daß bei der Anstellung jedes einzelnen Beamten besondere und eigenthümliche Grundsätze nicht aufgestellt werden dürfen, daß viel- mehr Rechte und Pflichten des Beamten objectiv feststehen und für ihre Beurtheilung aus dem Anstellungs-Decret regelmäßig Nichts, aus den allgemeinen Staatsgesetzen Alles zu entnehmen ist.
Ein gewöhnlicher Vertrag des Obligationenrechts ist die An- stellung eines Staatsbeamten allerdings nicht; das daraus hervor- gehende Rechtsverhältniß ist kein privatrechtliches, contraktliches; aber dessen ungeachtet beruht der Eintritt eines Beamten und die Aufnahme desselben in den Staatsdienst auf dem von beiden Seiten, in rechtsverbindlicher Form erklärten Consense, ist also ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, d. h. ein Vertrag 1).
Eine Analogie zu diesem staatsrechtlichen Vertrage liefert die oben §. 17 dargestellte Verleihung der Staats-Angehörigkeit. Beide begründen ein Unterordnungs- und Gewalts-Verhältniß, nur daß das letztere bei dem Anstellungs-Vertrage einen viel intensiveren Inhalt hat. Das Anstellungs-Dekret entspricht der Aufnahme- oder Naturalisations-Urkunde und hat für die Perfektion des Ge- schäftes ganz dieselbe Bedeutung wie diese.
II. Ueber die Anstellung der unmittelbaren Reichsbeamten gelten folgende Rechtsregeln.
1. Befugt im Namen des Reiches Beamte anzustellen, ist der Kaiser als der Geschäftsführer des Reiches. R.-V. Art. 18. Er ist wie bei allen Regierungsgeschäften hierbei an die Beobachtung der Reichsgesetze gebunden; er kann daher den Anstellungsvertrag nicht unter willkührlichen Bedingungen abschließen, er kann den Reichsbeamten keine größeren Rechte zugestehen und andererseits ihnen keine ungünstigere Stellung anweisen, als mit den Reichs- gesetzen vereinbar ist. Der Anstellungs-Vertrag selbst kann nur vom Kaiser oder in dessen Auftrag abgeschlossen werden; dies schließt aber nicht aus, daß nicht der Bundesrath ein Vorschlags-
1) v. Gerber §. 37 Note 1 hebt trotz seiner Behauptung, daß die An- stellung "in die Classe der Privilegien gehört," ganz richtig hervor, daß die Bedeutung, welche der Vertrag bei der Begründung des Staatsdienstverhält- nisses hat, derjenigen ähnlich ist, welche dem Vertrage bei der Eingehung einer Ehe zukömmt. Der Inhalt des ehelichen Verhältnisses ist kein vertragsmäßig normirter, aber dessen ungeachtet bleibt doch die Eheschließung ein Vertrag.
§ 38. Die Anſtellung der Reichsbeamten.
daß bei der Anſtellung jedes einzelnen Beamten beſondere und eigenthümliche Grundſätze nicht aufgeſtellt werden dürfen, daß viel- mehr Rechte und Pflichten des Beamten objectiv feſtſtehen und für ihre Beurtheilung aus dem Anſtellungs-Decret regelmäßig Nichts, aus den allgemeinen Staatsgeſetzen Alles zu entnehmen iſt.
Ein gewöhnlicher Vertrag des Obligationenrechts iſt die An- ſtellung eines Staatsbeamten allerdings nicht; das daraus hervor- gehende Rechtsverhältniß iſt kein privatrechtliches, contraktliches; aber deſſen ungeachtet beruht der Eintritt eines Beamten und die Aufnahme deſſelben in den Staatsdienſt auf dem von beiden Seiten, in rechtsverbindlicher Form erklärten Conſenſe, iſt alſo ein zweiſeitiges Rechtsgeſchäft, d. h. ein Vertrag 1).
Eine Analogie zu dieſem ſtaatsrechtlichen Vertrage liefert die oben §. 17 dargeſtellte Verleihung der Staats-Angehörigkeit. Beide begründen ein Unterordnungs- und Gewalts-Verhältniß, nur daß das letztere bei dem Anſtellungs-Vertrage einen viel intenſiveren Inhalt hat. Das Anſtellungs-Dekret entſpricht der Aufnahme- oder Naturaliſations-Urkunde und hat für die Perfektion des Ge- ſchäftes ganz dieſelbe Bedeutung wie dieſe.
