Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 40. Die Pflichten u. Beschränkungen der Reichsbeamten.
widriger Befehle gebraucht, so treten die Rechtsfolgen gegen ihn
ein, welche sich aus dem im §. 13 des Beamtengesetzes ausge-
sprochenen Grundsatze ergeben: "Jeder Reichsbeamte ist für die
Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich." (Siehe
unten §. 41.)

Wenn andererseits der Beamte gesetzmäßige Befehle nicht be-
folgt, weil er sie für gesetzwidrig hält, so begeht er eine Verletzung
der Dienstpflicht, ein Dienstvergehen, und kann überdies eine straf-
rechtliche oder privatrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Unter-
lassung auf sich laden.

Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit aller dienstlichen Anordnungen
muß daher von jedem Beamten und zwar aufeigene Gefahr
vorgenommen werden.

Darum ist es von Wichtigkeit festzustellen, worauf sich diese
Prüfung zu erstrecken hat 1). Würde man dieselbe auf die Frage

1) In der neueren Staatsrechts-Literatur begegnet man öfters der Lehre,
daß der Beamte, welchem ein gesetzwidriger Befehl ertheilt worden ist, bei der
Oberbehörde zu remonstriren verpflichtet sei, wenn aber seine Vorstellung
fruchtlos bleibe, dann den Befehl ausführen müsse. So namentlich Gönner
S. 202 ("mit bescheidener Freimüthigkeit"). Bluntschli Allgem. Staatsr. II.
S. 138. v. Mohl Württemb. Staatsr. I. S. 775. 780. v. Rönne Preuß.
Staatsr. II. 1 S. 428. Schulze Preuß. Staatsr. I. S. 326 ff. v. Gerber
S. 113.
Diese Theorie, obwohl sie in manche kleinstaatliche Verfassungen sich ein-
geschlichen hat, ist keine Lösung der Frage, sondern eine praktisch werthlose
Umgehung derselben. Ein rechtswidriger und an sich nichtiger Befehl kann
dadurch nicht Rechtswirksamkeit erlangen, daß er zweimal ertheilt wird; ein
Beamter, dem die Befolgung eines Befehles untersagt ist, kann nicht dadurch,
daß er dies der Oberbehörde gegenüber ausgesprochen hat, nunmehr zur Aus-
führung dieses Befehles verpflichtet und befugt werden. Würde die Theorie
wirklich Geltung haben, so könnte sich jeder Beamte durch eine zum Schein
vorgebrachte Remonstration decken, oder es könnte die vorgesetzte Behörde
ihrem Befehl gleich eine Klausel beifügen, welche der Unterbehörde andeutet,
daß Remonstrationen fruchtlos sein würden. Uebrigens würde es aber wol
keine Behörde für angemessen erachten, mit den Unterbehörden sich in einen
fortwährenden Meinungs-Austausch darüber einzulassen, ob und aus welchen
Gründen ihre Entscheidungen dem Recht und den Gesetzen gemäß sind. Das
Reichsbeamten-Gesetz schließt die Anwendung jener Theorie sicherlich
aus, denn es legt dem Beamten weder eine Pflicht zu solchen Vorstellungen
an die vorgesetzte Behörde auf, noch macht der §. 13 eine Ausnahme für den
Fall, daß der Beamte dergleichen Remonstrationen erhoben hat.
Die Lösung der Frage ist nicht darin zu suchen, daß man dem Beamten

§. 40. Die Pflichten u. Beſchränkungen der Reichsbeamten.
widriger Befehle gebraucht, ſo treten die Rechtsfolgen gegen ihn
ein, welche ſich aus dem im §. 13 des Beamtengeſetzes ausge-
ſprochenen Grundſatze ergeben: „Jeder Reichsbeamte iſt für die
Geſetzmäßigkeit ſeiner amtlichen Handlungen verantwortlich.“ (Siehe
unten §. 41.)

Wenn andererſeits der Beamte geſetzmäßige Befehle nicht be-
folgt, weil er ſie für geſetzwidrig hält, ſo begeht er eine Verletzung
der Dienſtpflicht, ein Dienſtvergehen, und kann überdies eine ſtraf-
rechtliche oder privatrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Unter-
laſſung auf ſich laden.

