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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder.

2) "Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied
desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe
bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet wer-
den, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des
nächstfolgenden Tages ergriffen wird." R.-V. Art. 31 Abs. 1.

Dies ist eine Regel des Strafprozesses. Die Genehmigung
des Reichstages ist eine strafprozeßualische Voraussetzung oder Be-
dingung, ohne welche die Behörden eine strafgerichtliche Untersuchung
nicht eröffnen resp. die Verhaftung nicht vornehmen dürfen1). Diese
Bedingung besteht nur "während der Sitzungsperiode"; d. h. vom
Momente der Eröffnung bis zum Momente der Schließung des
Reichstages. Wird der Reichstag vertagt, so währt die Sitzungs-
periode noch fort; die Regel des Art. 31 Abs. 1 besteht daher
auch während der Vertagungsfrist.

Auf die Festnahme eines Reichstags-Mitgliedes zum Zwecke
der Vollstreckung einer rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe kann
die Vorschrift des Art. 31 Abs. 1 seinem Wortlaute nach keine
Anwendung finden. Ein rechtskräftiges Erkenntniß ist keine "mit
Strafe bedrohte Handlung" eines Reichstags-Mitgliedes; die Zu-
sammenstellung der "Verhaftung" mit dem "Ziehen zur Unter-
suchung" deutet darauf hin, daß der Artikel nur von der Unter-
suchungshaft redet, und namentlich kann die Ausnahme, welche sich
gleichmäßig auf das Ziehen zur Untersuchung und die Verhaftung
erstreckt, nämlich der Fall der Ergreifung, "bei Ausübung der
That" oder im Laufe des nächstfolgenden Tages nur von der Unter-
suchungshaft nicht von der Strafvollstreckung verstanden werden.
Sodann wird dies auch durch die Analogie der im Abs. 3 desselben
Artikels enthaltenen Vorschrift bestätigt, wo nur von einer Unterbre-
chung der Untersuchungshaft, nicht der Strafvollstreckung die Rede ist.

Dasselbe Resultat ergiebt auch die Entstehungsgeschichte dieses

dem Reichstags-Mitgliede von Fraktionen, Wahlcomitees, Wählerversammlungen,
politischen Vereinen, Organen der Presse u. s. w. etwa gefordert wird. Eine
solche Forderung kann rechtlich nicht erzwungen werden, ist rechtlich aber auch
nicht untersagt. Siehe oben S. 504. Ausgeschlossen ist dagegen durch Art. 30
eine gerichtliche Verfolgung im Wege des Eivilprozesses wegen Leistung von
Schadens-Ersatzes.
1) Dasselbe gilt von der im §. 197 des R.-St.-G.-B. geforderten "Ermäch-
tigung", welche der Reichstag, wenn eine Beleidigung gegen ihn begangen
worden ist, zur strafrechtlichen Verfolgung derselben zu ertheilen hat.
§. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder.

2) „Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied
deſſelben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe
bedrohten Handlung zur Unterſuchung gezogen oder verhaftet wer-
den, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des
nächſtfolgenden Tages ergriffen wird.“ R.-V. Art. 31 Abſ. 1.

Dies iſt eine Regel des Strafprozeſſes. Die Genehmigung
des Reichstages iſt eine ſtrafprozeßualiſche Vorausſetzung oder Be-
dingung, ohne welche die Behörden eine ſtrafgerichtliche Unterſuchung
nicht eröffnen reſp. die Verhaftung nicht vornehmen dürfen1). Dieſe
Bedingung beſteht nur „während der Sitzungsperiode“; d. h. vom
Momente der Eröffnung bis zum Momente der Schließung des
Reichstages. Wird der Reichstag vertagt, ſo währt die Sitzungs-
periode noch fort; die Regel des Art. 31 Abſ. 1 beſteht daher
auch während der Vertagungsfriſt.

Auf die Feſtnahme eines Reichstags-Mitgliedes zum Zwecke
der Vollſtreckung einer rechtskräftig erkannten Freiheitsſtrafe kann
die Vorſchrift des Art. 31 Abſ. 1 ſeinem Wortlaute nach keine
Anwendung finden. Ein rechtskräftiges Erkenntniß iſt keine „mit
Strafe bedrohte Handlung“ eines Reichstags-Mitgliedes; die Zu-
ſammenſtellung der „Verhaftung“ mit dem „Ziehen zur Unter-
ſuchung“ deutet darauf hin, daß der Artikel nur von der Unter-
ſuchungshaft redet, und namentlich kann die Ausnahme, welche ſich
gleichmäßig auf das Ziehen zur Unterſuchung und die Verhaftung
erſtreckt, nämlich der Fall der Ergreifung, „bei Ausübung der
That“ oder im Laufe des nächſtfolgenden Tages nur von der Unter-
ſuchungshaft nicht von der Strafvollſtreckung verſtanden werden.
Sodann wird dies auch durch die Analogie der im Abſ. 3 deſſelben
Artikels enthaltenen Vorſchrift beſtätigt, wo nur von einer Unterbre-
chung der Unterſuchungshaft, nicht der Strafvollſtreckung die Rede iſt.

