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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 32. Begriff und System der Reichsbehörden.
Satz des Art. 18 der R.-V. "der Kaiser ernennt die Reichsbeam-
ten" 1).

Begrifflich unerheblich ist es ferner, daß die Thätigkeit der Be-
hörden durch Gesetze und Verordnungen des Reiches geregelt wird.
Denn auch die Landesbehörden haben die Reichsgesetze zu handhaben
und können in ihrer amtlichen Thätigkeit durch die vom Reiche er-
gangenen Vorschriften ebenso vollständig wie die Reichsbehörden ge-
bunden sein; während andererseits das Reichs-Oberhandelsgericht
neben dem Reichsrecht auch die partikulären Prozeß-Ordnungen und
Civilrechts-Gesetze der einzelnen Staaten zur Geltung bringt. Im
Allgemeinen gilt aber der Grundsatz, daß die Thätigkeit der Reichs-
behörden nicht durch die Autonomie der Einzelstaaten geregelt wird,
wohl aber die Landesbehörden derselben unterworfen sind.

Endlich ist es von Wichtigkeit festzuhalten, daß Reichsbehörden
und Landesbehörden nicht in der Art Gegensätze sind, daß nicht
eine Behörde beides zugleich sein kann. Freilich nicht hinsichtlich
desselben Geschäfts; ein Geschäft kann immer nur entweder ein
Geschäft des Reiches oder ein Geschäft des einzelnen Staates, nicht
beides zugleich sein. Aber es besteht kein Hinderniß, daß nicht
einer Behörde eines Einzelstaates neben dem ihr übertragenen Kreise
von Staatsgeschäften auch noch ein Kreis von Reichsgeschäften zu-
wiesen wird und ihr die dazu erforderliche Reichsgewalt delegirt
wird. Besonders häufig tritt der Fall bei preuß. Staatsbehörden
ein, daß sie gleichzeitig Reichsbehörden sind 2).

Dagegen ist für den Unterschied zwischen Reichsbehörden und
Landesbehörden entscheidend das Recht der Einzelstaaten auf Selbst-
verwaltung. Soweit dem Einzelstaate nach der Verfassung und
den Gesetzen des Reiches die Verwaltung als eigenes Recht zusteht,
ist die Führung dieser Verwaltung ein Geschäft des Einzelstaates,
nicht des Reiches, und die Ausstattung einer Behörde mit der zur
Führung dieser Geschäfte erforderlichen Amtsgewalt hat ihre
Quelle in der Staatsgewalt des Einzelstaates. Deshalb sind die

1) Man darf aber Reichsbeamte und Reichsbehörden nicht völlig identi-
fiziren. (Siehe unten § 37).
2) Die Oberrechnungskammer als Rechnungshof des Deutschen Reichs,
die Hauptverwaltung der Staatsschulden als Reichsschulden-Verwaltung, die
Generalstaatskasse als Reichshauptkasse, das General-Auditoriat als Marine-
Justizbehörde, das Appellationsgericht in Stettin als Ober-Konsulargericht u. s. w.

§. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden.
Satz des Art. 18 der R.-V. „der Kaiſer ernennt die Reichsbeam-
ten“ 1).

Begrifflich unerheblich iſt es ferner, daß die Thätigkeit der Be-
hörden durch Geſetze und Verordnungen des Reiches geregelt wird.
Denn auch die Landesbehörden haben die Reichsgeſetze zu handhaben
und können in ihrer amtlichen Thätigkeit durch die vom Reiche er-
gangenen Vorſchriften ebenſo vollſtändig wie die Reichsbehörden ge-
bunden ſein; während andererſeits das Reichs-Oberhandelsgericht
neben dem Reichsrecht auch die partikulären Prozeß-Ordnungen und
Civilrechts-Geſetze der einzelnen Staaten zur Geltung bringt. Im
Allgemeinen gilt aber der Grundſatz, daß die Thätigkeit der Reichs-
behörden nicht durch die Autonomie der Einzelſtaaten geregelt wird,
wohl aber die Landesbehörden derſelben unterworfen ſind.

Endlich iſt es von Wichtigkeit feſtzuhalten, daß Reichsbehörden
und Landesbehörden nicht in der Art Gegenſätze ſind, daß nicht
eine Behörde beides zugleich ſein kann. Freilich nicht hinſichtlich
deſſelben Geſchäfts; ein Geſchäft kann immer nur entweder ein
Geſchäft des Reiches oder ein Geſchäft des einzelnen Staates, nicht
beides zugleich ſein. Aber es beſteht kein Hinderniß, daß nicht
einer Behörde eines Einzelſtaates neben dem ihr übertragenen Kreiſe
von Staatsgeſchäften auch noch ein Kreis von Reichsgeſchäften zu-
wieſen wird und ihr die dazu erforderliche Reichsgewalt delegirt
wird. Beſonders häufig tritt der Fall bei preuß. Staatsbehörden
ein, daß ſie gleichzeitig Reichsbehörden ſind 2).

