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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
Versuch unternommen, das Reich als einen Staatenbund aufzu-
fassen und die Bestimmungen der Reichsverfassung von diesem
Prinzip aus zu erklären.

Dieser Versuch ist um so beachtenswerther als die Gründe,
welche man für den staatlichen Charakter des Reiches anzuführen
pflegt, zum Theil in der That nicht zwingend sind, sondern sich
mit dem Charakter des Reiches als Staatenbund vereinigen lassen.

Seydel geht davon aus, daß der Staat die höchste, voll-
kommene Einigung ist für die Menschen, die er umfaßt; daß der
ihn beherrschende Wille ein einheitlicher sein muß; daß mithin
der herkömmliche Begriff des Bundesstaates, der eine Theilung
der Souveränetät voraussetzt, ein wissenschaftlich unmöglicher sei,
weil er im Widerspruch steht mit dem Wesen des Staates. Wenn
daher mehrere bisher selbstständige Staaten sich vereinigen, so
seien nur zwei Fälle denkbar. Entweder die Vereinigung sei ein
Staat, dann hören die vereinigten Staaten auf, es zu sein; oder
die vereinigten Staaten bleiben Staaten, dann könne die Verei-
nigung kein Staat, sondern nur ein Staatenbund sein 1). Mit
diesem Obersatz sind wir, wie sich aus dem folgenden Paragra-
phen näher ergeben wird, in einer wesentlichen Beziehung einver-
standen.

Seydel2) argumentirt nun weiter: Aus der Entstehungs-
geschichte des Norddeutschen Bundes und des Reiches ergebe sich,
daß die Staaten, die sich zu ihm vereinigten, einen Vertrag
schlossen
zur gemeinsamen Ausübung einzelner bestimmter
Souveränetätsrechte, daß sie aber nicht ihre eigene staatliche Exi-
stenz vernichten wollten. Dies werde bestätigt durch den Wortlaut
der Verfassung, namentlich durch den Eingang derselben, der die
vertragschließenden Souveräne aufführt und das Deutsche Reich
als einen ewigen Bund bezeichnet und durch die in der Verfassung
mehrfach wiederkehrende Bezeichnung der Bundesglieder als Staa-
ten
. Ergiebt sich hieraus, daß die Glieder des Reiches Staaten
geblieben sind, so folge mit Nothwendigkeit, daß das Reich kein
Staat, sondern ein Bündniß von Staaten sei.


und Brie Bundesstaat I S. 81 fg. Hinzuzufügen ist noch Koller Verf.
des D. R. S 76 ff.
1) Seydel Kommentar S. 8.
2) a. a. O. S. 9 fg.

§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
Verſuch unternommen, das Reich als einen Staatenbund aufzu-
faſſen und die Beſtimmungen der Reichsverfaſſung von dieſem
Prinzip aus zu erklären.

Dieſer Verſuch iſt um ſo beachtenswerther als die Gründe,
welche man für den ſtaatlichen Charakter des Reiches anzuführen
pflegt, zum Theil in der That nicht zwingend ſind, ſondern ſich
mit dem Charakter des Reiches als Staatenbund vereinigen laſſen.

Seydel geht davon aus, daß der Staat die höchſte, voll-
kommene Einigung iſt für die Menſchen, die er umfaßt; daß der
ihn beherrſchende Wille ein einheitlicher ſein muß; daß mithin
der herkömmliche Begriff des Bundesſtaates, der eine Theilung
der Souveränetät vorausſetzt, ein wiſſenſchaftlich unmöglicher ſei,
weil er im Widerſpruch ſteht mit dem Weſen des Staates. Wenn
daher mehrere bisher ſelbſtſtändige Staaten ſich vereinigen, ſo
ſeien nur zwei Fälle denkbar. Entweder die Vereinigung ſei ein
Staat, dann hören die vereinigten Staaten auf, es zu ſein; oder
die vereinigten Staaten bleiben Staaten, dann könne die Verei-
nigung kein Staat, ſondern nur ein Staatenbund ſein 1). Mit
dieſem Oberſatz ſind wir, wie ſich aus dem folgenden Paragra-
phen näher ergeben wird, in einer weſentlichen Beziehung einver-
ſtanden.

