Dies ist nicht nur für die politische Würdigung, sondern in höherem Grade noch für die Erkenntniß des juristischen Wesens des Bundesrathes von Bedeutung. Der Bundesrath vereinigt in sich zwei Eigenschaften, er hat eine Doppelnatur; die eine entspricht seiner historischen Abkunft vom alten Bundestage; die andere ent- springt aus der Natur und den Bedürfnissen des neu gegründeten Bundesstaates. In dieser Doppelnatur liegt die Schwierigkeit für die staatsrechtliche Begriffsbestimmung des Bundesrathes, die Un- möglichkeit ihn mit den herkömmlichen Institutionen zu identifiziren. Diese Doppelnatur entspricht aber vollkommen dem Grundbau des deutschen Reiches; sie correspondirt vollständig mit der Doppel- stellung des Kaisers. Sowie der Kaiser theils Mitgliedschaftsrechte hat als König von Preußen theils Organ des Reiches ist und als solches die Präsidialbefugnisse ausübt; so dient auch der Bundes- rath theils zur Ausübung und Geltendmachung der Mitglied- schaftsrechte der einzelnen Bundesstaaten theils als ein Organ des Reiches, das letztere als begriffliche Einheit, als staatliche Person genommen.
Man hat den Bundesrath mit einem Oberhause oder Staaten- hause verglichen 1). Der Bundesrath steht aber zu jeder Art von parlamentarischer Körperschaft im schroffsten Gegensatz; denn die Mitglieder des Bundesrathes stimmen nicht nach freier, indivi- dueller Ueberzeugung, sondern nach den ihnen ertheilten Instruc- tionen und sind ihrer Regierung verantwortlich für ihr Verhalten im Bundesrath. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, daß der Bundesrath thatsächlich im Reich in einzelnen Richtungen ähn- liche Dienste wohl zu leisten vermag, wie sie von einem Oberhause oder Staatenhause geleistet werden können. Jede Vergleichung zwischen dem Bundesrathe und einem Staatenhause sieht aber gänz- lich ab von dem Wesen der Institution, von dem staatsrechtlichen Charakter derselben und faßt nur factische, zufällige Aehnlichkeiten ins Auge.
Man hat den Bundesrath und seine Ausschüsse andererseits mit Ministerien verglichen 2). Von diesem Vergleiche gilt ganz dasselbe.
1) Am breitesten führt dies aus Winter a. a. O. S. 58 ff.
2) v. Gerber Grundz. S. 248 scheint an eine Verbindung beider Func- tionen zu denken, in dem er sagt: "Der Bundesrath ist keineswegs mit einem bloßen Oberhause zu vergleichen, vielmehr hat er auch den Charakter eines
§. 27. Weſen des Bundesrathes.
Dies iſt nicht nur für die politiſche Würdigung, ſondern in höherem Grade noch für die Erkenntniß des juriſtiſchen Weſens des Bundesrathes von Bedeutung. Der Bundesrath vereinigt in ſich zwei Eigenſchaften, er hat eine Doppelnatur; die eine entſpricht ſeiner hiſtoriſchen Abkunft vom alten Bundestage; die andere ent- ſpringt aus der Natur und den Bedürfniſſen des neu gegründeten Bundesſtaates. In dieſer Doppelnatur liegt die Schwierigkeit für die ſtaatsrechtliche Begriffsbeſtimmung des Bundesrathes, die Un- möglichkeit ihn mit den herkömmlichen Inſtitutionen zu identifiziren. Dieſe Doppelnatur entſpricht aber vollkommen dem Grundbau des deutſchen Reiches; ſie correſpondirt vollſtändig mit der Doppel- ſtellung des Kaiſers. Sowie der Kaiſer theils Mitgliedſchaftsrechte hat als König von Preußen theils Organ des Reiches iſt und als ſolches die Präſidialbefugniſſe ausübt; ſo dient auch der Bundes- rath theils zur Ausübung und Geltendmachung der Mitglied- ſchaftsrechte der einzelnen Bundesſtaaten theils als ein Organ des Reiches, das letztere als begriffliche Einheit, als ſtaatliche Perſon genommen.
Man hat den Bundesrath mit einem Oberhauſe oder Staaten- hauſe verglichen 1). Der Bundesrath ſteht aber zu jeder Art von parlamentariſcher Körperſchaft im ſchroffſten Gegenſatz; denn die Mitglieder des Bundesrathes ſtimmen nicht nach freier, indivi- dueller Ueberzeugung, ſondern nach den ihnen ertheilten Inſtruc- tionen und ſind ihrer Regierung verantwortlich für ihr Verhalten im Bundesrath. Gleichwohl iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß der Bundesrath thatſächlich im Reich in einzelnen Richtungen ähn- liche Dienſte wohl zu leiſten vermag, wie ſie von einem Oberhauſe oder Staatenhauſe geleiſtet werden können. Jede Vergleichung zwiſchen dem Bundesrathe und einem Staatenhauſe ſieht aber gänz- lich ab von dem Weſen der Inſtitution, von dem ſtaatsrechtlichen Charakter derſelben und faßt nur factiſche, zufällige Aehnlichkeiten ins Auge.
