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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
sönliche Ansicht seines Landesherrn, sondern der staatliche Wille
des Bundesgliedes zum Ausdrucke 1).

Hieraus ergeben sich folgende Sätze:

a) Da nicht die einzelnen Bevollmächtigten als Individuen,
sondern die Staaten im Bundesrathe Stimmen haben, so kann
jedes Mitglied des Reiches, welches mehrere Stimmen im Bundes-
rath führt, die Gesammtheit der zuständigen Stimmen nur ein-
heitlich abgeben. Es ist dies im Art. 6 der R.-V. besonders aus-
gesprochen; versteht sich aber von selbst, da es vernunftwidrig ist,
daß ein Staat gleichzeitig zwei oder mehr sich widersprechende
Willen habe.

b) Die Anzahl der Stimmen, welche ein Staat im Bundes-
rath führt, ist ganz unabhängig von der Anzahl der Bevollmäch-
tigten, welche als seine Vertreter an der Bundesrathssitzung Theil
nehmen. Nach Ausweis der Protokolle des Bundesrathes ist die
Anzahl der Personen, welche an den Sitzungen Theil nehmen, sehr
viel geringer als die Anzahl der Stimmen, welche im Bundesrath
geführt werden; indem von den größeren Staaten in der Regel
nur ein oder zwei Bevollmächtigte anwesend sind und die kleineren
sehr häufig durch einen, mit Substitutions-Vollmacht versehenen
Vertreter eines anderen Bundesgliedes ihre Stimmen abgeben.
Für die Berathung und Discussion ist dies unter Umständen von

1) Fürst Bismarck charakterisirte in seiner berühmten Rede im Reichs-
tage vom 19. April 1871 die Stimmen im Bundesrathe in folgender Art:
"Nach der Erfurter Verfassung stimmte im Staatenhause nicht der Staat,
sondern das Individuum; es war Jemand ernannt worden (ich weiß nicht,
ob auf Lebenszeit oder limitirt), aber er stimmte nicht nach Instruktionen,
sondern nach seiner Ueberzeugung. So leicht wiegen die Stimmen im Bun-
desrathe nicht; da stimmt nicht der Freiherr v. Friesen, sondern das König-
reich Sachsen stimmt durch ihn, nach seiner Instruktion giebt er ein Votum
ab, was sorgfältig destillirt ist aus all den Kräften, die zum öffentlichen Leben
in Sachsen mitwirken. In dem Votum ist die Diagonale aller der Kräfte,
die in Sachsen thätig sind, um das Staatswesen zu bilden. -- -- -- Analog
ist es in den Hansestädten, in den republikanischen Gliedern; es ist das ganze
Gewicht einer reichen, großen, mächtigen, intelligenten Handelsstadt, was sich
Ihnen in dem Votum der Stadt Hamburg im Bundesrath darstellt, und nicht
das Votum eines Hamburgers, der nach seiner persönlichen Ueberzeugung so
oder so votiren kann. Die Vota im Bundesrath nehmen für sich die Achtung
in Anspruch, die man dem gesammten Staatswesen eines der Bundesglieder
schuldig ist."

§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
ſönliche Anſicht ſeines Landesherrn, ſondern der ſtaatliche Wille
des Bundesgliedes zum Ausdrucke 1).

Hieraus ergeben ſich folgende Sätze:

a) Da nicht die einzelnen Bevollmächtigten als Individuen,
ſondern die Staaten im Bundesrathe Stimmen haben, ſo kann
jedes Mitglied des Reiches, welches mehrere Stimmen im Bundes-
rath führt, die Geſammtheit der zuſtändigen Stimmen nur ein-
heitlich abgeben. Es iſt dies im Art. 6 der R.-V. beſonders aus-
geſprochen; verſteht ſich aber von ſelbſt, da es vernunftwidrig iſt,
daß ein Staat gleichzeitig zwei oder mehr ſich widerſprechende
Willen habe.

b) Die Anzahl der Stimmen, welche ein Staat im Bundes-
rath führt, iſt ganz unabhängig von der Anzahl der Bevollmäch-
tigten, welche als ſeine Vertreter an der Bundesrathsſitzung Theil
nehmen. Nach Ausweis der Protokolle des Bundesrathes iſt die
Anzahl der Perſonen, welche an den Sitzungen Theil nehmen, ſehr
viel geringer als die Anzahl der Stimmen, welche im Bundesrath
geführt werden; indem von den größeren Staaten in der Regel
nur ein oder zwei Bevollmächtigte anweſend ſind und die kleineren
ſehr häufig durch einen, mit Subſtitutions-Vollmacht verſehenen
Vertreter eines anderen Bundesgliedes ihre Stimmen abgeben.
Für die Berathung und Discuſſion iſt dies unter Umſtänden von

