Hierdurch wird dem Bundesrathe die sogenannte Verord- nungs-Gewalt übertragen; d. h. er hat die Befugniß und Obliegenheit, die Verwaltungs-Verordnungen zur Ausführung der Reichsgesetze zu erlassen 1). Andere als Ausführungs-Verordnungen, Verordnungen mit interimistischer Gesetzeskraft oder Noth-Verordnun- gen kennt die Reichsverfassung nicht 2). Die "allgemeinen" Verwal- tungsvorschriften und Einrichtungen stehen im Gegensatz zu den "Verfügungen" im einzelnen Falle, d. h. zu der Erledigung spezieller Verwaltungs- oder Regierungs-Geschäfte, welche Sache des Kaisers und der Reichsbehörden ist. Derartige Verfügungen werden aber auch Verordnungen genannt, namentlich wenn sie vom Kaiser selbst vollzogen werden. Der begriffliche Gegensatz beruht darin, daß die allgemeine, d. h. eigentliche, Verordnung die Aufstellung einer Regel, die Verfügung die Erledigung eines staatlichen Geschäftes ist, z. B. die Einberufung und Schließung der Sitzungen des Bundesrathes und Reichstages.
Der Grundsatz, daß Administrativ-Verordnungen vom Bun- desrathe zu erlassen sind, gestattet aber Ausnahmen 3). Der Art. 7 fügt daher der Nro. 2 die Clausel zu: "sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes bestimmt ist."
Dieses Andere kann darin bestehen:
a) daß die Zustimmung des Reichstages vorbehalten, also ein Reichsgesetz erforderlich ist;
b) daß dem Kaiser der Erlaß der Ausführungsverordnung übertragen wird;
c) daß der Reichskanzler oder eine andere Reichsbe- hörde die erforderlichen Vorschriften erlassen soll;
d) daß die Einzelstaaten die zur Ausführung der Reichs- gesetze nothwendigen Anordnungen zu treffen haben.
Im Allgemeinen hat die Reichsgesetzgebung an dem Grund- satz festgehalten, daß Ausführungs-Verordnungen und überhaupt allgemeine Regeln für die Verwaltung vom Bundesrathe zu er-
1)Thudichum in v. Holtzendorffs Jahrb. I. S. 22 Note 1 Seydel Commentar S. 102 und in Hirth's Annalen 1874 S. 1143 fg.
2) Ueber Elsaß-Lothringen siehe unten §. 54.
3) v. Rönne S. 159 freilich kehrt das Verhältniß gradezu um und be- ruft sich dafür (Note 7) ganz naiv auf Art. 7 Nr. 2 der R.-V.
§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
Hierdurch wird dem Bundesrathe die ſogenannte Verord- nungs-Gewalt übertragen; d. h. er hat die Befugniß und Obliegenheit, die Verwaltungs-Verordnungen zur Ausführung der Reichsgeſetze zu erlaſſen 1). Andere als Ausführungs-Verordnungen, Verordnungen mit interimiſtiſcher Geſetzeskraft oder Noth-Verordnun- gen kennt die Reichsverfaſſung nicht 2). Die „allgemeinen“ Verwal- tungsvorſchriften und Einrichtungen ſtehen im Gegenſatz zu den „Verfügungen“ im einzelnen Falle, d. h. zu der Erledigung ſpezieller Verwaltungs- oder Regierungs-Geſchäfte, welche Sache des Kaiſers und der Reichsbehörden iſt. Derartige Verfügungen werden aber auch Verordnungen genannt, namentlich wenn ſie vom Kaiſer ſelbſt vollzogen werden. Der begriffliche Gegenſatz beruht darin, daß die allgemeine, d. h. eigentliche, Verordnung die Aufſtellung einer Regel, die Verfügung die Erledigung eines ſtaatlichen Geſchäftes iſt, z. B. die Einberufung und Schließung der Sitzungen des Bundesrathes und Reichstages.
