"über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein- schaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) hervortreten" also mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter Beschränkung auf die Zoll- und Steuergesetze und im Anschluß an die Fassung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.
Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12 wiederholt dieselbe Bestimmung und in der Reichsverfassung ist nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes- rath war gleichsam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1).
Art. 36 Abs. 2 der Reichsverfassung verleiht dem Kaiser das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des gesetzlichen Ver- fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet, zu überwachen. Abs. 3 fügt hinzu: "Die von diesen Beamten über Mängel bei der Ausführung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) gemachten An- zeigen werden dem Bundesrathe zur Beschlußnahme vor- gelegt."
Das Verhältniß zwischen Kaiser und Bundesrath ist daher hier nicht zweifelhaft. Der Kaiser hat hinsichtlich der Ueberwachung der Einzelstaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord- nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle Entscheidung aber über die von ihnen erstatteten Anzeigen und die Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll- und Steuergesetze ist dem Bundesrath zugewiesen. Er ist in dieser Hinsicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten, nur daß seine Beschlüsse nicht mehr den Charakter des völkerrecht- lichen Vertrages, sondern den der Entscheidung einer obersten Behörde haben. Der Bundesrath ist in Zoll- und Steuersachen eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über den Selbstverwaltungs-Behörden der Einzelstaaten stehende Control- behörde, welche wie ein höchster Verwaltungsgerichtshof dafür
1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver- eins-Vertrages: "Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen Protokolls bezeichneten Bestimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge- neral-Conferenz übertragen sind, gehen auf den Bundesrath des Zollvereins über."
§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
„über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein- ſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) hervortreten“ alſo mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter Beſchränkung auf die Zoll- und Steuergeſetze und im Anſchluß an die Faſſung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.
Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12 wiederholt dieſelbe Beſtimmung und in der Reichsverfaſſung iſt nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes- rath war gleichſam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1).
Art. 36 Abſ. 2 der Reichsverfaſſung verleiht dem Kaiſer das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des geſetzlichen Ver- fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet, zu überwachen. Abſ. 3 fügt hinzu: „Die von dieſen Beamten über Mängel bei der Ausführung der gemeinſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) gemachten An- zeigen werden dem Bundesrathe zur Beſchlußnahme vor- gelegt.“
Das Verhältniß zwiſchen Kaiſer und Bundesrath iſt daher hier nicht zweifelhaft. Der Kaiſer hat hinſichtlich der Ueberwachung der Einzelſtaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord- nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle Entſcheidung aber über die von ihnen erſtatteten Anzeigen und die Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll- und Steuergeſetze iſt dem Bundesrath zugewieſen. Er iſt in dieſer Hinſicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten, nur daß ſeine Beſchlüſſe nicht mehr den Charakter des völkerrecht- lichen Vertrages, ſondern den der Entſcheidung einer oberſten Behörde haben. Der Bundesrath iſt in Zoll- und Steuerſachen eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über den Selbſtverwaltungs-Behörden der Einzelſtaaten ſtehende Control- behörde, welche wie ein höchſter Verwaltungsgerichtshof dafür
1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver- eins-Vertrages: „Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen Protokolls bezeichneten Beſtimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge- neral-Conferenz übertragen ſind, gehen auf den Bundesrath des Zollvereins über.“
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[258/0278]
§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
„über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein-
ſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) hervortreten“
alſo mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter
Beſchränkung auf die Zoll- und Steuergeſetze und im Anſchluß an
die Faſſung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.
Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12
wiederholt dieſelbe Beſtimmung und in der Reichsverfaſſung iſt
nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes-
rath war gleichſam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von
dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1).
Art. 36 Abſ. 2 der Reichsverfaſſung verleiht dem Kaiſer
das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des geſetzlichen Ver-
fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche
er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet,
zu überwachen. Abſ. 3 fügt hinzu:
„Die von dieſen Beamten über Mängel bei der Ausführung
der gemeinſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) gemachten An-
zeigen werden dem Bundesrathe zur Beſchlußnahme vor-
gelegt.“
Das Verhältniß zwiſchen Kaiſer und Bundesrath iſt daher
hier nicht zweifelhaft. Der Kaiſer hat hinſichtlich der Ueberwachung
der Einzelſtaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord-
nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle
Entſcheidung aber über die von ihnen erſtatteten Anzeigen und die
Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll-
und Steuergeſetze iſt dem Bundesrath zugewieſen. Er iſt in dieſer
Hinſicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten,
nur daß ſeine Beſchlüſſe nicht mehr den Charakter des völkerrecht-
lichen Vertrages, ſondern den der Entſcheidung einer oberſten
Behörde haben. Der Bundesrath iſt in Zoll- und Steuerſachen
eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über
den Selbſtverwaltungs-Behörden der Einzelſtaaten ſtehende Control-
behörde, welche wie ein höchſter Verwaltungsgerichtshof dafür
1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver-
eins-Vertrages: „Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen
Protokolls bezeichneten Beſtimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge-
neral-Conferenz übertragen ſind, gehen auf den Bundesrath des
Zollvereins über.“
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/278>, abgerufen am 24.11.2024.
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