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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
für diese Auffassung nicht nur keine Gründe beigebracht, sondern
der Wortlaut des Bündnißvertrages vom 16. August 1866, die
Beschränkung der Dauer des Bündnisses auf längstens ein Jahr,
die Mitwirkung eines Reichstages bei Feststellung der Verfassung,
stehen ihr entgegen 1).

Auch aus den Vorgängen bei Gründung des Deutschen Rei-
ches ist Nichts zu entnehmen, was für ein vertragsmäßiges Ver-
hältniß der Mitglieder zu einander in das Gewicht fiele. Die
November-Verträge begründeten allerdings vertragsmäßige Rechte
und Pflichten der Contrahenten; aber der Inhalt derselben bezog
sich nur auf den Eintritt und die Aufnahme der süddeutschen
Staaten in den unter den Norddeutschen Staaten bereits bestehen-
den Bund. Mit dem erfolgten Eintritt waren diese vertragsmä-
ßigen Rechte und Pflichten durch Erfüllung erloschen 2). Jeden-
falls wurde das für die Norddeutschen Staaten bereits bestehende
Bundesverhältniß nicht in seiner rechtlichen Natur verändert,
sondern nur erweitert; hatte daher der Norddeutsche Bund den
Charakter eines Staates, so kommt derselbe auch dem zum Deut-
schen Reiche erweiterten Bunde zu 3). Endlich wird die Annahme,
daß die Absicht der vertragschließenden Theile auf die Begründung
eines völkerrechtlichen Verhältnisses von fortdauernd vertragsmä-
ßigem Charakter gerichtet war, durch die Thatsache widerlegt, daß
die definitive Redaction der Grundsätze, über welche man sich bei
den Verhandlungen über die Aufnahme der süddeutschen Staaten
geeinigt hatte, nicht in der Form eines Vertrages, sondern in der
Form eines Verfassungs-Gesetzes erfolgte 4).

Man kann sich daher auch nicht auf den Eingang der Ver-
fassung berufen, um die Vertragsnatur des Reiches darzuthun.
Derselbe constatirt nur, daß die Gründung des Reiches durch
den freien ungezwungenen Willen der souveränen Staaten, in
Folge eines unter ihnen abgeschlossenen Vertrages stattgefunden
hat 5). Man darf aber nicht das Rechtsverhältniß, welches zur

1) Vgl. Hänel S. 69 ff. und oben S. 19. 26.
2) Siehe oben S. 43.
3) Hänel S. 79 fg.
4) Hänel S. 89. Siehe oben S. 49. 50.
5) v. Mohl Reichsstaatsrecht S. 49.

§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
für dieſe Auffaſſung nicht nur keine Gründe beigebracht, ſondern
der Wortlaut des Bündnißvertrages vom 16. Auguſt 1866, die
Beſchränkung der Dauer des Bündniſſes auf längſtens ein Jahr,
die Mitwirkung eines Reichstages bei Feſtſtellung der Verfaſſung,
ſtehen ihr entgegen 1).

Auch aus den Vorgängen bei Gründung des Deutſchen Rei-
ches iſt Nichts zu entnehmen, was für ein vertragsmäßiges Ver-
hältniß der Mitglieder zu einander in das Gewicht fiele. Die
November-Verträge begründeten allerdings vertragsmäßige Rechte
und Pflichten der Contrahenten; aber der Inhalt derſelben bezog
ſich nur auf den Eintritt und die Aufnahme der ſüddeutſchen
Staaten in den unter den Norddeutſchen Staaten bereits beſtehen-
den Bund. Mit dem erfolgten Eintritt waren dieſe vertragsmä-
ßigen Rechte und Pflichten durch Erfüllung erloſchen 2). Jeden-
falls wurde das für die Norddeutſchen Staaten bereits beſtehende
Bundesverhältniß nicht in ſeiner rechtlichen Natur verändert,
ſondern nur erweitert; hatte daher der Norddeutſche Bund den
Charakter eines Staates, ſo kommt derſelbe auch dem zum Deut-
ſchen Reiche erweiterten Bunde zu 3). Endlich wird die Annahme,
daß die Abſicht der vertragſchließenden Theile auf die Begründung
eines völkerrechtlichen Verhältniſſes von fortdauernd vertragsmä-
ßigem Charakter gerichtet war, durch die Thatſache widerlegt, daß
die definitive Redaction der Grundſätze, über welche man ſich bei
den Verhandlungen über die Aufnahme der ſüddeutſchen Staaten
geeinigt hatte, nicht in der Form eines Vertrages, ſondern in der
Form eines Verfaſſungs-Geſetzes erfolgte 4).

