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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
den Gliedstaaten des Reiches fällt vollständig zu-
sammen mit dem begrifflichen Gegensatze zwischen
dem dezentralisirten Einheitsstaate und dem Bun-
desstaate
. Würden alle deutschen Staatsgebiete zu Reichsland
erklärt, so wäre Deutschland kein Bundesstaat mehr und die Staats-
gebiete wären einfach Provinzen des Reichs, auch wenn Gesetz-
gebung und Verwaltung noch weniger centralisirt wären wie ge-
genwärtig; bleibt in den deutschen Einzel-Staaten dagegen eine
selbstständige, nicht in der Reichsgewalt wurzelnde Landeshoheit
und Staatsgewalt bestehen, so wird auch der bundesstaatliche Cha-
rakter des Reiches bewahrt, wenngleich die Kompetenz der Reichs-
gewalt auf Kosten der Selbstverwaltung und Autonomie der Ein-
zelstaaten erweitert werden sollte. Das Maaß der Dezentralisation
kann in dem Einheitsstaat und in dem Bundesstaat genau dasselbe,
ja es kann in dem ersteren bedeutend größer sein; die aus dem
Begriffe sich ergebenden Gegensätze zwischen Einheitsstaat und
Bundesstaat bleiben bestehen.

Die Vergleichung zwischen dem Verhältniß Elsaß-Lothringens
zum Reiche und dem Verhältniß der Gliedstaaten zum Reiche ist
daher deshalb so lehrreich und von so weitreichender staatsrecht-
licher Bedeutung, weil sie dazu dient, den Begriff des Bundes-
staates nach der Seite des dezentralisirten Einheitsstaates hin ab-
zugrenzen, während bisher die Theorie sich ausschließlich mit der
Abgrenzung des Bundesstaates gegen den Staatenbund beschäf-
tigt hat.

Diese Gegenüberstellung enthält zugleich die Widerlegung
eines Einwandes, den man gegen die von uns durchgeführte Theorie,
daß im Bundesstaate die Souveränetät nicht zwischen Centralge-
walt und Einzelstaat getheilt ist, sondern der Centralgewalt un-
getheilt zusteht, erheben könnte, nämlich daß dadurch der Gegensatz
zwischen Bundesstaat und Einheitsstaat begrifflich aufgehoben werde.
Die Widerlegung dieses Einwandes wäre überaus erschwert, wenn
sie rein theoretisch sein müßte; durch die Stellung von Elsaß-
Lothringen im Reich können nun aber die logischen Schlußfolge-
rungen zugleich als praktisch verwirklichte Rechtssätze dargelegt
werden. Besonders beachtenswerth ist dabei der Umstand, daß
diese Gegensätze zwischen dem Bundesstaat und dem dezentralisirten
Einheitsstaat sich mit der unbezwinglichen Kraft, welche in der

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
den Gliedſtaaten des Reiches fällt vollſtändig zu-
ſammen mit dem begrifflichen Gegenſatze zwiſchen
dem dezentraliſirten Einheitsſtaate und dem Bun-
desſtaate
. Würden alle deutſchen Staatsgebiete zu Reichsland
erklärt, ſo wäre Deutſchland kein Bundesſtaat mehr und die Staats-
gebiete wären einfach Provinzen des Reichs, auch wenn Geſetz-
gebung und Verwaltung noch weniger centraliſirt wären wie ge-
genwärtig; bleibt in den deutſchen Einzel-Staaten dagegen eine
ſelbſtſtändige, nicht in der Reichsgewalt wurzelnde Landeshoheit
und Staatsgewalt beſtehen, ſo wird auch der bundesſtaatliche Cha-
rakter des Reiches bewahrt, wenngleich die Kompetenz der Reichs-
gewalt auf Koſten der Selbſtverwaltung und Autonomie der Ein-
zelſtaaten erweitert werden ſollte. Das Maaß der Dezentraliſation
kann in dem Einheitsſtaat und in dem Bundesſtaat genau daſſelbe,
ja es kann in dem erſteren bedeutend größer ſein; die aus dem
Begriffe ſich ergebenden Gegenſätze zwiſchen Einheitsſtaat und
Bundesſtaat bleiben beſtehen.