Daſſelbe Reſultat ergiebt auch die Entſtehungsgeſchichte dieſes

dem Reichstags-Mitgliede von Fraktionen, Wahlcomitees, Wählerverſammlungen,
politiſchen Vereinen, Organen der Preſſe u. ſ. w. etwa gefordert wird. Eine
ſolche Forderung kann rechtlich nicht erzwungen werden, iſt rechtlich aber auch
nicht unterſagt. Siehe oben S. 504. Ausgeſchloſſen iſt dagegen durch Art. 30
eine gerichtliche Verfolgung im Wege des Eivilprozeſſes wegen Leiſtung von
Schadens-Erſatzes.
1) Daſſelbe gilt von der im §. 197 des R.-St.-G.-B. geforderten „Ermäch-
tigung“, welche der Reichstag, wenn eine Beleidigung gegen ihn begangen
worden iſt, zur ſtrafrechtlichen Verfolgung derſelben zu ertheilen hat.
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[572/0592] §. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder. 2) „Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied deſſelben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Unterſuchung gezogen oder verhaftet wer- den, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des nächſtfolgenden Tages ergriffen wird.“ R.-V. Art. 31 Abſ. 1. Dies iſt eine Regel des Strafprozeſſes. Die Genehmigung des Reichstages iſt eine ſtrafprozeßualiſche Vorausſetzung oder Be- dingung, ohne welche die Behörden eine ſtrafgerichtliche Unterſuchung nicht eröffnen reſp. die Verhaftung nicht vornehmen dürfen 1). Dieſe Bedingung beſteht nur „während der Sitzungsperiode“; d. h. vom Momente der Eröffnung bis zum Momente der Schließung des Reichstages. Wird der Reichstag vertagt, ſo währt die Sitzungs- periode noch fort; die Regel des Art. 31 Abſ. 1 beſteht daher auch während der Vertagungsfriſt. Auf die Feſtnahme eines Reichstags-Mitgliedes zum Zwecke der Vollſtreckung einer rechtskräftig erkannten Freiheitsſtrafe kann die Vorſchrift des Art. 31 Abſ. 1 ſeinem Wortlaute nach keine Anwendung finden. Ein rechtskräftiges Erkenntniß iſt keine „mit Strafe bedrohte Handlung“ eines Reichstags-Mitgliedes; die Zu- ſammenſtellung der „Verhaftung“ mit dem „Ziehen zur Unter- ſuchung“ deutet darauf hin, daß der Artikel nur von der Unter- ſuchungshaft redet, und namentlich kann die Ausnahme, welche ſich gleichmäßig auf das Ziehen zur Unterſuchung und die Verhaftung erſtreckt, nämlich der Fall der Ergreifung, „bei Ausübung der That“ oder im Laufe des nächſtfolgenden Tages nur von der Unter- ſuchungshaft nicht von der Strafvollſtreckung verſtanden werden. Sodann wird dies auch durch die Analogie der im Abſ. 3 deſſelben Artikels enthaltenen Vorſchrift beſtätigt, wo nur von einer Unterbre- chung der Unterſuchungshaft, nicht der Strafvollſtreckung die Rede iſt. Daſſelbe Reſultat ergiebt auch die Entſtehungsgeſchichte dieſes 3) 1) Daſſelbe gilt von der im §. 197 des R.-St.-G.-B. geforderten „Ermäch- tigung“, welche der Reichstag, wenn eine Beleidigung gegen ihn begangen worden iſt, zur ſtrafrechtlichen Verfolgung derſelben zu ertheilen hat. 3) dem Reichstags-Mitgliede von Fraktionen, Wahlcomitees, Wählerverſammlungen, politiſchen Vereinen, Organen der Preſſe u. ſ. w. etwa gefordert wird. Eine ſolche Forderung kann rechtlich nicht erzwungen werden, iſt rechtlich aber auch nicht unterſagt. Siehe oben S. 504. Ausgeſchloſſen iſt dagegen durch Art. 30 eine gerichtliche Verfolgung im Wege des Eivilprozeſſes wegen Leiſtung von Schadens-Erſatzes.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/592>, abgerufen am 22.11.2024.