Seydel2) argumentirt nun weiter: Aus der Entſtehungs-
geſchichte des Norddeutſchen Bundes und des Reiches ergebe ſich,
daß die Staaten, die ſich zu ihm vereinigten, einen Vertrag
ſchloſſen
zur gemeinſamen Ausübung einzelner beſtimmter
Souveränetätsrechte, daß ſie aber nicht ihre eigene ſtaatliche Exi-
ſtenz vernichten wollten. Dies werde beſtätigt durch den Wortlaut
der Verfaſſung, namentlich durch den Eingang derſelben, der die
vertragſchließenden Souveräne aufführt und das Deutſche Reich
als einen ewigen Bund bezeichnet und durch die in der Verfaſſung
mehrfach wiederkehrende Bezeichnung der Bundesglieder als Staa-
ten
. Ergiebt ſich hieraus, daß die Glieder des Reiches Staaten
geblieben ſind, ſo folge mit Nothwendigkeit, daß das Reich kein
Staat, ſondern ein Bündniß von Staaten ſei.


und Brie Bundesſtaat I S. 81 fg. Hinzuzufügen iſt noch Koller Verf.
des D. R. S 76 ff.
1) Seydel Kommentar S. 8.
2) a. a. O. S. 9 fg.
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[59/0079] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Verſuch unternommen, das Reich als einen Staatenbund aufzu- faſſen und die Beſtimmungen der Reichsverfaſſung von dieſem Prinzip aus zu erklären. Dieſer Verſuch iſt um ſo beachtenswerther als die Gründe, welche man für den ſtaatlichen Charakter des Reiches anzuführen pflegt, zum Theil in der That nicht zwingend ſind, ſondern ſich mit dem Charakter des Reiches als Staatenbund vereinigen laſſen. Seydel geht davon aus, daß der Staat die höchſte, voll- kommene Einigung iſt für die Menſchen, die er umfaßt; daß der ihn beherrſchende Wille ein einheitlicher ſein muß; daß mithin der herkömmliche Begriff des Bundesſtaates, der eine Theilung der Souveränetät vorausſetzt, ein wiſſenſchaftlich unmöglicher ſei, weil er im Widerſpruch ſteht mit dem Weſen des Staates. Wenn daher mehrere bisher ſelbſtſtändige Staaten ſich vereinigen, ſo ſeien nur zwei Fälle denkbar. Entweder die Vereinigung ſei ein Staat, dann hören die vereinigten Staaten auf, es zu ſein; oder die vereinigten Staaten bleiben Staaten, dann könne die Verei- nigung kein Staat, ſondern nur ein Staatenbund ſein 1). Mit dieſem Oberſatz ſind wir, wie ſich aus dem folgenden Paragra- phen näher ergeben wird, in einer weſentlichen Beziehung einver- ſtanden. Seydel 2) argumentirt nun weiter: Aus der Entſtehungs- geſchichte des Norddeutſchen Bundes und des Reiches ergebe ſich, daß die Staaten, die ſich zu ihm vereinigten, einen Vertrag ſchloſſen zur gemeinſamen Ausübung einzelner beſtimmter Souveränetätsrechte, daß ſie aber nicht ihre eigene ſtaatliche Exi- ſtenz vernichten wollten. Dies werde beſtätigt durch den Wortlaut der Verfaſſung, namentlich durch den Eingang derſelben, der die vertragſchließenden Souveräne aufführt und das Deutſche Reich als einen ewigen Bund bezeichnet und durch die in der Verfaſſung mehrfach wiederkehrende Bezeichnung der Bundesglieder als Staa- ten. Ergiebt ſich hieraus, daß die Glieder des Reiches Staaten geblieben ſind, ſo folge mit Nothwendigkeit, daß das Reich kein Staat, ſondern ein Bündniß von Staaten ſei. 1) 1) Seydel Kommentar S. 8. 2) a. a. O. S. 9 fg. 1) und Brie Bundesſtaat I S. 81 fg. Hinzuzufügen iſt noch Koller Verf. des D. R. S 76 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/79>, abgerufen am 25.11.2024.