II. Ueber die Anſtellung der unmittelbaren Reichsbeamten gelten folgende Rechtsregeln.
1. Befugt im Namen des Reiches Beamte anzuſtellen, iſt der Kaiſer als der Geſchäftsführer des Reiches. R.-V. Art. 18. Er iſt wie bei allen Regierungsgeſchäften hierbei an die Beobachtung der Reichsgeſetze gebunden; er kann daher den Anſtellungsvertrag nicht unter willkührlichen Bedingungen abſchließen, er kann den Reichsbeamten keine größeren Rechte zugeſtehen und andererſeits ihnen keine ungünſtigere Stellung anweiſen, als mit den Reichs- geſetzen vereinbar iſt. Der Anſtellungs-Vertrag ſelbſt kann nur vom Kaiſer oder in deſſen Auftrag abgeſchloſſen werden; dies ſchließt aber nicht aus, daß nicht der Bundesrath ein Vorſchlags-
1) v. Gerber §. 37 Note 1 hebt trotz ſeiner Behauptung, daß die An- ſtellung „in die Claſſe der Privilegien gehört,“ ganz richtig hervor, daß die Bedeutung, welche der Vertrag bei der Begründung des Staatsdienſtverhält- niſſes hat, derjenigen ähnlich iſt, welche dem Vertrage bei der Eingehung einer Ehe zukömmt. Der Inhalt des ehelichen Verhältniſſes iſt kein vertragsmäßig normirter, aber deſſen ungeachtet bleibt doch die Eheſchließung ein Vertrag.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0424"n="404"/><fwplace="top"type="header">§ 38. Die Anſtellung der Reichsbeamten.</fw><lb/>
daß bei der Anſtellung jedes einzelnen Beamten beſondere und<lb/>
eigenthümliche Grundſätze nicht aufgeſtellt werden dürfen, daß viel-<lb/>
mehr Rechte und Pflichten des Beamten objectiv feſtſtehen und für<lb/>
ihre Beurtheilung aus dem Anſtellungs-Decret regelmäßig Nichts,<lb/>
aus den allgemeinen Staatsgeſetzen Alles zu entnehmen iſt.</p><lb/><p>Ein gewöhnlicher Vertrag des Obligationenrechts iſt die An-<lb/>ſtellung eines Staatsbeamten allerdings nicht; das daraus hervor-<lb/>
gehende Rechtsverhältniß iſt kein privatrechtliches, contraktliches;<lb/>
aber deſſen ungeachtet beruht der Eintritt eines Beamten und die<lb/>
Aufnahme deſſelben in den Staatsdienſt auf dem von beiden Seiten,<lb/>
in rechtsverbindlicher Form erklärten <hirendition="#g">Conſenſe</hi>, iſt alſo ein<lb/>
zweiſeitiges Rechtsgeſchäft, d. h. ein Vertrag <noteplace="foot"n="1)">v. <hirendition="#g">Gerber</hi> §. 37 Note 1 hebt trotz ſeiner Behauptung, daß die An-<lb/>ſtellung „in die Claſſe der Privilegien gehört,“ ganz richtig hervor, daß die<lb/>
Bedeutung, welche der Vertrag bei der Begründung des Staatsdienſtverhält-<lb/>
niſſes hat, derjenigen ähnlich iſt, welche dem Vertrage bei der Eingehung einer<lb/>
Ehe zukömmt. Der Inhalt des ehelichen Verhältniſſes iſt kein vertragsmäßig<lb/>
normirter, aber deſſen ungeachtet bleibt doch die <hirendition="#g">Eheſchließung</hi> ein<lb/>
Vertrag.</note>.</p><lb/><p>Eine Analogie zu dieſem ſtaatsrechtlichen Vertrage liefert die<lb/>
oben §. 17 dargeſtellte Verleihung der Staats-Angehörigkeit. Beide<lb/>
begründen ein Unterordnungs- und Gewalts-Verhältniß, nur daß<lb/>
das letztere bei dem Anſtellungs-Vertrage einen viel intenſiveren<lb/>
Inhalt hat. Das Anſtellungs-Dekret entſpricht der Aufnahme-<lb/>
oder Naturaliſations-Urkunde und hat für die Perfektion des Ge-<lb/>ſchäftes ganz dieſelbe Bedeutung wie dieſe.</p><lb/><p><hirendition="#aq">II.</hi> Ueber die Anſtellung der unmittelbaren Reichsbeamten<lb/>
gelten folgende Rechtsregeln.</p><lb/><p>1. Befugt im Namen des Reiches Beamte anzuſtellen, iſt der<lb/>
Kaiſer als der Geſchäftsführer des Reiches. R.-V. Art. 18. Er<lb/>
iſt wie bei allen Regierungsgeſchäften hierbei an die Beobachtung<lb/>
der Reichsgeſetze gebunden; er kann daher den Anſtellungsvertrag<lb/>
nicht unter willkührlichen Bedingungen abſchließen, er kann den<lb/>
Reichsbeamten keine größeren Rechte zugeſtehen und andererſeits<lb/>
ihnen keine ungünſtigere Stellung anweiſen, als mit den Reichs-<lb/>
geſetzen vereinbar iſt. Der Anſtellungs-Vertrag ſelbſt kann nur<lb/>
vom Kaiſer oder in deſſen Auftrag abgeſchloſſen werden; dies<lb/>ſchließt aber nicht aus, daß nicht der Bundesrath ein Vorſchlags-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[404/0424]
§ 38. Die Anſtellung der Reichsbeamten.
