Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. 1870 §. 37 ff. das Reichsamt für das Heimathswesen zur Ent-scheidung berufen oder etwa die Kompetenz des Reichs-Oberhandels- gerichts begründet ist. 5. An der äußersten Grenze einer richterlichen oder quasirich- "Verfassungsstreitigkeiten 1) in solchen Bundesstaaten, in Nach diesem Artikel ist die Berechtigung des Bundesrathes unter Art. 76 Abs. 1 noch unter Art. 77 fallen; derartige Fälle werden aber gewiß in der Praxis höchst selten vorkommen. 1) Nicht jede Behauptung, daß ein Gesetzgebungs- oder Verwaltungs-Akt
einer Bundesregierung verfassungs widrig sei, begründet eine Verfassungs- Streitigkeit. Mit Recht ist in dem Protokoll des Bundesrathes 1874 §. 94 (S. 70) hervorgehoben, "daß die von einer Korporation (im con- creten Falle: der Magistrat der Stadt Rostock) aufgestellte Behauptung, daß ein von den verfassungsmäßigen Faktoren der Landesgesetzgebung vereinbartes Gesetz der Landesverfassung nicht entspreche, eine Verfassungsstreitigkeit im Sinne des Art. 76 Abs. 2 überhaupt nicht begründe." §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. 1870 §. 37 ff. das Reichsamt für das Heimathsweſen zur Ent-ſcheidung berufen oder etwa die Kompetenz des Reichs-Oberhandels- gerichts begründet iſt. 5. An der äußerſten Grenze einer richterlichen oder quaſirich- „Verfaſſungsſtreitigkeiten 1) in ſolchen Bundesſtaaten, in Nach dieſem Artikel iſt die Berechtigung des Bundesrathes unter Art. 76 Abſ. 1 noch unter Art. 77 fallen; derartige Fälle werden aber gewiß in der Praxis höchſt ſelten vorkommen. 1) Nicht jede Behauptung, daß ein Geſetzgebungs- oder Verwaltungs-Akt
einer Bundesregierung verfaſſungs widrig ſei, begründet eine Verfaſſungs- Streitigkeit. Mit Recht iſt in dem Protokoll des Bundesrathes 1874 §. 94 (S. 70) hervorgehoben, „daß die von einer Korporation (im con- creten Falle: der Magiſtrat der Stadt Roſtock) aufgeſtellte Behauptung, daß ein von den verfaſſungsmäßigen Faktoren der Landesgeſetzgebung vereinbartes Geſetz der Landesverfaſſung nicht entſpreche, eine Verfaſſungsſtreitigkeit im Sinne des Art. 76 Abſ. 2 überhaupt nicht begründe.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0290" n="270"/><fw place="top" type="header">§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.</fw><lb/> 1870 §. 37 ff. das Reichsamt für das Heimathsweſen zur Ent-<lb/> ſcheidung berufen oder etwa die Kompetenz des Reichs-Oberhandels-<lb/> gerichts begründet iſt.</p><lb/> <p>5. An der äußerſten Grenze einer richterlichen oder quaſirich-<lb/> terlichen Thätigkeit ſteht endlich die durch Art. 76 Abſ. 2 dem<lb/> Bundesrath zugewieſene Aufgabe.</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">„Verfaſſungsſtreitigkeiten <note place="foot" n="1)">Nicht jede Behauptung, daß ein Geſetzgebungs- oder Verwaltungs-Akt<lb/> einer Bundesregierung verfaſſungs <hi rendition="#g">widrig</hi> ſei, begründet eine Verfaſſungs-<lb/><hi rendition="#g">Streitigkeit</hi>. Mit Recht iſt in dem Protokoll des Bundesrathes 1874<lb/> §. 94 (S. 70) hervorgehoben, „daß die von einer <hi rendition="#g">Korporation</hi> (im con-<lb/> creten Falle: der Magiſtrat der Stadt Roſtock) aufgeſtellte Behauptung, daß<lb/> ein von den verfaſſungsmäßigen Faktoren der Landesgeſetzgebung vereinbartes<lb/> Geſetz der Landesverfaſſung nicht entſpreche, eine Verfaſſungsſtreitigkeit im<lb/> Sinne des Art. 76 Abſ. 2 überhaupt nicht begründe.“</note> in ſolchen Bundesſtaaten, in<lb/> deren Verfaſſung nicht eine Behörde zur Entſcheidung ſolcher<lb/> Streitigkeiten beſtimmt iſt, hat auf Anrufen eines Theiles<lb/><hi rendition="#g">der Bundesrath</hi> gütlich auszugleichen oder, wenn das<lb/> nicht gelingt, <hi rendition="#g">im Wege der Reichsgeſetzgebung</hi> zur<lb/> Erledigung zu bringen.