Die Prüfung der Geſetzmäßigkeit aller dienſtlichen Anordnungen
muß daher von jedem Beamten und zwar aufeigene Gefahr
vorgenommen werden.

Darum iſt es von Wichtigkeit feſtzuſtellen, worauf ſich dieſe
Prüfung zu erſtrecken hat 1). Würde man dieſelbe auf die Frage

1) In der neueren Staatsrechts-Literatur begegnet man öfters der Lehre,
daß der Beamte, welchem ein geſetzwidriger Befehl ertheilt worden iſt, bei der
Oberbehörde zu remonſtriren verpflichtet ſei, wenn aber ſeine Vorſtellung
fruchtlos bleibe, dann den Befehl ausführen müſſe. So namentlich Gönner
S. 202 („mit beſcheidener Freimüthigkeit“). Bluntſchli Allgem. Staatsr. II.
S. 138. v. Mohl Württemb. Staatsr. I. S. 775. 780. v. Rönne Preuß.
Staatsr. II. 1 S. 428. Schulze Preuß. Staatsr. I. S. 326 ff. v. Gerber
S. 113.
Dieſe Theorie, obwohl ſie in manche kleinſtaatliche Verfaſſungen ſich ein-
geſchlichen hat, iſt keine Löſung der Frage, ſondern eine praktiſch werthloſe
Umgehung derſelben. Ein rechtswidriger und an ſich nichtiger Befehl kann
dadurch nicht Rechtswirkſamkeit erlangen, daß er zweimal ertheilt wird; ein
Beamter, dem die Befolgung eines Befehles unterſagt iſt, kann nicht dadurch,
daß er dies der Oberbehörde gegenüber ausgeſprochen hat, nunmehr zur Aus-
führung dieſes Befehles verpflichtet und befugt werden. Würde die Theorie
wirklich Geltung haben, ſo könnte ſich jeder Beamte durch eine zum Schein
vorgebrachte Remonſtration decken, oder es könnte die vorgeſetzte Behörde
ihrem Befehl gleich eine Klauſel beifügen, welche der Unterbehörde andeutet,
daß Remonſtrationen fruchtlos ſein würden. Uebrigens würde es aber wol
keine Behörde für angemeſſen erachten, mit den Unterbehörden ſich in einen
fortwährenden Meinungs-Austauſch darüber einzulaſſen, ob und aus welchen
Gründen ihre Entſcheidungen dem Recht und den Geſetzen gemäß ſind. Das
Reichsbeamten-Geſetz ſchließt die Anwendung jener Theorie ſicherlich
aus, denn es legt dem Beamten weder eine Pflicht zu ſolchen Vorſtellungen
an die vorgeſetzte Behörde auf, noch macht der §. 13 eine Ausnahme für den
Fall, daß der Beamte dergleichen Remonſtrationen erhoben hat.
Die Löſung der Frage iſt nicht darin zu ſuchen, daß man dem Beamten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0444" n="424"/><fw place="top" type="header">§. 40. Die Pflichten u. Be&#x017F;chränkungen der Reichsbeamten.</fw><lb/>
widriger Befehle gebraucht, &#x017F;o treten die Rechtsfolgen gegen ihn<lb/>
ein, welche &#x017F;ich aus dem im §. 13 des Beamtenge&#x017F;etzes ausge-<lb/>
&#x017F;prochenen Grund&#x017F;atze ergeben: &#x201E;Jeder Reichsbeamte i&#x017F;t für die<lb/>
Ge&#x017F;etzmäßigkeit &#x017F;einer amtlichen Handlungen verantwortlich.&#x201C; (Siehe<lb/>
unten §. 41.)</p><lb/>
                <p>Wenn anderer&#x017F;eits der Beamte ge&#x017F;etzmäßige Befehle nicht be-<lb/>
folgt, weil er &#x017F;ie für ge&#x017F;etzwidrig hält, &#x017F;o begeht er eine Verletzung<lb/>
der Dien&#x017F;tpflicht, ein Dien&#x017F;tvergehen, und kann überdies eine &#x017F;traf-<lb/>
rechtliche oder privatrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Unter-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ung auf &#x017F;ich laden.</p><lb/>