Die Vergleichung zwiſchen dem Verhältniß Elſaß-Lothringens
zum Reiche und dem Verhältniß der Gliedſtaaten zum Reiche iſt
daher deshalb ſo lehrreich und von ſo weitreichender ſtaatsrecht-
licher Bedeutung, weil ſie dazu dient, den Begriff des Bundes-
ſtaates nach der Seite des dezentraliſirten Einheitsſtaates hin ab-
zugrenzen, während bisher die Theorie ſich ausſchließlich mit der
Abgrenzung des Bundesſtaates gegen den Staatenbund beſchäf-
tigt hat.

Dieſe Gegenüberſtellung enthält zugleich die Widerlegung
eines Einwandes, den man gegen die von uns durchgeführte Theorie,
daß im Bundesſtaate die Souveränetät nicht zwiſchen Centralge-
walt und Einzelſtaat getheilt iſt, ſondern der Centralgewalt un-
getheilt zuſteht, erheben könnte, nämlich daß dadurch der Gegenſatz
zwiſchen Bundesſtaat und Einheitsſtaat begrifflich aufgehoben werde.
Die Widerlegung dieſes Einwandes wäre überaus erſchwert, wenn
ſie rein theoretiſch ſein müßte; durch die Stellung von Elſaß-
Lothringen im Reich können nun aber die logiſchen Schlußfolge-
rungen zugleich als praktiſch verwirklichte Rechtsſätze dargelegt
werden. Beſonders beachtenswerth iſt dabei der Umſtand, daß
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Einheitsſtaat ſich mit der unbezwinglichen Kraft, welche in der

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[581/0601] §. 54. Bundesglied und Reichsland. den Gliedſtaaten des Reiches fällt vollſtändig zu- ſammen mit dem begrifflichen Gegenſatze zwiſchen dem dezentraliſirten Einheitsſtaate und dem Bun- desſtaate. Würden alle deutſchen Staatsgebiete zu Reichsland erklärt, ſo wäre Deutſchland kein Bundesſtaat mehr und die Staats- gebiete wären einfach Provinzen des Reichs, auch wenn Geſetz- gebung und Verwaltung noch weniger centraliſirt wären wie ge- genwärtig; bleibt in den deutſchen Einzel-Staaten dagegen eine ſelbſtſtändige, nicht in der Reichsgewalt wurzelnde Landeshoheit und Staatsgewalt beſtehen, ſo wird auch der bundesſtaatliche Cha- rakter des Reiches bewahrt, wenngleich die Kompetenz der Reichs- gewalt auf Koſten der Selbſtverwaltung und Autonomie der Ein- zelſtaaten erweitert werden ſollte. Das Maaß der Dezentraliſation kann in dem Einheitsſtaat und in dem Bundesſtaat genau daſſelbe, ja es kann in dem erſteren bedeutend größer ſein; die aus dem Begriffe ſich ergebenden Gegenſätze zwiſchen Einheitsſtaat und Bundesſtaat bleiben beſtehen. Die Vergleichung zwiſchen dem Verhältniß Elſaß-Lothringens zum Reiche und dem Verhältniß der Gliedſtaaten zum Reiche iſt daher deshalb ſo lehrreich und von ſo weitreichender ſtaatsrecht- licher Bedeutung, weil ſie dazu dient, den Begriff des Bundes- ſtaates nach der Seite des dezentraliſirten Einheitsſtaates hin ab- zugrenzen, während bisher die Theorie ſich ausſchließlich mit der Abgrenzung des Bundesſtaates gegen den Staatenbund beſchäf- tigt hat. Dieſe Gegenüberſtellung enthält zugleich die Widerlegung eines Einwandes, den man gegen die von uns durchgeführte Theorie, daß im Bundesſtaate die Souveränetät nicht zwiſchen Centralge- walt und Einzelſtaat getheilt iſt, ſondern der Centralgewalt un- getheilt zuſteht, erheben könnte, nämlich daß dadurch der Gegenſatz zwiſchen Bundesſtaat und Einheitsſtaat begrifflich aufgehoben werde. Die Widerlegung dieſes Einwandes wäre überaus erſchwert, wenn ſie rein theoretiſch ſein müßte; durch die Stellung von Elſaß- Lothringen im Reich können nun aber die logiſchen Schlußfolge- rungen zugleich als praktiſch verwirklichte Rechtsſätze dargelegt werden. Beſonders beachtenswerth iſt dabei der Umſtand, daß dieſe Gegenſätze zwiſchen dem Bundesſtaat und dem dezentraliſirten Einheitsſtaat ſich mit der unbezwinglichen Kraft, welche in der

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/601>, abgerufen am 22.11.2024.