VIII. Wenn es richtig ist, daß das Reichsland kein Staat ist, so ergiebt sich als nothwendige Folge, daß es auch keine elsaß- lothringische Staatsangehörigkeit giebt. Der begriffliche Unter- schied zwischen Staats-Bürgerrecht und Reichs-Bürgerrecht, der für alle Deutsche Staaten oben §. 13 fg. durchgeführt worden ist, hat für das Reichsland keinen Raum; die Elsaß-Lothringer sind Deutsche in derselben Art, wie die Pommern oder Brandenburger Preußen sind.
Diesem Satze scheint es zu widersprechen, daß das Reichsge- setz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staats- angehörigkeit vom 1. Juni 1870 durch Ges. v. 8. Januar 1873 in Elsaß-Lothringen eingeführt worden ist, da nach §. 1 dieses Gesetzes die Bundesangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate erworben wird und mit deren Verlust er- lischt. Die Einführung dieses Gesetzes in Elsaß-Lothringen hat aber materiell nur die Folge, daß dieselben Thatsachen, welche in den Bundesstaaten den Erwerb oder Verlust der Staatsange- hörigkeit und in untrennbarem Zusammenhange damit den der Reichsangehörigkeit begründen, in Elsaß-Lothringen unmittelbar den Erwerb oder Verlust der Reichsangehörigkeit bewirken, und daß formell die Behörden des Reichslandes dasselbe Verfahren beobachten, wie im übrigen Reichsgebiet die Behörden der Einzel- staaten 1).
Dagegen giebt es kein vom Reichsbürgerrecht verschiedenes Staatsbürgerrecht von Elsaß-Lothringen mit eigenem Inhalt und spezifischen Rechtswirkungen. Wir haben oben im §. 16 für die Bundesstaaten als die spezifischen Rechtswirkungen des Staats- bürgerrechts im Einzelstaate vier nachgewiesen.
1) Die Gehorsamspflicht gegen die Einzelstaats- Gewalt. Da in Elsaß-Lothringen die Staatsgewalt mit der
1) Nach dem im Bezirke Unter-Elsaß im Gebrauche befindlichen Formular für die Entlassungs-Urkunde, wird dem Auswanderer "die Entlassung aus der Landesangehörigkeit von Els.-Lothr. ertheilt"; nach dem Formular für die Naturalisation: "die Naturalisation als Landesangehöriger von Els.-Lothr." In den Formularen für die Benachrichtigungsschreiben an das Bezirks-Com- mando heißt es dagegen, daß die Entlassung aus der elaß-lothringischen Staats- angehörigkeit ertheilt, resp. N.N. in den elsaß-lothringischen Staatsver- band aufgenommen worden sei.
§. 54. Bundesglied und Reichsland.
VIII. Wenn es richtig iſt, daß das Reichsland kein Staat iſt, ſo ergiebt ſich als nothwendige Folge, daß es auch keine elſaß- lothringiſche Staatsangehörigkeit giebt. Der begriffliche Unter- ſchied zwiſchen Staats-Bürgerrecht und Reichs-Bürgerrecht, der für alle Deutſche Staaten oben §. 13 fg. durchgeführt worden iſt, hat für das Reichsland keinen Raum; die Elſaß-Lothringer ſind Deutſche in derſelben Art, wie die Pommern oder Brandenburger Preußen ſind.
Dieſem Satze ſcheint es zu widerſprechen, daß das Reichsge- ſetz über die Erwerbung und den Verluſt der Bundes- und Staats- angehörigkeit vom 1. Juni 1870 durch Geſ. v. 8. Januar 1873 in Elſaß-Lothringen eingeführt worden iſt, da nach §. 1 dieſes Geſetzes die Bundesangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesſtaate erworben wird und mit deren Verluſt er- liſcht. Die Einführung dieſes Geſetzes in Elſaß-Lothringen hat aber materiell nur die Folge, daß dieſelben Thatſachen, welche in den Bundesſtaaten den Erwerb oder Verluſt der Staatsange- hörigkeit und in untrennbarem Zuſammenhange damit den der Reichsangehörigkeit begründen, in Elſaß-Lothringen unmittelbar den Erwerb oder Verluſt der Reichsangehörigkeit bewirken, und daß formell die Behörden des Reichslandes daſſelbe Verfahren beobachten, wie im übrigen Reichsgebiet die Behörden der Einzel- ſtaaten 1).