                <p>Die Prüfung der Ge&#x017F;etzmäßigkeit aller dien&#x017F;tlichen Anordnungen<lb/><hi rendition="#g">muß</hi> daher von jedem Beamten und zwar <hi rendition="#g">aufeigene Gefahr</hi><lb/>
vorgenommen werden.</p><lb/>
                <p>Darum i&#x017F;t es von Wichtigkeit fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, worauf &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
Prüfung zu er&#x017F;trecken hat <note xml:id="seg2pn_50_1" next="#seg2pn_50_2" place="foot" n="1)">In der neueren Staatsrechts-Literatur begegnet man öfters der Lehre,<lb/>
daß der Beamte, welchem ein ge&#x017F;etzwidriger Befehl ertheilt worden i&#x017F;t, bei der<lb/>
Oberbehörde zu remon&#x017F;triren verpflichtet &#x017F;ei, wenn aber &#x017F;eine Vor&#x017F;tellung<lb/>
fruchtlos bleibe, dann den Befehl ausführen mü&#x017F;&#x017F;e. So namentlich <hi rendition="#g">Gönner</hi><lb/>
S. 202 (&#x201E;mit be&#x017F;cheidener Freimüthigkeit&#x201C;). <hi rendition="#g">Blunt&#x017F;chli</hi> Allgem. Staatsr. <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
S. 138. v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> Württemb. Staatsr. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 775. 780. v. <hi rendition="#g">Rönne</hi> Preuß.<lb/>
Staatsr. <hi rendition="#aq">II.</hi> 1 S. 428. <hi rendition="#g">Schulze</hi> Preuß. Staatsr. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 326 ff. v. <hi rendition="#g">Gerber</hi><lb/>
S. 113.<lb/>
Die&#x017F;e Theorie, obwohl &#x017F;ie in manche klein&#x017F;taatliche Verfa&#x017F;&#x017F;ungen &#x017F;ich ein-<lb/>
ge&#x017F;chlichen hat, i&#x017F;t keine Lö&#x017F;ung der Frage, &#x017F;ondern eine prakti&#x017F;ch werthlo&#x017F;e<lb/>
Umgehung der&#x017F;elben. Ein rechtswidriger und an &#x017F;ich nichtiger Befehl kann<lb/>
dadurch nicht Rechtswirk&#x017F;amkeit erlangen, daß er zweimal ertheilt wird; ein<lb/>
Beamter, dem die Befolgung eines Befehles unter&#x017F;agt i&#x017F;t, kann nicht dadurch,<lb/>
daß er dies der Oberbehörde gegenüber ausge&#x017F;prochen hat, nunmehr zur Aus-<lb/>
führung die&#x017F;es Befehles verpflichtet und befugt werden. Würde die Theorie<lb/>
wirklich Geltung haben, &#x017F;o könnte &#x017F;ich jeder Beamte durch eine zum Schein<lb/>
vorgebrachte Remon&#x017F;tration decken, oder es könnte die vorge&#x017F;etzte Behörde<lb/>
ihrem Befehl gleich eine Klau&#x017F;el beifügen, welche der Unterbehörde andeutet,<lb/>
daß Remon&#x017F;trationen fruchtlos &#x017F;ein würden. Uebrigens würde es aber wol<lb/>
keine Behörde für angeme&#x017F;&#x017F;en erachten, mit den Unterbehörden &#x017F;ich in einen<lb/>
fortwährenden Meinungs-Austau&#x017F;ch darüber einzula&#x017F;&#x017F;en, ob und aus welchen<lb/>
Gründen ihre Ent&#x017F;cheidungen dem Recht und den Ge&#x017F;etzen gemäß &#x017F;ind. Das<lb/><hi rendition="#g">Reichsbeamten-Ge&#x017F;etz</hi> &#x017F;chließt die Anwendung jener Theorie &#x017F;icherlich<lb/>
aus, denn es legt dem Beamten weder eine Pflicht zu &#x017F;olchen Vor&#x017F;tellungen<lb/>
an die vorge&#x017F;etzte Behörde auf, noch macht der §. 13 eine Ausnahme für den<lb/>
Fall, daß der Beamte dergleichen Remon&#x017F;trationen erhoben hat.<lb/>
