Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
um die Erfüllung der Dienstpflicht zu erzwingen. Der Staat be-
darf hierzu keiner Klage vor den Gerichten, denn er steht seinen
Beamten nicht als gleichberechtigte Partei, sondern als Dienstherr
gegenüber. Die privatrechtliche Klage würde ihm auch nichts
nützen, denn der Schaden, der ihm durch Nichterfüllung oder nicht
ordnungsmäßige Erfüllung erwächst, ist nur selten in Geld zu
schätzen und durch Leistung des pekuniären Interesses auszugleichen.
Andererseits ist der Staat auf seine Disciplinargewalt beschränkt;
er hat keine privatrechtliche Klage gegen seine Beamten auf Erfül-
lung der Dienstpflicht; es giebt keine Exekution, durch welche die-
selben zur Leistung ihrer amtlichen Dienste angehalten werden
können 1).

Also nicht statt der Ahndung von Verbrechen und Vergehen
durch die Strafjustiz tritt die Disciplinarstrafe ein, sondern sie
steht an Stelle der Kontraktsklage auf Leistung. Die Regel ne
bis in idem
wird nicht dadurch verletzt, daß die Disciplinargewalt
neben der öffentlichen Bestrafung geltend gemacht wird, sondern
sie würde dadurch verletzt werden, wenn der Staat neben der
Handhabung des Disciplinarzwanges noch eine vermögensrechtliche
Contractsklage auf Erfüllung der Amtspflichten hätte. Die Straf-
mittel der Disciplin bewegen sich in dem Rahmen der durch das
Dienstverhältniß begründeten Gewalt und haben nichts gemein
mit dem System der öffentlichen Strafen; nur zufällig gehört die

1) Von diesen Grundsätzen besteht in Deutschland lediglich in Mecklen-
burg
eine Ausnahme, welche durch die feudalen (patrimonialen) Elemente, die
sich in der Verfassung dieses Staates erhalten haben, begründet ist. In zahl-
reichen Fällen können nach Mecklenburgischem Recht die Obrigkeiten zur Er-
füllung ihrer amtlichen Pflichten durch ein, in den Formen des Civilprozesses
sich bewegendes gerichtliches Verfahren angehalten werden, welches auf Klage
eines Fiskals eingeleitet wird. Das Gericht entscheidet wie unter gleichstehenden
Parteien in contraktlichen Verhältnissen. So weit das fiskalische gerichtliche
Prozeßverfahren stattfindet, ist aber das Disciplinarverfahren gegen
die Beamten ausgeschlossen
und es wird daher durch diese Ausnahme
die juristische Natur des Disciplinarverfahrens und sein Verhältniß zum
Klagerecht des Privatrechts recht deutlich bestätigt. Vgl. darüber Trotsche
Mecklenb. Civilpr. Bd. II. S. 225 ff. (1868) und besonders die Motive zur
Reichs-Civilprozeß-Ordn. von 1874 S. 487. In der Literatur findet sich ein
Anklang an die richtige juristische Begriffsbestimmung der Disciplinargewalt
bei Pfeiffer Prakt. Ausf. III. S. 401 ff.

§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
um die Erfüllung der Dienſtpflicht zu erzwingen. Der Staat be-
darf hierzu keiner Klage vor den Gerichten, denn er ſteht ſeinen
Beamten nicht als gleichberechtigte Partei, ſondern als Dienſtherr
gegenüber. Die privatrechtliche Klage würde ihm auch nichts
nützen, denn der Schaden, der ihm durch Nichterfüllung oder nicht
ordnungsmäßige Erfüllung erwächſt, iſt nur ſelten in Geld zu
ſchätzen und durch Leiſtung des pekuniären Intereſſes auszugleichen.
Andererſeits iſt der Staat auf ſeine Disciplinargewalt beſchränkt;
er hat keine privatrechtliche Klage gegen ſeine Beamten auf Erfül-
lung der Dienſtpflicht; es giebt keine Exekution, durch welche die-
ſelben zur Leiſtung ihrer amtlichen Dienſte angehalten werden
können 1).

Alſo nicht ſtatt der Ahndung von Verbrechen und Vergehen
durch die Strafjuſtiz tritt die Disciplinarſtrafe ein, ſondern ſie
ſteht an Stelle der Kontraktsklage auf Leiſtung. Die Regel ne
bis in idem
wird nicht dadurch verletzt, daß die Disciplinargewalt
neben der öffentlichen Beſtrafung geltend gemacht wird, ſondern
ſie würde dadurch verletzt werden, wenn der Staat neben der
Handhabung des Disciplinarzwanges noch eine vermögensrechtliche
Contractsklage auf Erfüllung der Amtspflichten hätte. Die Straf-
mittel der Disciplin bewegen ſich in dem Rahmen der durch das
Dienſtverhältniß begründeten Gewalt und haben nichts gemein
mit dem Syſtem der öffentlichen Strafen; nur zufällig gehört die

