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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 8. Der Begriff des Bundesstaates.

Dagegen wird mit um so größerer Einmüthigkeit als wesent-
lich für den Bundesstaatsbegriff das Erforderniß aufgestellt, daß
die obrigkeitlichen Hoheitsrechte der Centralgewalt unmittelbar
gegen die einzelnen Bürger gerichtet seien, nicht gegen die Glied-
staaten und durch deren Vermittlung gegen die Individuen. v.
Gerber S. 24 Note 3 definirt den Bundesstaat als "eine zwar
auf einen gewissen Kreis beschränkte, innerhalb desselben aber
wirkliche Staatsgewalt mit unmittelbarer Beherrschung des
Volks." v. Martitz beginnt seine "Betrachtungen über die Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes" mit der Bemerkung, daß, wie
man auch über den begrifflichen Unterschied des Staatenbundes
vom Bundesstaate denken möge, man unzweifelhaft das we-
sentliche Moment desselben immer nur in der Art der Wirksam-
keit suchen müsse, welche die Bundesgewalt zugewiesen erhält,
worunter er die unmittelbare Ausübung der Hoheitsrechte
meint. G. Meyer Staatsr. Erörter. S. 13, welcher die Lehre
von der Theilung der Souveränetät verwirft, sagt: "Man muß
jedes Bundesverhältniß, in welchem die Bundesgewalt nur eine
Herrschaft über die Staatsgewalten der Einzelstaaten ausübt, als
Staatenbund (!), ein solches, in welchem sie unmittelbar über die
Staatsangehörigen herrscht, als Bundesstaat bezeichnen."

H. Schulze Einleitung S. 432, und die Mehrzahl der
Schriftsteller über die Verfassung des Norddeutschen Bundes und
Deutschen Reiches schreiben dem Norddeutschen Bunde grade des-
halb den Charakter des Bundesstaates zu,
"weil die Bundesgewalt innerhalb ihrer Sphäre keineswegs
blos auf die Vermittelung der Einzelstaaten, auf die Re-
quisition der Einzelregierungen angewiesen ist, sondern weil
sie sich an die einzelnen Bürger wendet, unmittelbar ein-
greift und durch ihre eigenen Organe verwaltet 1)."

Unter den Anhängern der herrschenden Theorie vom Bundes-

Einzelstaaten und deren Regierungen, wenn diesen auch eine große Sphäre
der Selbstständigkeit belassen ist."
1) Ganz in derselben Weise erklärt Zachariä "die Verf.-Aender. nach
Art. 78" S. 19 den Nordd. Bund, "trotzdem er nicht vollständig und nicht rein
die Prinzipien des Bundesstaats verwirklicht," deshalb für einen Bundesstaat,
weil er die Befugniß hat, für die Glieder (Individuen) unmittelbar verbind-
liches Recht zu schaffen.
§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.

Dagegen wird mit um ſo größerer Einmüthigkeit als weſent-
lich für den Bundesſtaatsbegriff das Erforderniß aufgeſtellt, daß
die obrigkeitlichen Hoheitsrechte der Centralgewalt unmittelbar
gegen die einzelnen Bürger gerichtet ſeien, nicht gegen die Glied-
ſtaaten und durch deren Vermittlung gegen die Individuen. v.
Gerber S. 24 Note 3 definirt den Bundesſtaat als „eine zwar
auf einen gewiſſen Kreis beſchränkte, innerhalb deſſelben aber
wirkliche Staatsgewalt mit unmittelbarer Beherrſchung des
Volks.“ v. Martitz beginnt ſeine „Betrachtungen über die Ver-
faſſung des Norddeutſchen Bundes“ mit der Bemerkung, daß, wie
man auch über den begrifflichen Unterſchied des Staatenbundes
vom Bundesſtaate denken möge, man unzweifelhaft das we-
ſentliche Moment deſſelben immer nur in der Art der Wirkſam-
keit ſuchen müſſe, welche die Bundesgewalt zugewieſen erhält,
worunter er die unmittelbare Ausübung der Hoheitsrechte
meint. G. Meyer Staatsr. Erörter. S. 13, welcher die Lehre
von der Theilung der Souveränetät verwirft, ſagt: „Man muß
jedes Bundesverhältniß, in welchem die Bundesgewalt nur eine
Herrſchaft über die Staatsgewalten der Einzelſtaaten ausübt, als
Staatenbund (!), ein ſolches, in welchem ſie unmittelbar über die
Staatsangehörigen herrſcht, als Bundesſtaat bezeichnen.“

