bd. XV. S. 297.
3) Eine auffallende Ausnahme von dieſer Vorſchrift bildet die Verordn.
v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reiſekoſten der Perſonen des Sol-
datenſtandes „des preußiſchen Heeres“. Obwohl dieſelbe vom Miniſter
Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contraſignirt iſt, die Finanzen des
Reiches berührt und allgemeine Normen aufſtellt, welche vermögensrechtliche
Anſprüche einzelner Perſonen gegen die Reichskaſſe begründen, iſt ſie nicht im
Reichsgeſetzblatt verkündet, ſondern nur im Centralblatt f. das Deutſche Reich
v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden.
4) Geſch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="92"/><fw place="top" type="header">§. 59. Die Verordnungen des Reichs.</fw><lb/>
das Wort Reichsge&#x017F;etz in einem ganz andern Sinne zu ver&#x017F;tehen<lb/>
und die&#x017F;em Ausdruck in der&#x017F;elben Zeile der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung zwei<lb/>
ver&#x017F;chiedene Bedeutungen beizulegen. Auch die&#x017F;er zweite Satz be-<lb/>
&#x017F;chränkt &#x017F;ich nicht auf die formellen Ge&#x017F;etze, von denen er&#x017F;t Art. 5<lb/>
der R.-V. &#x017F;pricht, &#x017F;ondern er &#x017F;chreibt für <hi rendition="#g">alle</hi> vom Reiche erla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enen Rechtsvor&#x017F;chriften die Verkündigung mittel&#x017F;t des Reichsge&#x017F;etz-<lb/>
blattes vor <note place="foot" n="1)">Vgl. auch <hi rendition="#g">Thudichum</hi>, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs-<lb/>
ge&#x017F;etze ohne Rechtsinhalt im Ge&#x017F;etzblatt verkündigt werden mü&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t zweifel-<lb/>
los, da die Verkündigung zum &#x201E;Wege der Ge&#x017F;etzgebung&#x201C; gehört; daraus i&#x017F;t<lb/>
aber der Rück&#x017F;chluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvor&#x017F;chriften ohne Ge&#x017F;etzes-<lb/>
form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen.</note>. Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des<lb/>
Reiches, welche nicht im Reichsge&#x017F;etzblatt verkündigt &#x017F;ind, keine<lb/>
verbindliche Kraft haben.</p><lb/>
          <p>Für die vom Kai&#x017F;er erla&#x017F;&#x017F;enen Verordnungen i&#x017F;t übrigens in<lb/>
der Verordn. v. 26. Juli 1867 (B.-G.-Bl. S. 24) ausdrücklich<lb/>
vorge&#x017F;chrieben worden, daß &#x017F;ie in dem Reichsge&#x017F;etzblatt verkündet<lb/>
werden &#x017F;ollen <note place="foot" n="2)">Unter &#x201E;Verordnungen&#x201C; &#x017F;ind aber hier Ge&#x017F;etzgebungsakte zu ver&#x017F;tehen,<lb/>
nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Ent&#x017F;ch. des R.-O.-H.-G.<lb/>
Bd. <hi rendition="#aq">XV.</hi> S. 297.</note>. Die Ausführung die&#x017F;er Vor&#x017F;chrift liegt dem Reichs-<lb/>
kanzler als Mini&#x017F;ter des Kai&#x017F;ers ob <note place="foot" n="3)">Eine auffallende Ausnahme von die&#x017F;er Vor&#x017F;chrift bildet die Verordn.<lb/>
v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Rei&#x017F;eko&#x017F;ten der Per&#x017F;onen des Sol-<lb/>
daten&#x017F;tandes &#x201E;des <hi rendition="#g">preußi&#x017F;chen</hi> Heeres&#x201C;. Obwohl die&#x017F;elbe vom Mini&#x017F;ter<lb/>
Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contra&#x017F;ignirt i&#x017F;t, die Finanzen des<lb/>
Reiches berührt und allgemeine Normen auf&#x017F;tellt, welche vermögensrechtliche<lb/>
An&#x017F;prüche einzelner Per&#x017F;onen gegen die Reichska&#x017F;&#x017F;e begründen, i&#x017F;t &#x017F;ie nicht im<lb/>
Reichsge&#x017F;etzblatt verkündet, &#x017F;ondern nur im Centralblatt f. das Deut&#x017F;che Reich<lb/>