1) Von dieſen Grundſätzen beſteht in Deutſchland lediglich in Mecklen-
burg
eine Ausnahme, welche durch die feudalen (patrimonialen) Elemente, die
ſich in der Verfaſſung dieſes Staates erhalten haben, begründet iſt. In zahl-
reichen Fällen können nach Mecklenburgiſchem Recht die Obrigkeiten zur Er-
füllung ihrer amtlichen Pflichten durch ein, in den Formen des Civilprozeſſes
ſich bewegendes gerichtliches Verfahren angehalten werden, welches auf Klage
eines Fiskals eingeleitet wird. Das Gericht entſcheidet wie unter gleichſtehenden
Parteien in contraktlichen Verhältniſſen. So weit das fiskaliſche gerichtliche
Prozeßverfahren ſtattfindet, iſt aber das Disciplinarverfahren gegen
die Beamten ausgeſchloſſen
und es wird daher durch dieſe Ausnahme
die juriſtiſche Natur des Disciplinarverfahrens und ſein Verhältniß zum
Klagerecht des Privatrechts recht deutlich beſtätigt. Vgl. darüber Trotſche
Mecklenb. Civilpr. Bd. II. S. 225 ff. (1868) und beſonders die Motive zur
Reichs-Civilprozeß-Ordn. von 1874 S. 487. In der Literatur findet ſich ein
Anklang an die richtige juriſtiſche Begriffsbeſtimmung der Disciplinargewalt
bei Pfeiffer Prakt. Ausf. III. S. 401 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0470" n="450"/><fw place="top" type="header">§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.</fw><lb/>
um die Erfüllung der Dien&#x017F;tpflicht zu erzwingen. Der Staat be-<lb/>
darf hierzu keiner Klage vor den Gerichten, denn er &#x017F;teht &#x017F;einen<lb/>
Beamten nicht als gleichberechtigte Partei, &#x017F;ondern als Dien&#x017F;therr<lb/>
gegenüber. Die privatrechtliche Klage würde ihm auch nichts<lb/>
nützen, denn der Schaden, der ihm durch Nichterfüllung oder nicht<lb/>
ordnungsmäßige Erfüllung erwäch&#x017F;t, i&#x017F;t nur &#x017F;elten in Geld zu<lb/>
&#x017F;chätzen und durch Lei&#x017F;tung des pekuniären Intere&#x017F;&#x017F;es auszugleichen.<lb/>
Anderer&#x017F;eits i&#x017F;t der Staat auf &#x017F;eine Disciplinargewalt be&#x017F;chränkt;<lb/>
er hat keine privatrechtliche Klage gegen &#x017F;eine Beamten auf Erfül-<lb/>
lung der Dien&#x017F;tpflicht; es giebt keine Exekution, durch welche die-<lb/>
&#x017F;elben zur Lei&#x017F;tung ihrer amtlichen Dien&#x017F;te angehalten werden<lb/>
können <note place="foot" n="1)">Von die&#x017F;en Grund&#x017F;ätzen be&#x017F;teht in Deut&#x017F;chland lediglich in <hi rendition="#g">Mecklen-<lb/>
burg</hi> eine Ausnahme, welche durch die feudalen (patrimonialen) Elemente, die<lb/>
&#x017F;ich in der Verfa&#x017F;&#x017F;ung die&#x017F;es Staates erhalten haben, begründet i&#x017F;t. In zahl-<lb/>
reichen Fällen können nach Mecklenburgi&#x017F;chem Recht die Obrigkeiten zur Er-<lb/>
füllung ihrer amtlichen Pflichten durch ein, in den Formen des Civilproze&#x017F;&#x017F;es<lb/>
&#x017F;ich bewegendes gerichtliches Verfahren angehalten werden, welches auf Klage<lb/>
eines Fiskals eingeleitet wird. Das Gericht ent&#x017F;cheidet wie unter gleich&#x017F;tehenden<lb/>
Parteien in contraktlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;en. So weit das fiskali&#x017F;che gerichtliche<lb/>
Prozeßverfahren &#x017F;tattfindet, i&#x017F;t aber das <hi rendition="#g">Disciplinarverfahren gegen<lb/>
die Beamten ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en</hi> und es wird daher durch die&#x017F;e Ausnahme<lb/>
die juri&#x017F;ti&#x017F;che Natur des Disciplinarverfahrens und &#x017F;ein Verhältniß zum<lb/>
Klagerecht des Privatrechts recht deutlich be&#x017F;tätigt. Vgl. darüber <hi rendition="#g">Trot&#x017F;che</hi><lb/>
Mecklenb. Civilpr. Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 225 ff. (1868) und be&#x017F;onders die Motive zur<lb/>
Reichs-Civilprozeß-Ordn. von 1874 S. 487. In der Literatur findet &#x017F;ich ein<lb/>
Anklang an die richtige juri&#x017F;ti&#x017F;che Begriffsbe&#x017F;timmung der Disciplinargewalt<lb/>