Dagegen giebt es kein vom Reichsbürgerrecht verſchiedenes Staatsbürgerrecht von Elſaß-Lothringen mit eigenem Inhalt und ſpezifiſchen Rechtswirkungen. Wir haben oben im §. 16 für die Bundesſtaaten als die ſpezifiſchen Rechtswirkungen des Staats- bürgerrechts im Einzelſtaate vier nachgewieſen.
1) Die Gehorſamspflicht gegen die Einzelſtaats- Gewalt. Da in Elſaß-Lothringen die Staatsgewalt mit der
1) Nach dem im Bezirke Unter-Elſaß im Gebrauche befindlichen Formular für die Entlaſſungs-Urkunde, wird dem Auswanderer „die Entlaſſung aus der Landesangehörigkeit von Elſ.-Lothr. ertheilt“; nach dem Formular für die Naturaliſation: „die Naturaliſation als Landesangehöriger von Elſ.-Lothr.“ In den Formularen für die Benachrichtigungsſchreiben an das Bezirks-Com- mando heißt es dagegen, daß die Entlaſſung aus der elaß-lothringiſchen Staats- angehörigkeit ertheilt, reſp. N.N. in den elſaß-lothringiſchen Staatsver- band aufgenommen worden ſei.
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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
VIII. Wenn es richtig iſt, daß das Reichsland kein Staat iſt,
ſo ergiebt ſich als nothwendige Folge, daß es auch keine elſaß-
lothringiſche Staatsangehörigkeit giebt. Der begriffliche Unter-
ſchied zwiſchen Staats-Bürgerrecht und Reichs-Bürgerrecht, der
für alle Deutſche Staaten oben §. 13 fg. durchgeführt worden iſt,
hat für das Reichsland keinen Raum; die Elſaß-Lothringer ſind
Deutſche in derſelben Art, wie die Pommern oder Brandenburger
Preußen ſind.
Dieſem Satze ſcheint es zu widerſprechen, daß das Reichsge-
ſetz über die Erwerbung und den Verluſt der Bundes- und Staats-
angehörigkeit vom 1. Juni 1870 durch Geſ. v. 8. Januar 1873
in Elſaß-Lothringen eingeführt worden iſt, da nach §. 1 dieſes
Geſetzes die Bundesangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeit
in einem Bundesſtaate erworben wird und mit deren Verluſt er-
liſcht. Die Einführung dieſes Geſetzes in Elſaß-Lothringen hat aber
materiell nur die Folge, daß dieſelben Thatſachen, welche
in den Bundesſtaaten den Erwerb oder Verluſt der Staatsange-
hörigkeit und in untrennbarem Zuſammenhange damit den der
Reichsangehörigkeit begründen, in Elſaß-Lothringen unmittelbar
den Erwerb oder Verluſt der Reichsangehörigkeit bewirken, und
daß formell die Behörden des Reichslandes daſſelbe Verfahren
beobachten, wie im übrigen Reichsgebiet die Behörden der Einzel-
ſtaaten 1).
Dagegen giebt es kein vom Reichsbürgerrecht verſchiedenes
Staatsbürgerrecht von Elſaß-Lothringen mit eigenem Inhalt und
ſpezifiſchen Rechtswirkungen. Wir haben oben im §. 16 für die
Bundesſtaaten als die ſpezifiſchen Rechtswirkungen des Staats-
bürgerrechts im Einzelſtaate vier nachgewieſen.
1) Die Gehorſamspflicht gegen die Einzelſtaats-
Gewalt. Da in Elſaß-Lothringen die Staatsgewalt mit der
1) Nach dem im Bezirke Unter-Elſaß im Gebrauche befindlichen Formular
für die Entlaſſungs-Urkunde, wird dem Auswanderer „die Entlaſſung aus der
Landesangehörigkeit von Elſ.-Lothr. ertheilt“; nach dem Formular für die
Naturaliſation: „die Naturaliſation als Landesangehöriger von Elſ.-Lothr.“
In den Formularen für die Benachrichtigungsſchreiben an das Bezirks-Com-
mando heißt es dagegen, daß die Entlaſſung aus der elaß-lothringiſchen Staats-
angehörigkeit ertheilt, reſp. N.N. in den elſaß-lothringiſchen Staatsver-
band aufgenommen worden ſei.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/614>, abgerufen am 24.07.2024.
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