Der Grundſatz, daß Adminiſtrativ-Verordnungen vom Bun- desrathe zu erlaſſen ſind, geſtattet aber Ausnahmen 3). Der Art. 7 fügt daher der Nro. 2 die Clauſel zu: „ſofern nicht durch Reichsgeſetz etwas Anderes beſtimmt iſt.“
Dieſes Andere kann darin beſtehen:
a) daß die Zuſtimmung des Reichstages vorbehalten, alſo ein Reichsgeſetz erforderlich iſt;
b) daß dem Kaiſer der Erlaß der Ausführungsverordnung übertragen wird;
c) daß der Reichskanzler oder eine andere Reichsbe- hörde die erforderlichen Vorſchriften erlaſſen ſoll;
d) daß die Einzelſtaaten die zur Ausführung der Reichs- geſetze nothwendigen Anordnungen zu treffen haben.
Im Allgemeinen hat die Reichsgeſetzgebung an dem Grund- ſatz feſtgehalten, daß Ausführungs-Verordnungen und überhaupt allgemeine Regeln für die Verwaltung vom Bundesrathe zu er-
1)Thudichum in v. Holtzendorffs Jahrb. I. S. 22 Note 1 Seydel Commentar S. 102 und in Hirth’s Annalen 1874 S. 1143 fg.
2) Ueber Elſaß-Lothringen ſiehe unten §. 54.
3) v. Rönne S. 159 freilich kehrt das Verhältniß gradezu um und be- ruft ſich dafür (Note 7) ganz naiv auf Art. 7 Nr. 2 der R.-V.
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§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
Hierdurch wird dem Bundesrathe die ſogenannte Verord-
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Obliegenheit, die Verwaltungs-Verordnungen zur Ausführung der
Reichsgeſetze zu erlaſſen 1). Andere als Ausführungs-Verordnungen,
Verordnungen mit interimiſtiſcher Geſetzeskraft oder Noth-Verordnun-
gen kennt die Reichsverfaſſung nicht 2). Die „allgemeinen“ Verwal-
tungsvorſchriften und Einrichtungen ſtehen im Gegenſatz zu den
„Verfügungen“ im einzelnen Falle, d. h. zu der Erledigung ſpezieller
Verwaltungs- oder Regierungs-Geſchäfte, welche Sache des Kaiſers
und der Reichsbehörden iſt. Derartige Verfügungen werden aber
auch Verordnungen genannt, namentlich wenn ſie vom Kaiſer
ſelbſt vollzogen werden. Der begriffliche Gegenſatz beruht darin,
daß die allgemeine, d. h. eigentliche, Verordnung die Aufſtellung
einer Regel, die Verfügung die Erledigung eines ſtaatlichen
Geſchäftes iſt, z. B. die Einberufung und Schließung der Sitzungen
des Bundesrathes und Reichstages.
Der Grundſatz, daß Adminiſtrativ-Verordnungen vom Bun-
desrathe zu erlaſſen ſind, geſtattet aber Ausnahmen 3). Der Art.
7 fügt daher der Nro. 2 die Clauſel zu:
„ſofern nicht durch Reichsgeſetz etwas Anderes
beſtimmt iſt.“
Dieſes Andere kann darin beſtehen:
a) daß die Zuſtimmung des Reichstages vorbehalten, alſo ein
Reichsgeſetz erforderlich iſt;
b) daß dem Kaiſer der Erlaß der Ausführungsverordnung
übertragen wird;
c) daß der Reichskanzler oder eine andere Reichsbe-
hörde die erforderlichen Vorſchriften erlaſſen ſoll;
d) daß die Einzelſtaaten die zur Ausführung der Reichs-
geſetze nothwendigen Anordnungen zu treffen haben.
Im Allgemeinen hat die Reichsgeſetzgebung an dem Grund-
ſatz feſtgehalten, daß Ausführungs-Verordnungen und überhaupt
allgemeine Regeln für die Verwaltung vom Bundesrathe zu er-
1) Thudichum in v. Holtzendorffs Jahrb. I. S. 22 Note 1 Seydel
Commentar S. 102 und in Hirth’s Annalen 1874 S. 1143 fg.
2) Ueber Elſaß-Lothringen ſiehe unten §. 54.
3) v. Rönne S. 159 freilich kehrt das Verhältniß gradezu um und be-
ruft ſich dafür (Note 7) ganz naiv auf Art. 7 Nr. 2 der R.-V.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/274>, abgerufen am 17.02.2025.
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