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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 33. Der Reichskanzler.
ersten Blick die Deutung zu, daß der Kaiser auch einen Bevoll-
mächtigten eines andern Staates zum Reichskanzler ernennen und
ihm den Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte
übertragen kann; bei näherer Erwägung erweist sich diese Deutung
aber als rechtlich unmöglich, ganz abgesehen von den thatsäch-
lichen
Gründen, welche es als völlig unzulässig erscheinen lassen,
daß der Reichskanzler nicht zugleich Preußischer Bevollmächtigter
sei. Denn jedes Bundesmitglied kann jederzeit seine Bevollmächtigten
aus dem Bundesrathe abberufen, den Reichskanzler aber ernennt
der Kaiser und kann nur der Kaiser entlassen. Wäre es nun
möglich, daß der Kaiser den Bevollmächtigten eines anderen Staates
zum Reichskanzler ernennt, so könnte sich der Fall ereignen, daß
dieser Staat die Ernennung zum Bundesraths-Mitglied zurücknimmt,
der Kaiser dagegen die Entlassung dem Reichskanzler nicht ertheilt;
es würde alsdann der Reichskanzler nicht zugleich Mitglied des
Bundesrathes sein, was nach Art. 15 der Verfassung unzuläs-
sig ist. Der Reichskanzler führt demnach mit rechtlicher Nothwen-
digkeit im Bundesrathe die Präsidialstimme Preußens als Bevoll-
mächtigter des Königs. Vgl. oben S. 274.

2. Die Bundesraths-Mitglieder sind keine Reichsbeamten und
haben in keiner Hinsicht die Rechten und Pflichten derselben; eben-
sowenig hat das einzelne Mitglied des Bundesrathes in irgend
einer Beziehung die Funktionen einer Reichsbehörde. Dies gilt
vollständig auch vom Reichskanzler. Weder als Mitglied des Bun-
desrathes noch als Vorsitzender desselben ist der Reichskanzler
Reichsbeamter und wenn er im Bundesrathe die Präsidial-Befug-
nisse ausübt, handelt er nicht als Reichsbehörde, sondern als Be-
vollmächtigter des Königs von Preußen. Er ist daher an die In-
structionen gebunden, welche ihm der König von Preußen ertheilt
und diesem gegenüber verantwortlich dafür, daß er seiner Instruc-
tion gemäß gehandelt hat 1). Von einer Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers gegen den Bundesrath und Reichstag für die Art
und Weise, wie er die Präsidialstimme führt oder die übrigen
Preußischen Rechte im Bundesrathe handhabt, kann daher ebenso

1) Vgl. die Aeußerungen des Fürsten Bismark im Verfassungberathenden
Reichstage von 1867 Stenogr. Ber. S. 376 und bes. 393; ferner im Nordd.
Reichstage von 1869 am 16. April S. 401 ff. (Siehe oben S. 234 Note 2).
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§. 33. Der Reichskanzler.
erſten Blick die Deutung zu, daß der Kaiſer auch einen Bevoll-
mächtigten eines andern Staates zum Reichskanzler ernennen und
ihm den Vorſitz im Bundesrathe und die Leitung der Geſchäfte
übertragen kann; bei näherer Erwägung erweiſt ſich dieſe Deutung
aber als rechtlich unmöglich, ganz abgeſehen von den thatſäch-
lichen
Gründen, welche es als völlig unzuläſſig erſcheinen laſſen,
daß der Reichskanzler nicht zugleich Preußiſcher Bevollmächtigter
ſei. Denn jedes Bundesmitglied kann jederzeit ſeine Bevollmächtigten
aus dem Bundesrathe abberufen, den Reichskanzler aber ernennt
der Kaiſer und kann nur der Kaiſer entlaſſen. Wäre es nun
möglich, daß der Kaiſer den Bevollmächtigten eines anderen Staates
zum Reichskanzler ernennt, ſo könnte ſich der Fall ereignen, daß
dieſer Staat die Ernennung zum Bundesraths-Mitglied zurücknimmt,
der Kaiſer dagegen die Entlaſſung dem Reichskanzler nicht ertheilt;
es würde alsdann der Reichskanzler nicht zugleich Mitglied des
Bundesrathes ſein, was nach Art. 15 der Verfaſſung unzuläſ-
ſig iſt. Der Reichskanzler führt demnach mit rechtlicher Nothwen-
digkeit im Bundesrathe die Präſidialſtimme Preußens als Bevoll-
mächtigter des Königs. Vgl. oben S. 274.