Die Lö&#x017F;ung der Frage i&#x017F;t nicht darin zu &#x017F;uchen, daß man dem Beamten</note>. Würde man die&#x017F;elbe auf die Frage<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0444] §. 40. Die Pflichten u. Beſchränkungen der Reichsbeamten. widriger Befehle gebraucht, ſo treten die Rechtsfolgen gegen ihn ein, welche ſich aus dem im §. 13 des Beamtengeſetzes ausge- ſprochenen Grundſatze ergeben: „Jeder Reichsbeamte iſt für die Geſetzmäßigkeit ſeiner amtlichen Handlungen verantwortlich.“ (Siehe unten §. 41.) Wenn andererſeits der Beamte geſetzmäßige Befehle nicht be- folgt, weil er ſie für geſetzwidrig hält, ſo begeht er eine Verletzung der Dienſtpflicht, ein Dienſtvergehen, und kann überdies eine ſtraf- rechtliche oder privatrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Unter- laſſung auf ſich laden. Die Prüfung der Geſetzmäßigkeit aller dienſtlichen Anordnungen muß daher von jedem Beamten und zwar aufeigene Gefahr vorgenommen werden. Darum iſt es von Wichtigkeit feſtzuſtellen, worauf ſich dieſe Prüfung zu erſtrecken hat 1). Würde man dieſelbe auf die Frage 1) In der neueren Staatsrechts-Literatur begegnet man öfters der Lehre, daß der Beamte, welchem ein geſetzwidriger Befehl ertheilt worden iſt, bei der Oberbehörde zu remonſtriren verpflichtet ſei, wenn aber ſeine Vorſtellung fruchtlos bleibe, dann den Befehl ausführen müſſe. So namentlich Gönner S. 202 („mit beſcheidener Freimüthigkeit“). Bluntſchli Allgem. Staatsr. II. S. 138. v. Mohl Württemb. Staatsr. I. S. 775. 780. v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1 S. 428. Schulze Preuß. Staatsr. I. S. 326 ff. v. Gerber S. 113. Dieſe Theorie, obwohl ſie in manche kleinſtaatliche Verfaſſungen ſich ein- geſchlichen hat, iſt keine Löſung der Frage, ſondern eine praktiſch werthloſe Umgehung derſelben. Ein rechtswidriger und an ſich nichtiger Befehl kann dadurch nicht Rechtswirkſamkeit erlangen, daß er zweimal ertheilt wird; ein Beamter, dem die Befolgung eines Befehles unterſagt iſt, kann nicht dadurch, daß er dies der Oberbehörde gegenüber ausgeſprochen hat, nunmehr zur Aus- führung dieſes Befehles verpflichtet und befugt werden. Würde die Theorie wirklich Geltung haben, ſo könnte ſich jeder Beamte durch eine zum Schein vorgebrachte Remonſtration decken, oder es könnte die vorgeſetzte Behörde ihrem Befehl gleich eine Klauſel beifügen, welche der Unterbehörde andeutet, daß Remonſtrationen fruchtlos ſein würden. Uebrigens würde es aber wol keine Behörde für angemeſſen erachten, mit den Unterbehörden ſich in einen fortwährenden Meinungs-Austauſch darüber einzulaſſen, ob und aus welchen Gründen ihre Entſcheidungen dem Recht und den Geſetzen gemäß ſind. Das Reichsbeamten-Geſetz ſchließt die Anwendung jener Theorie ſicherlich aus, denn es legt dem Beamten weder eine Pflicht zu ſolchen Vorſtellungen an die vorgeſetzte Behörde auf, noch macht der §. 13 eine Ausnahme für den Fall, daß der Beamte dergleichen Remonſtrationen erhoben hat. Die Löſung der Frage iſt nicht darin zu ſuchen, daß man dem Beamten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/444
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/444>, abgerufen am 22.11.2024.