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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
verweigerung eintritt 1). Ueber eine Beschwerde dieser Art hat der
Bundesrath lediglich nach Rechtsgrundsätzen zu entscheiden und
zwar ist ihm im Art. 77 zur Pflicht gemacht, "die Beschwerde nach
der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bun-
desstaates zu beurtheilen" 2). Desgleichen ist die Würdigung der
Frage, ob die in der Beschwerde vorgebrachten Thatsachen erwiesen
sind, eine richterliche. Mit dem vom Bundesrathe gefällten Ur-
theile,
daß der Fall verweigerter oder gehemmter Rechtspflege
vorliege, verbindet sich dann die weitere Funktion, bei der Bun-
desregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, "die
gerichtliche Hülfe zu bewirken."

4. Nach Art. 76 Abs. 1 der R.-V. ist der Bundesrath berufen,
"Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern die-
selben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten
Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, auf Anrufen des einen Theiles
zu erledigen." Er ist in den von diesem Artikel berührten Fällen
an die Stelle der Austrägal-Instanz des ehemaligen Bundes ge-
treten. Wenngleich dem Bundesrath keinerlei Vorschriften gegeben
sind über die Art der Erledigung staatsrechtlicher Streitigkeiten
unter den Bundesgliedern und sein Bestreben naturgemäß auf Her-
beiführung eines Vergleiches gerichtet sein wird, so ist doch das
äußerste und definitive Mittel der Erledigung ein Richterspruch,
der zwangsweise vollstreckt werden kann. Der Art. 76 Abs. 1 ist
so weit gefaßt, daß er es dem Bundesrath überläßt, ob er den
Richterspruch, falls ein gütlicher Vergleich nicht gelingt, selbst
fällen will oder ob er ein Gerichtscollegium, eine Juristen-Fakultät
oder andere Sachverständige mit der Fällung des Urtheils betrauen
will 3). Aber auch wenn der Bundesrath den letzteren Weg wählt,

1) Der Artikel ist wörtlich gleichlautend mit dem Art. 29 der Wiener
Schlußakte, mit der alleinigen Abänderung, daß statt "Bundesversammlung"
Bundesrath gesetzt worden ist. In die Verfassung des Nordd. Bundes wurde
er auf Antrag des Abg. Wiggers aufgenommen. Vgl. Sten. Ber. des ver-
fassungber. Reichstages 1867 S. 672. Ueber den Art. 29 cit. sind zu verglei-
chen Klüber Oeff. R. §. 169. Zöpfl I. §. 156. Zachariä II. §. 281.
2) Es steht dabei dem Bundesrathe frei, sich das Gutachten eines obersten
Gerichtshofes oder anderer Sachverständigen ertheilen zu lassen.
3) Vgl. die Erklärung des Bundescommiss. v. Savigny im Verfas-
sungber. Reichstag v. 1867 S. 664 und die Bemerkungen des Abg. Dr. Za-
chariä
ebendas. S. 670. Vgl. ferner Thudichum S. 110.

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
verweigerung eintritt 1). Ueber eine Beſchwerde dieſer Art hat der
Bundesrath lediglich nach Rechtsgrundſätzen zu entſcheiden und
zwar iſt ihm im Art. 77 zur Pflicht gemacht, „die Beſchwerde nach
der Verfaſſung und den beſtehenden Geſetzen des betreffenden Bun-
desſtaates zu beurtheilen“ 2). Desgleichen iſt die Würdigung der
Frage, ob die in der Beſchwerde vorgebrachten Thatſachen erwieſen
ſind, eine richterliche. Mit dem vom Bundesrathe gefällten Ur-
theile,
daß der Fall verweigerter oder gehemmter Rechtspflege
vorliege, verbindet ſich dann die weitere Funktion, bei der Bun-
desregierung, die zu der Beſchwerde Anlaß gegeben hat, „die
gerichtliche Hülfe zu bewirken.“

4. Nach Art. 76 Abſ. 1 der R.-V. iſt der Bundesrath berufen,
„Streitigkeiten zwiſchen verſchiedenen Bundesſtaaten, ſofern die-
ſelben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten
Gerichtsbehörden zu entſcheiden ſind, auf Anrufen des einen Theiles
zu erledigen.“ Er iſt in den von dieſem Artikel berührten Fällen
an die Stelle der Auſträgal-Inſtanz des ehemaligen Bundes ge-
treten. Wenngleich dem Bundesrath keinerlei Vorſchriften gegeben
ſind über die Art der Erledigung ſtaatsrechtlicher Streitigkeiten
unter den Bundesgliedern und ſein Beſtreben naturgemäß auf Her-
beiführung eines Vergleiches gerichtet ſein wird, ſo iſt doch das
äußerſte und definitive Mittel der Erledigung ein Richterſpruch,
der zwangsweiſe vollſtreckt werden kann. Der Art. 76 Abſ. 1 iſt
ſo weit gefaßt, daß er es dem Bundesrath überläßt, ob er den
Richterſpruch, falls ein gütlicher Vergleich nicht gelingt, ſelbſt
fällen will oder ob er ein Gerichtscollegium, eine Juriſten-Fakultät
oder andere Sachverſtändige mit der Fällung des Urtheils betrauen
will 3). Aber auch wenn der Bundesrath den letzteren Weg wählt,