bei <hi rendition="#g">Pfeiffer</hi> Prakt. Ausf. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 401 ff.</note>.</p><lb/>
                <p>Al&#x017F;o nicht &#x017F;tatt der Ahndung von Verbrechen und Vergehen<lb/>
durch die Strafju&#x017F;tiz tritt die Disciplinar&#x017F;trafe ein, &#x017F;ondern &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;teht an Stelle der Kontraktsklage auf Lei&#x017F;tung. Die Regel <hi rendition="#aq">ne<lb/>
bis in idem</hi> wird nicht dadurch verletzt, daß die Disciplinargewalt<lb/>
neben der öffentlichen Be&#x017F;trafung geltend gemacht wird, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ie würde dadurch verletzt werden, wenn der Staat neben der<lb/>
Handhabung des Disciplinarzwanges noch eine vermögensrechtliche<lb/>
Contractsklage auf Erfüllung der Amtspflichten hätte. Die Straf-<lb/>
mittel der Disciplin bewegen &#x017F;ich in dem Rahmen der durch das<lb/>
Dien&#x017F;tverhältniß begründeten Gewalt und haben nichts gemein<lb/>
mit dem Sy&#x017F;tem der öffentlichen Strafen; nur zufällig gehört die<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0470] §. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung. um die Erfüllung der Dienſtpflicht zu erzwingen. Der Staat be- darf hierzu keiner Klage vor den Gerichten, denn er ſteht ſeinen Beamten nicht als gleichberechtigte Partei, ſondern als Dienſtherr gegenüber. Die privatrechtliche Klage würde ihm auch nichts nützen, denn der Schaden, der ihm durch Nichterfüllung oder nicht ordnungsmäßige Erfüllung erwächſt, iſt nur ſelten in Geld zu ſchätzen und durch Leiſtung des pekuniären Intereſſes auszugleichen. Andererſeits iſt der Staat auf ſeine Disciplinargewalt beſchränkt; er hat keine privatrechtliche Klage gegen ſeine Beamten auf Erfül- lung der Dienſtpflicht; es giebt keine Exekution, durch welche die- ſelben zur Leiſtung ihrer amtlichen Dienſte angehalten werden können 1). Alſo nicht ſtatt der Ahndung von Verbrechen und Vergehen durch die Strafjuſtiz tritt die Disciplinarſtrafe ein, ſondern ſie ſteht an Stelle der Kontraktsklage auf Leiſtung. Die Regel ne bis in idem wird nicht dadurch verletzt, daß die Disciplinargewalt neben der öffentlichen Beſtrafung geltend gemacht wird, ſondern ſie würde dadurch verletzt werden, wenn der Staat neben der Handhabung des Disciplinarzwanges noch eine vermögensrechtliche Contractsklage auf Erfüllung der Amtspflichten hätte. Die Straf- mittel der Disciplin bewegen ſich in dem Rahmen der durch das Dienſtverhältniß begründeten Gewalt und haben nichts gemein mit dem Syſtem der öffentlichen Strafen; nur zufällig gehört die 1) Von dieſen Grundſätzen beſteht in Deutſchland lediglich in Mecklen- burg eine Ausnahme, welche durch die feudalen (patrimonialen) Elemente, die ſich in der Verfaſſung dieſes Staates erhalten haben, begründet iſt. In zahl- reichen Fällen können nach Mecklenburgiſchem Recht die Obrigkeiten zur Er- füllung ihrer amtlichen Pflichten durch ein, in den Formen des Civilprozeſſes ſich bewegendes gerichtliches Verfahren angehalten werden, welches auf Klage eines Fiskals eingeleitet wird. Das Gericht entſcheidet wie unter gleichſtehenden Parteien in contraktlichen Verhältniſſen. So weit das fiskaliſche gerichtliche Prozeßverfahren ſtattfindet, iſt aber das Disciplinarverfahren gegen die Beamten ausgeſchloſſen und es wird daher durch dieſe Ausnahme die juriſtiſche Natur des Disciplinarverfahrens und ſein Verhältniß zum Klagerecht des Privatrechts recht deutlich beſtätigt. Vgl. darüber Trotſche Mecklenb. Civilpr. Bd. II. S. 225 ff. (1868) und beſonders die Motive zur Reichs-Civilprozeß-Ordn. von 1874 S. 487. In der Literatur findet ſich ein Anklang an die richtige juriſtiſche Begriffsbeſtimmung der Disciplinargewalt bei Pfeiffer Prakt. Ausf. III. S. 401 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/470
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/470>, abgerufen am 24.11.2024.