1) Fürſt Bismarck charakteriſirte in ſeiner berühmten Rede im Reichs-
tage vom 19. April 1871 die Stimmen im Bundesrathe in folgender Art:
„Nach der Erfurter Verfaſſung ſtimmte im Staatenhauſe nicht der Staat,
ſondern das Individuum; es war Jemand ernannt worden (ich weiß nicht,
ob auf Lebenszeit oder limitirt), aber er ſtimmte nicht nach Inſtruktionen,
ſondern nach ſeiner Ueberzeugung. So leicht wiegen die Stimmen im Bun-
desrathe nicht; da ſtimmt nicht der Freiherr v. Frieſen, ſondern das König-
reich Sachſen ſtimmt durch ihn, nach ſeiner Inſtruktion giebt er ein Votum
ab, was ſorgfältig deſtillirt iſt aus all den Kräften, die zum öffentlichen Leben
in Sachſen mitwirken. In dem Votum iſt die Diagonale aller der Kräfte,
die in Sachſen thätig ſind, um das Staatsweſen zu bilden. — — — Analog
iſt es in den Hanſeſtädten, in den republikaniſchen Gliedern; es iſt das ganze
Gewicht einer reichen, großen, mächtigen, intelligenten Handelsſtadt, was ſich
Ihnen in dem Votum der Stadt Hamburg im Bundesrath darſtellt, und nicht
das Votum eines Hamburgers, der nach ſeiner perſönlichen Ueberzeugung ſo
oder ſo votiren kann. Die Vota im Bundesrath nehmen für ſich die Achtung
in Anſpruch, die man dem geſammten Staatsweſen eines der Bundesglieder
ſchuldig iſt.“
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[239/0259] §. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe. ſönliche Anſicht ſeines Landesherrn, ſondern der ſtaatliche Wille des Bundesgliedes zum Ausdrucke 1). Hieraus ergeben ſich folgende Sätze: a) Da nicht die einzelnen Bevollmächtigten als Individuen, ſondern die Staaten im Bundesrathe Stimmen haben, ſo kann jedes Mitglied des Reiches, welches mehrere Stimmen im Bundes- rath führt, die Geſammtheit der zuſtändigen Stimmen nur ein- heitlich abgeben. Es iſt dies im Art. 6 der R.-V. beſonders aus- geſprochen; verſteht ſich aber von ſelbſt, da es vernunftwidrig iſt, daß ein Staat gleichzeitig zwei oder mehr ſich widerſprechende Willen habe. b) Die Anzahl der Stimmen, welche ein Staat im Bundes- rath führt, iſt ganz unabhängig von der Anzahl der Bevollmäch- tigten, welche als ſeine Vertreter an der Bundesrathsſitzung Theil nehmen. Nach Ausweis der Protokolle des Bundesrathes iſt die Anzahl der Perſonen, welche an den Sitzungen Theil nehmen, ſehr viel geringer als die Anzahl der Stimmen, welche im Bundesrath geführt werden; indem von den größeren Staaten in der Regel nur ein oder zwei Bevollmächtigte anweſend ſind und die kleineren ſehr häufig durch einen, mit Subſtitutions-Vollmacht verſehenen Vertreter eines anderen Bundesgliedes ihre Stimmen abgeben. Für die Berathung und Discuſſion iſt dies unter Umſtänden von 1) Fürſt Bismarck charakteriſirte in ſeiner berühmten Rede im Reichs- tage vom 19. April 1871 die Stimmen im Bundesrathe in folgender Art: „Nach der Erfurter Verfaſſung ſtimmte im Staatenhauſe nicht der Staat, ſondern das Individuum; es war Jemand ernannt worden (ich weiß nicht, ob auf Lebenszeit oder limitirt), aber er ſtimmte nicht nach Inſtruktionen, ſondern nach ſeiner Ueberzeugung. So leicht wiegen die Stimmen im Bun- desrathe nicht; da ſtimmt nicht der Freiherr v. Frieſen, ſondern das König- reich Sachſen ſtimmt durch ihn, nach ſeiner Inſtruktion giebt er ein Votum ab, was ſorgfältig deſtillirt iſt aus all den Kräften, die zum öffentlichen Leben in Sachſen mitwirken. In dem Votum iſt die Diagonale aller der Kräfte, die in Sachſen thätig ſind, um das Staatsweſen zu bilden. — — — Analog iſt es in den Hanſeſtädten, in den republikaniſchen Gliedern; es iſt das ganze Gewicht einer reichen, großen, mächtigen, intelligenten Handelsſtadt, was ſich Ihnen in dem Votum der Stadt Hamburg im Bundesrath darſtellt, und nicht das Votum eines Hamburgers, der nach ſeiner perſönlichen Ueberzeugung ſo oder ſo votiren kann. Die Vota im Bundesrath nehmen für ſich die Achtung in Anſpruch, die man dem geſammten Staatsweſen eines der Bundesglieder ſchuldig iſt.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/259>, abgerufen am 24.11.2024.