daß bei der Anſtellung jedes einzelnen Beamten beſondere und
eigenthümliche Grundſätze nicht aufgeſtellt werden dürfen, daß viel-
mehr Rechte und Pflichten des Beamten objectiv feſtſtehen und für
ihre Beurtheilung aus dem Anſtellungs-Decret regelmäßig Nichts,
aus den allgemeinen Staatsgeſetzen Alles zu entnehmen iſt.
Ein gewöhnlicher Vertrag des Obligationenrechts iſt die An-
ſtellung eines Staatsbeamten allerdings nicht; das daraus hervor-
gehende Rechtsverhältniß iſt kein privatrechtliches, contraktliches;
aber deſſen ungeachtet beruht der Eintritt eines Beamten und die
Aufnahme deſſelben in den Staatsdienſt auf dem von beiden Seiten,
in rechtsverbindlicher Form erklärten Conſenſe, iſt alſo ein
zweiſeitiges Rechtsgeſchäft, d. h. ein Vertrag 1).
Eine Analogie zu dieſem ſtaatsrechtlichen Vertrage liefert die
oben §. 17 dargeſtellte Verleihung der Staats-Angehörigkeit. Beide
begründen ein Unterordnungs- und Gewalts-Verhältniß, nur daß
das letztere bei dem Anſtellungs-Vertrage einen viel intenſiveren
Inhalt hat. Das Anſtellungs-Dekret entſpricht der Aufnahme-
oder Naturaliſations-Urkunde und hat für die Perfektion des Ge-
ſchäftes ganz dieſelbe Bedeutung wie dieſe.
II. Ueber die Anſtellung der unmittelbaren Reichsbeamten
gelten folgende Rechtsregeln.
1. Befugt im Namen des Reiches Beamte anzuſtellen, iſt der
Kaiſer als der Geſchäftsführer des Reiches. R.-V. Art. 18. Er
iſt wie bei allen Regierungsgeſchäften hierbei an die Beobachtung
der Reichsgeſetze gebunden; er kann daher den Anſtellungsvertrag
nicht unter willkührlichen Bedingungen abſchließen, er kann den
Reichsbeamten keine größeren Rechte zugeſtehen und andererſeits
ihnen keine ungünſtigere Stellung anweiſen, als mit den Reichs-
geſetzen vereinbar iſt. Der Anſtellungs-Vertrag ſelbſt kann nur
vom Kaiſer oder in deſſen Auftrag abgeſchloſſen werden; dies
ſchließt aber nicht aus, daß nicht der Bundesrath ein Vorſchlags-
1) v. Gerber §. 37 Note 1 hebt trotz ſeiner Behauptung, daß die An-
ſtellung „in die Claſſe der Privilegien gehört,“ ganz richtig hervor, daß die
Bedeutung, welche der Vertrag bei der Begründung des Staatsdienſtverhält-
niſſes hat, derjenigen ähnlich iſt, welche dem Vertrage bei der Eingehung einer
Ehe zukömmt. Der Inhalt des ehelichen Verhältniſſes iſt kein vertragsmäßig
normirter, aber deſſen ungeachtet bleibt doch die Eheſchließung ein
Vertrag.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/424>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.