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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 48. Die Zuständigkeit des Reichstages.
Ueberweisung zugleich ein Urtheil über die Berechtigung der
vorgelegten Bitte und, wenn diese Bitte thatsächlich auf die Dar-
legung von Handlungen oder Unterlassungen der Reichsbehörden
gestüzt ist, eine vom Reichstage gefällte Kritik über das Verfahren
der letzteren. Daher gewährt der Art. 23 ein constitutionelles
Recht des Reichstages, Verletzungen der Gesetze Seitens der Reichs-
verwaltung oder der Staatsbehörden auf dem den Einzelstaaten
überlassenen Gebiete der Selbstverwaltung zu rügen und thatsäch-
liche Uebelstände oder Mängel, welche Abhülfe erfordern, in amt-
licher Weise zu erörtern. Den staatsrechtlichen Inhalt des "Peti-
tionsrechts" bildet nicht die Befugniß der Einzelnen, sich an den
Reichstag mit einer Bitte zu wenden, sondern die Befugniß des
Reichstages zur Ueberweisung der an ihn gerichteten Petitionen
an die Regierungsorgane des Reiches. Wenngleich der vom Reichs-
tage gefaßte Beschluß weder unmittelbar Abhülfe schaffen kann,
noch für die anderen Organe des Reiches und die Verwaltungs-
behörden der Staaten formell bindend ist, so verleiht doch das im
Art. 23 der R.-V. anerkannte Recht dem Reichstage gewissermaßen
die Stellung eines öffentlichrechtlichen Rügegerichts den Verwal-
tungsbehörden gegenüber.

V. Die eigentlich staatsrechtlichen Befugnisse des Reichstages
in Bezug auf die Lebensthätigkeit des Reiches sind durch die im
Vorstehenden aufgezählten Rechte erschöpft. Hinzuzufügen bleibt
nur noch, daß die Ausübung dieser Befugnisse des Reichstages
den anderen Reichsorganen gegenüber dadurch gesichert ist, daß
dem Reichstage die Regelung seiner eigenen, internen Angelegen-
heiten zusteht. Nach Art. 27 der R.-V. hat der Reichstag die
Befugniß:

1) die Legitimation seiner Mitglieder zu prüfen und darüber
zu entscheiden.


gegenzunehmen. Auch Ausländer sind durch Nichts gehindert, bei dem Reichs-
tag Petitionen einzureichen, und der Reichstag ist nach Art. 23 befugt, auch
sie dem Bundesrathe oder Reichskanzler zu überweisen. Das Recht beim
Deutschen Reichstage zu petitioniren, wäre daher, wenn überhaupt ein Recht,
kein Recht der Deutschen Reichsbürger, sondern aller "Weltbürger." Nur von
einem Rechte des Reichstags in dem im Text entwickelten Sinne kann man
sprechen, wenn man nicht "Recht" jede Thätigkeit nennen will, welche nicht
verboten ist.

§. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages.
Ueberweiſung zugleich ein Urtheil über die Berechtigung der
vorgelegten Bitte und, wenn dieſe Bitte thatſächlich auf die Dar-
legung von Handlungen oder Unterlaſſungen der Reichsbehörden
geſtüzt iſt, eine vom Reichstage gefällte Kritik über das Verfahren
der letzteren. Daher gewährt der Art. 23 ein conſtitutionelles
Recht des Reichstages, Verletzungen der Geſetze Seitens der Reichs-
verwaltung oder der Staatsbehörden auf dem den Einzelſtaaten
überlaſſenen Gebiete der Selbſtverwaltung zu rügen und thatſäch-
liche Uebelſtände oder Mängel, welche Abhülfe erfordern, in amt-
licher Weiſe zu erörtern. Den ſtaatsrechtlichen Inhalt des „Peti-
tionsrechts“ bildet nicht die Befugniß der Einzelnen, ſich an den
Reichstag mit einer Bitte zu wenden, ſondern die Befugniß des
Reichstages zur Ueberweiſung der an ihn gerichteten Petitionen
an die Regierungsorgane des Reiches. Wenngleich der vom Reichs-
tage gefaßte Beſchluß weder unmittelbar Abhülfe ſchaffen kann,
noch für die anderen Organe des Reiches und die Verwaltungs-
behörden der Staaten formell bindend iſt, ſo verleiht doch das im
Art. 23 der R.-V. anerkannte Recht dem Reichstage gewiſſermaßen
die Stellung eines öffentlichrechtlichen Rügegerichts den Verwal-
tungsbehörden gegenüber.