Man kann ſich daher auch nicht auf den Eingang der Ver-
faſſung berufen, um die Vertragsnatur des Reiches darzuthun.
Derſelbe conſtatirt nur, daß die Gründung des Reiches durch
den freien ungezwungenen Willen der ſouveränen Staaten, in
Folge eines unter ihnen abgeſchloſſenen Vertrages ſtattgefunden
hat 5). Man darf aber nicht das Rechtsverhältniß, welches zur

1) Vgl. Hänel S. 69 ff. und oben S. 19. 26.
2) Siehe oben S. 43.
3) Hänel S. 79 fg.
4) Hänel S. 89. Siehe oben S. 49. 50.
5) v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 49.
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[61/0081] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. für dieſe Auffaſſung nicht nur keine Gründe beigebracht, ſondern der Wortlaut des Bündnißvertrages vom 16. Auguſt 1866, die Beſchränkung der Dauer des Bündniſſes auf längſtens ein Jahr, die Mitwirkung eines Reichstages bei Feſtſtellung der Verfaſſung, ſtehen ihr entgegen 1). Auch aus den Vorgängen bei Gründung des Deutſchen Rei- ches iſt Nichts zu entnehmen, was für ein vertragsmäßiges Ver- hältniß der Mitglieder zu einander in das Gewicht fiele. Die November-Verträge begründeten allerdings vertragsmäßige Rechte und Pflichten der Contrahenten; aber der Inhalt derſelben bezog ſich nur auf den Eintritt und die Aufnahme der ſüddeutſchen Staaten in den unter den Norddeutſchen Staaten bereits beſtehen- den Bund. Mit dem erfolgten Eintritt waren dieſe vertragsmä- ßigen Rechte und Pflichten durch Erfüllung erloſchen 2). Jeden- falls wurde das für die Norddeutſchen Staaten bereits beſtehende Bundesverhältniß nicht in ſeiner rechtlichen Natur verändert, ſondern nur erweitert; hatte daher der Norddeutſche Bund den Charakter eines Staates, ſo kommt derſelbe auch dem zum Deut- ſchen Reiche erweiterten Bunde zu 3). Endlich wird die Annahme, daß die Abſicht der vertragſchließenden Theile auf die Begründung eines völkerrechtlichen Verhältniſſes von fortdauernd vertragsmä- ßigem Charakter gerichtet war, durch die Thatſache widerlegt, daß die definitive Redaction der Grundſätze, über welche man ſich bei den Verhandlungen über die Aufnahme der ſüddeutſchen Staaten geeinigt hatte, nicht in der Form eines Vertrages, ſondern in der Form eines Verfaſſungs-Geſetzes erfolgte 4). Man kann ſich daher auch nicht auf den Eingang der Ver- faſſung berufen, um die Vertragsnatur des Reiches darzuthun. Derſelbe conſtatirt nur, daß die Gründung des Reiches durch den freien ungezwungenen Willen der ſouveränen Staaten, in Folge eines unter ihnen abgeſchloſſenen Vertrages ſtattgefunden hat 5). Man darf aber nicht das Rechtsverhältniß, welches zur 1) Vgl. Hänel S. 69 ff. und oben S. 19. 26. 2) Siehe oben S. 43. 3) Hänel S. 79 fg. 4) Hänel S. 89. Siehe oben S. 49. 50. 5) v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 49.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/81>, abgerufen am 24.11.2024.