H. Schulze Einleitung S. 432, und die Mehrzahl der
Schriftſteller über die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes und
Deutſchen Reiches ſchreiben dem Norddeutſchen Bunde grade des-
halb den Charakter des Bundesſtaates zu,
„weil die Bundesgewalt innerhalb ihrer Sphäre keineswegs
blos auf die Vermittelung der Einzelſtaaten, auf die Re-
quiſition der Einzelregierungen angewieſen iſt, ſondern weil
ſie ſich an die einzelnen Bürger wendet, unmittelbar ein-
greift und durch ihre eigenen Organe verwaltet 1).“

Unter den Anhängern der herrſchenden Theorie vom Bundes-

Einzelſtaaten und deren Regierungen, wenn dieſen auch eine große Sphäre
der Selbſtſtändigkeit belaſſen iſt.“
1) Ganz in derſelben Weiſe erklärt Zachariä „die Verf.-Aender. nach
Art. 78“ S. 19 den Nordd. Bund, „trotzdem er nicht vollſtändig und nicht rein
die Prinzipien des Bundesſtaats verwirklicht,“ deshalb für einen Bundesſtaat,
weil er die Befugniß hat, für die Glieder (Individuen) unmittelbar verbind-
liches Recht zu ſchaffen.
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[77/0097] §. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. Dagegen wird mit um ſo größerer Einmüthigkeit als weſent- lich für den Bundesſtaatsbegriff das Erforderniß aufgeſtellt, daß die obrigkeitlichen Hoheitsrechte der Centralgewalt unmittelbar gegen die einzelnen Bürger gerichtet ſeien, nicht gegen die Glied- ſtaaten und durch deren Vermittlung gegen die Individuen. v. Gerber S. 24 Note 3 definirt den Bundesſtaat als „eine zwar auf einen gewiſſen Kreis beſchränkte, innerhalb deſſelben aber wirkliche Staatsgewalt mit unmittelbarer Beherrſchung des Volks.“ v. Martitz beginnt ſeine „Betrachtungen über die Ver- faſſung des Norddeutſchen Bundes“ mit der Bemerkung, daß, wie man auch über den begrifflichen Unterſchied des Staatenbundes vom Bundesſtaate denken möge, man unzweifelhaft das we- ſentliche Moment deſſelben immer nur in der Art der Wirkſam- keit ſuchen müſſe, welche die Bundesgewalt zugewieſen erhält, worunter er die unmittelbare Ausübung der Hoheitsrechte meint. G. Meyer Staatsr. Erörter. S. 13, welcher die Lehre von der Theilung der Souveränetät verwirft, ſagt: „Man muß jedes Bundesverhältniß, in welchem die Bundesgewalt nur eine Herrſchaft über die Staatsgewalten der Einzelſtaaten ausübt, als Staatenbund (!), ein ſolches, in welchem ſie unmittelbar über die Staatsangehörigen herrſcht, als Bundesſtaat bezeichnen.“ H. Schulze Einleitung S. 432, und die Mehrzahl der Schriftſteller über die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes und Deutſchen Reiches ſchreiben dem Norddeutſchen Bunde grade des- halb den Charakter des Bundesſtaates zu, „weil die Bundesgewalt innerhalb ihrer Sphäre keineswegs blos auf die Vermittelung der Einzelſtaaten, auf die Re- quiſition der Einzelregierungen angewieſen iſt, ſondern weil ſie ſich an die einzelnen Bürger wendet, unmittelbar ein- greift und durch ihre eigenen Organe verwaltet 1).“ Unter den Anhängern der herrſchenden Theorie vom Bundes- 5) 1) Ganz in derſelben Weiſe erklärt Zachariä „die Verf.-Aender. nach Art. 78“ S. 19 den Nordd. Bund, „trotzdem er nicht vollſtändig und nicht rein die Prinzipien des Bundesſtaats verwirklicht,“ deshalb für einen Bundesſtaat, weil er die Befugniß hat, für die Glieder (Individuen) unmittelbar verbind- liches Recht zu ſchaffen. 5) Einzelſtaaten und deren Regierungen, wenn dieſen auch eine große Sphäre der Selbſtſtändigkeit belaſſen iſt.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/97>, abgerufen am 23.11.2024.