2. Die Bundesraths-Mitglieder ſind keine Reichsbeamten und
haben in keiner Hinſicht die Rechten und Pflichten derſelben; eben-
ſowenig hat das einzelne Mitglied des Bundesrathes in irgend
einer Beziehung die Funktionen einer Reichsbehörde. Dies gilt
vollſtändig auch vom Reichskanzler. Weder als Mitglied des Bun-
desrathes noch als Vorſitzender deſſelben iſt der Reichskanzler
Reichsbeamter und wenn er im Bundesrathe die Präſidial-Befug-
niſſe ausübt, handelt er nicht als Reichsbehörde, ſondern als Be-
vollmächtigter des Königs von Preußen. Er iſt daher an die In-
ſtructionen gebunden, welche ihm der König von Preußen ertheilt
und dieſem gegenüber verantwortlich dafür, daß er ſeiner Inſtruc-
tion gemäß gehandelt hat 1). Von einer Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers gegen den Bundesrath und Reichstag für die Art
und Weiſe, wie er die Präſidialſtimme führt oder die übrigen
Preußiſchen Rechte im Bundesrathe handhabt, kann daher ebenſo

1) Vgl. die Aeußerungen des Fürſten Bismark im Verfaſſungberathenden
Reichstage von 1867 Stenogr. Ber. S. 376 und beſ. 393; ferner im Nordd.
Reichstage von 1869 am 16. April S. 401 ff. (Siehe oben S. 234 Note 2).
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[307/0327] §. 33. Der Reichskanzler. erſten Blick die Deutung zu, daß der Kaiſer auch einen Bevoll- mächtigten eines andern Staates zum Reichskanzler ernennen und ihm den Vorſitz im Bundesrathe und die Leitung der Geſchäfte übertragen kann; bei näherer Erwägung erweiſt ſich dieſe Deutung aber als rechtlich unmöglich, ganz abgeſehen von den thatſäch- lichen Gründen, welche es als völlig unzuläſſig erſcheinen laſſen, daß der Reichskanzler nicht zugleich Preußiſcher Bevollmächtigter ſei. Denn jedes Bundesmitglied kann jederzeit ſeine Bevollmächtigten aus dem Bundesrathe abberufen, den Reichskanzler aber ernennt der Kaiſer und kann nur der Kaiſer entlaſſen. Wäre es nun möglich, daß der Kaiſer den Bevollmächtigten eines anderen Staates zum Reichskanzler ernennt, ſo könnte ſich der Fall ereignen, daß dieſer Staat die Ernennung zum Bundesraths-Mitglied zurücknimmt, der Kaiſer dagegen die Entlaſſung dem Reichskanzler nicht ertheilt; es würde alsdann der Reichskanzler nicht zugleich Mitglied des Bundesrathes ſein, was nach Art. 15 der Verfaſſung unzuläſ- ſig iſt. Der Reichskanzler führt demnach mit rechtlicher Nothwen- digkeit im Bundesrathe die Präſidialſtimme Preußens als Bevoll- mächtigter des Königs. Vgl. oben S. 274. 2. Die Bundesraths-Mitglieder ſind keine Reichsbeamten und haben in keiner Hinſicht die Rechten und Pflichten derſelben; eben- ſowenig hat das einzelne Mitglied des Bundesrathes in irgend einer Beziehung die Funktionen einer Reichsbehörde. Dies gilt vollſtändig auch vom Reichskanzler. Weder als Mitglied des Bun- desrathes noch als Vorſitzender deſſelben iſt der Reichskanzler Reichsbeamter und wenn er im Bundesrathe die Präſidial-Befug- niſſe ausübt, handelt er nicht als Reichsbehörde, ſondern als Be- vollmächtigter des Königs von Preußen. Er iſt daher an die In- ſtructionen gebunden, welche ihm der König von Preußen ertheilt und dieſem gegenüber verantwortlich dafür, daß er ſeiner Inſtruc- tion gemäß gehandelt hat 1). Von einer Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegen den Bundesrath und Reichstag für die Art und Weiſe, wie er die Präſidialſtimme führt oder die übrigen Preußiſchen Rechte im Bundesrathe handhabt, kann daher ebenſo 1) Vgl. die Aeußerungen des Fürſten Bismark im Verfaſſungberathenden Reichstage von 1867 Stenogr. Ber. S. 376 und beſ. 393; ferner im Nordd. Reichstage von 1869 am 16. April S. 401 ff. (Siehe oben S. 234 Note 2). 20*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/327>, abgerufen am 24.11.2024.