1) Der Artikel iſt wörtlich gleichlautend mit dem Art. 29 der Wiener
Schlußakte, mit der alleinigen Abänderung, daß ſtatt „Bundesverſammlung“
Bundesrath geſetzt worden iſt. In die Verfaſſung des Nordd. Bundes wurde
er auf Antrag des Abg. Wiggers aufgenommen. Vgl. Sten. Ber. des ver-
faſſungber. Reichstages 1867 S. 672. Ueber den Art. 29 cit. ſind zu verglei-
chen Klüber Oeff. R. §. 169. Zöpfl I. §. 156. Zachariä II. §. 281.
2) Es ſteht dabei dem Bundesrathe frei, ſich das Gutachten eines oberſten
Gerichtshofes oder anderer Sachverſtändigen ertheilen zu laſſen.
3) Vgl. die Erklärung des Bundescommiſſ. v. Savigny im Verfaſ-
ſungber. Reichstag v. 1867 S. 664 und die Bemerkungen des Abg. Dr. Za-
chariä
ebendaſ. S. 670. Vgl. ferner Thudichum S. 110.
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[268/0288] §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. verweigerung eintritt 1). Ueber eine Beſchwerde dieſer Art hat der Bundesrath lediglich nach Rechtsgrundſätzen zu entſcheiden und zwar iſt ihm im Art. 77 zur Pflicht gemacht, „die Beſchwerde nach der Verfaſſung und den beſtehenden Geſetzen des betreffenden Bun- desſtaates zu beurtheilen“ 2). Desgleichen iſt die Würdigung der Frage, ob die in der Beſchwerde vorgebrachten Thatſachen erwieſen ſind, eine richterliche. Mit dem vom Bundesrathe gefällten Ur- theile, daß der Fall verweigerter oder gehemmter Rechtspflege vorliege, verbindet ſich dann die weitere Funktion, bei der Bun- desregierung, die zu der Beſchwerde Anlaß gegeben hat, „die gerichtliche Hülfe zu bewirken.“ 4. Nach Art. 76 Abſ. 1 der R.-V. iſt der Bundesrath berufen, „Streitigkeiten zwiſchen verſchiedenen Bundesſtaaten, ſofern die- ſelben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entſcheiden ſind, auf Anrufen des einen Theiles zu erledigen.“ Er iſt in den von dieſem Artikel berührten Fällen an die Stelle der Auſträgal-Inſtanz des ehemaligen Bundes ge- treten. Wenngleich dem Bundesrath keinerlei Vorſchriften gegeben ſind über die Art der Erledigung ſtaatsrechtlicher Streitigkeiten unter den Bundesgliedern und ſein Beſtreben naturgemäß auf Her- beiführung eines Vergleiches gerichtet ſein wird, ſo iſt doch das äußerſte und definitive Mittel der Erledigung ein Richterſpruch, der zwangsweiſe vollſtreckt werden kann. Der Art. 76 Abſ. 1 iſt ſo weit gefaßt, daß er es dem Bundesrath überläßt, ob er den Richterſpruch, falls ein gütlicher Vergleich nicht gelingt, ſelbſt fällen will oder ob er ein Gerichtscollegium, eine Juriſten-Fakultät oder andere Sachverſtändige mit der Fällung des Urtheils betrauen will 3). Aber auch wenn der Bundesrath den letzteren Weg wählt, 1) Der Artikel iſt wörtlich gleichlautend mit dem Art. 29 der Wiener Schlußakte, mit der alleinigen Abänderung, daß ſtatt „Bundesverſammlung“ Bundesrath geſetzt worden iſt. In die Verfaſſung des Nordd. Bundes wurde er auf Antrag des Abg. Wiggers aufgenommen. Vgl. Sten. Ber. des ver- faſſungber. Reichstages 1867 S. 672. Ueber den Art. 29 cit. ſind zu verglei- chen Klüber Oeff. R. §. 169. Zöpfl I. §. 156. Zachariä II. §. 281. 2) Es ſteht dabei dem Bundesrathe frei, ſich das Gutachten eines oberſten Gerichtshofes oder anderer Sachverſtändigen ertheilen zu laſſen. 3) Vgl. die Erklärung des Bundescommiſſ. v. Savigny im Verfaſ- ſungber. Reichstag v. 1867 S. 664 und die Bemerkungen des Abg. Dr. Za- chariä ebendaſ. S. 670. Vgl. ferner Thudichum S. 110.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/288>, abgerufen am 24.11.2024.