v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden.</note>.</p><lb/>
          <p>Den Abdruck der vom Bundesrath &#x017F;anctionirten Verordnungen<lb/>
hat der Reichskanzler als Vor&#x017F;itzender des Bundesrathes zu ver-<lb/>
an&#x017F;talten. Es folgt dies aus Art. 15 der R.-V.; da zu der ihm<lb/>
obliegenden &#x201E;Leitung der Ge&#x017F;chäfte&#x201C; auch die zur Ausführung der<lb/>
Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e des Bundesrathes erforderlichen Verfügungen gehören <note place="foot" n="4)">Ge&#x017F;ch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 276.</note>,<lb/>
der Be&#x017F;chluß des Bundesrathes aber, eine Verordnung zu erla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
durch Bekanntmachung die&#x017F;er Verordnung im Reichsge&#x017F;etzblatte aus-<lb/>
geführt wird.</p><lb/>
          <p>Andere Regeln gelten &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich für diejenigen Verord-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0106] §. 59. Die Verordnungen des Reichs. das Wort Reichsgeſetz in einem ganz andern Sinne zu verſtehen und dieſem Ausdruck in derſelben Zeile der Reichsverfaſſung zwei verſchiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieſer zweite Satz be- ſchränkt ſich nicht auf die formellen Geſetze, von denen erſt Art. 5 der R.-V. ſpricht, ſondern er ſchreibt für alle vom Reiche erlaſ- ſenen Rechtsvorſchriften die Verkündigung mittelſt des Reichsgeſetz- blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des Reiches, welche nicht im Reichsgeſetzblatt verkündigt ſind, keine verbindliche Kraft haben. Für die vom Kaiſer erlaſſenen Verordnungen iſt übrigens in der Verordn. v. 26. Juli 1867 (B.-G.-Bl. S. 24) ausdrücklich vorgeſchrieben worden, daß ſie in dem Reichsgeſetzblatt verkündet werden ſollen 2). Die Ausführung dieſer Vorſchrift liegt dem Reichs- kanzler als Miniſter des Kaiſers ob 3). Den Abdruck der vom Bundesrath ſanctionirten Verordnungen hat der Reichskanzler als Vorſitzender des Bundesrathes zu ver- anſtalten. Es folgt dies aus Art. 15 der R.-V.; da zu der ihm obliegenden „Leitung der Geſchäfte“ auch die zur Ausführung der Beſchlüſſe des Bundesrathes erforderlichen Verfügungen gehören 4), der Beſchluß des Bundesrathes aber, eine Verordnung zu erlaſſen, durch Bekanntmachung dieſer Verordnung im Reichsgeſetzblatte aus- geführt wird. Andere Regeln gelten ſelbſtverſtändlich für diejenigen Verord- 1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs- geſetze ohne Rechtsinhalt im Geſetzblatt verkündigt werden müſſen, iſt zweifel- los, da die Verkündigung zum „Wege der Geſetzgebung“ gehört; daraus iſt aber der Rückſchluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorſchriften ohne Geſetzes- form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen. 2) Unter „Verordnungen“ ſind aber hier Geſetzgebungsakte zu verſtehen, nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entſch. des R.-O.-H.-G. Bd. XV. S. 297. 3) Eine auffallende Ausnahme von dieſer Vorſchrift bildet die Verordn. v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reiſekoſten der Perſonen des Sol- datenſtandes „des preußiſchen Heeres“. Obwohl dieſelbe vom Miniſter Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contraſignirt iſt, die Finanzen des Reiches berührt und allgemeine Normen aufſtellt, welche vermögensrechtliche Anſprüche einzelner Perſonen gegen die Reichskaſſe begründen, iſt ſie nicht im Reichsgeſetzblatt verkündet, ſondern nur im Centralblatt f. das Deutſche Reich v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden. 4) Geſch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/106
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/106>, abgerufen am 12.12.2024.