“</hi> </p><lb/> <p>Nach dieſem Artikel iſt die Berechtigung des Bundesrathes<lb/> zur Einmiſchung in die Verfaſſungsſtreitigkeit in einem Einzelſtaat<lb/> davon abhängig gemacht, daß einer der ſtreitenden Theile ihn<lb/> anruft. Es iſt aber zweifellos, daß, wenn die Verfaſſungsſtreitig-<lb/> keit dahin führen ſollte, daß die Regierung des Bundesſtaates ihre<lb/> Bundespflichten nicht erfüllt, insbeſondere wenn ſie verhindert wird,<lb/> die Matrikularbeiträge zu entrichten oder für die Handhabung der<lb/> Reichsgeſetze Sorge zu tragen, der Bundesrath aus eigenem Ent-<lb/> ſchluß auf Grund des Art. 19 einſchreiten kann. Ferner iſt das<lb/> Reich, alſo zunächſt der Bundesrath als deſſen Organ, auch ohne<lb/> Anrufen der ſtreitenden Theile zu einem Einſchreiten nicht nur<lb/> berechtigt, ſondern ſogar genöthigt, wenn in einem Bundesſtaat<lb/> der Thron ſelbſt unter mehreren Prätendenten ſtreitig iſt; weil die<lb/> Mitgliedſchaft dieſes Staates durch das Oberhaupt deſſelben aus-<lb/> geübt wird, der Landesherr daher der Anerkennung als Bundes-<lb/> Mitglied bedarf und das Reich formelle Gewißheit haben muß,<lb/> wer der berechtigte Monarch des Bundesſtaates iſt.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_34_2" prev="#seg2pn_34_1" place="foot" n="3)">unter Art. 76 Abſ. 1 noch unter Art. 77 fallen; derartige Fälle werden aber<lb/> gewiß in der Praxis höchſt ſelten vorkommen.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [270/0290]
§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
1870 §. 37 ff. das Reichsamt für das Heimathsweſen zur Ent-
ſcheidung berufen oder etwa die Kompetenz des Reichs-Oberhandels-
gerichts begründet iſt.
5. An der äußerſten Grenze einer richterlichen oder quaſirich-
terlichen Thätigkeit ſteht endlich die durch Art. 76 Abſ. 2 dem
Bundesrath zugewieſene Aufgabe.
„Verfaſſungsſtreitigkeiten 1) in ſolchen Bundesſtaaten, in
deren Verfaſſung nicht eine Behörde zur Entſcheidung ſolcher
Streitigkeiten beſtimmt iſt, hat auf Anrufen eines Theiles
der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das
nicht gelingt, im Wege der Reichsgeſetzgebung zur
Erledigung zu bringen.“
Nach dieſem Artikel iſt die Berechtigung des Bundesrathes
zur Einmiſchung in die Verfaſſungsſtreitigkeit in einem Einzelſtaat
davon abhängig gemacht, daß einer der ſtreitenden Theile ihn
anruft. Es iſt aber zweifellos, daß, wenn die Verfaſſungsſtreitig-
keit dahin führen ſollte, daß die Regierung des Bundesſtaates ihre
Bundespflichten nicht erfüllt, insbeſondere wenn ſie verhindert wird,
die Matrikularbeiträge zu entrichten oder für die Handhabung der
Reichsgeſetze Sorge zu tragen, der Bundesrath aus eigenem Ent-
ſchluß auf Grund des Art. 19 einſchreiten kann. Ferner iſt das
Reich, alſo zunächſt der Bundesrath als deſſen Organ, auch ohne
Anrufen der ſtreitenden Theile zu einem Einſchreiten nicht nur
berechtigt, ſondern ſogar genöthigt, wenn in einem Bundesſtaat
der Thron ſelbſt unter mehreren Prätendenten ſtreitig iſt; weil die
Mitgliedſchaft dieſes Staates durch das Oberhaupt deſſelben aus-
geübt wird, der Landesherr daher der Anerkennung als Bundes-
Mitglied bedarf und das Reich formelle Gewißheit haben muß,
wer der berechtigte Monarch des Bundesſtaates iſt.
3)
1) Nicht jede Behauptung, daß ein Geſetzgebungs- oder Verwaltungs-Akt
einer Bundesregierung verfaſſungs widrig ſei, begründet eine Verfaſſungs-
Streitigkeit. Mit Recht iſt in dem Protokoll des Bundesrathes 1874
§. 94 (S. 70) hervorgehoben, „daß die von einer Korporation (im con-
creten Falle: der Magiſtrat der Stadt Roſtock) aufgeſtellte Behauptung, daß
ein von den verfaſſungsmäßigen Faktoren der Landesgeſetzgebung vereinbartes
Geſetz der Landesverfaſſung nicht entſpreche, eine Verfaſſungsſtreitigkeit im
Sinne des Art. 76 Abſ. 2 überhaupt nicht begründe.“
3) unter Art. 76 Abſ. 1 noch unter Art. 77 fallen; derartige Fälle werden aber
gewiß in der Praxis höchſt ſelten vorkommen.
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