V. Die eigentlich ſtaatsrechtlichen Befugniſſe des Reichstages
in Bezug auf die Lebensthätigkeit des Reiches ſind durch die im
Vorſtehenden aufgezählten Rechte erſchöpft. Hinzuzufügen bleibt
nur noch, daß die Ausübung dieſer Befugniſſe des Reichstages
den anderen Reichsorganen gegenüber dadurch geſichert iſt, daß
dem Reichstage die Regelung ſeiner eigenen, internen Angelegen-
heiten zuſteht. Nach Art. 27 der R.-V. hat der Reichstag die
Befugniß:

1) die Legitimation ſeiner Mitglieder zu prüfen und darüber
zu entſcheiden.


gegenzunehmen. Auch Ausländer ſind durch Nichts gehindert, bei dem Reichs-
tag Petitionen einzureichen, und der Reichstag iſt nach Art. 23 befugt, auch
ſie dem Bundesrathe oder Reichskanzler zu überweiſen. Das Recht beim
Deutſchen Reichstage zu petitioniren, wäre daher, wenn überhaupt ein Recht,
kein Recht der Deutſchen Reichsbürger, ſondern aller „Weltbürger.“ Nur von
einem Rechte des Reichstags in dem im Text entwickelten Sinne kann man
ſprechen, wenn man nicht „Recht“ jede Thätigkeit nennen will, welche nicht
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[520/0540] §. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages. Ueberweiſung zugleich ein Urtheil über die Berechtigung der vorgelegten Bitte und, wenn dieſe Bitte thatſächlich auf die Dar- legung von Handlungen oder Unterlaſſungen der Reichsbehörden geſtüzt iſt, eine vom Reichstage gefällte Kritik über das Verfahren der letzteren. Daher gewährt der Art. 23 ein conſtitutionelles Recht des Reichstages, Verletzungen der Geſetze Seitens der Reichs- verwaltung oder der Staatsbehörden auf dem den Einzelſtaaten überlaſſenen Gebiete der Selbſtverwaltung zu rügen und thatſäch- liche Uebelſtände oder Mängel, welche Abhülfe erfordern, in amt- licher Weiſe zu erörtern. Den ſtaatsrechtlichen Inhalt des „Peti- tionsrechts“ bildet nicht die Befugniß der Einzelnen, ſich an den Reichstag mit einer Bitte zu wenden, ſondern die Befugniß des Reichstages zur Ueberweiſung der an ihn gerichteten Petitionen an die Regierungsorgane des Reiches. Wenngleich der vom Reichs- tage gefaßte Beſchluß weder unmittelbar Abhülfe ſchaffen kann, noch für die anderen Organe des Reiches und die Verwaltungs- behörden der Staaten formell bindend iſt, ſo verleiht doch das im Art. 23 der R.-V. anerkannte Recht dem Reichstage gewiſſermaßen die Stellung eines öffentlichrechtlichen Rügegerichts den Verwal- tungsbehörden gegenüber. V. Die eigentlich ſtaatsrechtlichen Befugniſſe des Reichstages in Bezug auf die Lebensthätigkeit des Reiches ſind durch die im Vorſtehenden aufgezählten Rechte erſchöpft. Hinzuzufügen bleibt nur noch, daß die Ausübung dieſer Befugniſſe des Reichstages den anderen Reichsorganen gegenüber dadurch geſichert iſt, daß dem Reichstage die Regelung ſeiner eigenen, internen Angelegen- heiten zuſteht. Nach Art. 27 der R.-V. hat der Reichstag die Befugniß: 1) die Legitimation ſeiner Mitglieder zu prüfen und darüber zu entſcheiden. 4) 4) gegenzunehmen. Auch Ausländer ſind durch Nichts gehindert, bei dem Reichs- tag Petitionen einzureichen, und der Reichstag iſt nach Art. 23 befugt, auch ſie dem Bundesrathe oder Reichskanzler zu überweiſen. Das Recht beim Deutſchen Reichstage zu petitioniren, wäre daher, wenn überhaupt ein Recht, kein Recht der Deutſchen Reichsbürger, ſondern aller „Weltbürger.“ Nur von einem Rechte des Reichstags in dem im Text entwickelten Sinne kann man ſprechen, wenn man nicht „Recht“ jede Thätigkeit nennen will, welche nicht verboten iſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/540>, abgerufen am 25.11.2024.