Dagegen iſt für den Unterſchied zwiſchen Reichsbehörden und
Landesbehörden entſcheidend das Recht der Einzelſtaaten auf Selbſt-
verwaltung. Soweit dem Einzelſtaate nach der Verfaſſung und
den Geſetzen des Reiches die Verwaltung als eigenes Recht zuſteht,
iſt die Führung dieſer Verwaltung ein Geſchäft des Einzelſtaates,
nicht des Reiches, und die Ausſtattung einer Behörde mit der zur
Führung dieſer Geſchäfte erforderlichen Amtsgewalt hat ihre
Quelle in der Staatsgewalt des Einzelſtaates. Deshalb ſind die

1) Man darf aber Reichsbeamte und Reichsbehörden nicht völlig identi-
fiziren. (Siehe unten § 37).
2) Die Oberrechnungskammer als Rechnungshof des Deutſchen Reichs,
die Hauptverwaltung der Staatsſchulden als Reichsſchulden-Verwaltung, die
Generalſtaatskaſſe als Reichshauptkaſſe, das General-Auditoriat als Marine-
Juſtizbehörde, das Appellationsgericht in Stettin als Ober-Konſulargericht u. ſ. w.
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[297/0317] §. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden. Satz des Art. 18 der R.-V. „der Kaiſer ernennt die Reichsbeam- ten“ 1). Begrifflich unerheblich iſt es ferner, daß die Thätigkeit der Be- hörden durch Geſetze und Verordnungen des Reiches geregelt wird. Denn auch die Landesbehörden haben die Reichsgeſetze zu handhaben und können in ihrer amtlichen Thätigkeit durch die vom Reiche er- gangenen Vorſchriften ebenſo vollſtändig wie die Reichsbehörden ge- bunden ſein; während andererſeits das Reichs-Oberhandelsgericht neben dem Reichsrecht auch die partikulären Prozeß-Ordnungen und Civilrechts-Geſetze der einzelnen Staaten zur Geltung bringt. Im Allgemeinen gilt aber der Grundſatz, daß die Thätigkeit der Reichs- behörden nicht durch die Autonomie der Einzelſtaaten geregelt wird, wohl aber die Landesbehörden derſelben unterworfen ſind. Endlich iſt es von Wichtigkeit feſtzuhalten, daß Reichsbehörden und Landesbehörden nicht in der Art Gegenſätze ſind, daß nicht eine Behörde beides zugleich ſein kann. Freilich nicht hinſichtlich deſſelben Geſchäfts; ein Geſchäft kann immer nur entweder ein Geſchäft des Reiches oder ein Geſchäft des einzelnen Staates, nicht beides zugleich ſein. Aber es beſteht kein Hinderniß, daß nicht einer Behörde eines Einzelſtaates neben dem ihr übertragenen Kreiſe von Staatsgeſchäften auch noch ein Kreis von Reichsgeſchäften zu- wieſen wird und ihr die dazu erforderliche Reichsgewalt delegirt wird. Beſonders häufig tritt der Fall bei preuß. Staatsbehörden ein, daß ſie gleichzeitig Reichsbehörden ſind 2). Dagegen iſt für den Unterſchied zwiſchen Reichsbehörden und Landesbehörden entſcheidend das Recht der Einzelſtaaten auf Selbſt- verwaltung. Soweit dem Einzelſtaate nach der Verfaſſung und den Geſetzen des Reiches die Verwaltung als eigenes Recht zuſteht, iſt die Führung dieſer Verwaltung ein Geſchäft des Einzelſtaates, nicht des Reiches, und die Ausſtattung einer Behörde mit der zur Führung dieſer Geſchäfte erforderlichen Amtsgewalt hat ihre Quelle in der Staatsgewalt des Einzelſtaates. Deshalb ſind die 1) Man darf aber Reichsbeamte und Reichsbehörden nicht völlig identi- fiziren. (Siehe unten § 37). 2) Die Oberrechnungskammer als Rechnungshof des Deutſchen Reichs, die Hauptverwaltung der Staatsſchulden als Reichsſchulden-Verwaltung, die Generalſtaatskaſſe als Reichshauptkaſſe, das General-Auditoriat als Marine- Juſtizbehörde, das Appellationsgericht in Stettin als Ober-Konſulargericht u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/317>, abgerufen am 24.11.2024.