Man hat den Bundesrath und ſeine Ausſchüſſe andererſeits mit Miniſterien verglichen 2). Von dieſem Vergleiche gilt ganz daſſelbe.
1) Am breiteſten führt dies aus Winter a. a. O. S. 58 ff.
2) v. Gerber Grundz. S. 248 ſcheint an eine Verbindung beider Func- tionen zu denken, in dem er ſagt: „Der Bundesrath iſt keineswegs mit einem bloßen Oberhauſe zu vergleichen, vielmehr hat er auch den Charakter eines
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0252"n="232"/><fwplace="top"type="header">§. 27. Weſen des Bundesrathes.</fw><lb/><p>Dies iſt nicht nur für die politiſche Würdigung, ſondern in<lb/>
höherem Grade noch für die Erkenntniß des juriſtiſchen Weſens<lb/>
des Bundesrathes von Bedeutung. Der Bundesrath vereinigt in<lb/>ſich zwei Eigenſchaften, er hat eine Doppelnatur; die eine entſpricht<lb/>ſeiner hiſtoriſchen Abkunft vom alten Bundestage; die andere ent-<lb/>ſpringt aus der Natur und den Bedürfniſſen des neu gegründeten<lb/>
Bundesſtaates. In dieſer Doppelnatur liegt die Schwierigkeit für<lb/>
die ſtaatsrechtliche Begriffsbeſtimmung des Bundesrathes, die Un-<lb/>
möglichkeit ihn mit den herkömmlichen Inſtitutionen zu identifiziren.<lb/>
Dieſe Doppelnatur entſpricht aber vollkommen dem Grundbau des<lb/>
deutſchen Reiches; ſie correſpondirt vollſtändig mit der Doppel-<lb/>ſtellung des Kaiſers. Sowie der Kaiſer theils Mitgliedſchaftsrechte<lb/>
hat als König von Preußen theils Organ des Reiches iſt und als<lb/>ſolches die Präſidialbefugniſſe ausübt; ſo dient auch der Bundes-<lb/>
rath theils zur Ausübung und <choice><sic>Geltendmachuug</sic><corr>Geltendmachung</corr></choice> der <hirendition="#g">Mitglied-<lb/>ſchaftsrechte</hi> der <hirendition="#g">einzelnen Bundesſtaaten</hi> theils als<lb/>
ein <hirendition="#g">Organ des Reiches</hi>, das letztere als begriffliche Einheit,<lb/>
als ſtaatliche Perſon genommen.</p><lb/><p>Man hat den Bundesrath mit einem Oberhauſe oder Staaten-<lb/>
hauſe verglichen <noteplace="foot"n="1)">Am breiteſten führt dies aus <hirendition="#g">Winter</hi> a. a. O. S. 58 ff.</note>. Der Bundesrath ſteht aber zu jeder Art von<lb/>
parlamentariſcher Körperſchaft im ſchroffſten Gegenſatz; denn die<lb/>
Mitglieder des Bundesrathes ſtimmen nicht nach freier, indivi-<lb/>
dueller Ueberzeugung, ſondern nach den ihnen ertheilten Inſtruc-<lb/>
tionen und ſind ihrer Regierung verantwortlich für ihr Verhalten<lb/>
im Bundesrath. Gleichwohl iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß der<lb/>
Bundesrath <hirendition="#g">thatſächlich</hi> im Reich in einzelnen Richtungen ähn-<lb/>
liche Dienſte wohl zu leiſten vermag, wie ſie von einem Oberhauſe<lb/>
oder Staatenhauſe geleiſtet werden können. Jede Vergleichung<lb/>
zwiſchen dem Bundesrathe und einem Staatenhauſe ſieht aber gänz-<lb/>
lich ab von dem Weſen der Inſtitution, von dem ſtaatsrechtlichen<lb/>
Charakter derſelben und faßt nur factiſche, zufällige Aehnlichkeiten<lb/>
ins Auge.</p><lb/><p>Man hat den Bundesrath und ſeine Ausſchüſſe andererſeits mit<lb/>
Miniſterien verglichen <notexml:id="seg2pn_31_1"next="#seg2pn_31_2"place="foot"n="2)">v. <hirendition="#g">Gerber</hi> Grundz. S. 248 ſcheint an eine Verbindung beider Func-<lb/>
tionen zu denken, in dem er ſagt: „Der Bundesrath iſt keineswegs mit einem<lb/><hirendition="#g">bloßen</hi> Oberhauſe zu vergleichen, vielmehr hat er <hirendition="#g">auch</hi> den Charakter eines</note>. Von dieſem Vergleiche gilt ganz daſſelbe.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[232/0252]
§. 27. Weſen des Bundesrathes.
Dies iſt nicht nur für die politiſche Würdigung, ſondern in
höherem Grade noch für die Erkenntniß des juriſtiſchen Weſens
des Bundesrathes von Bedeutung. Der Bundesrath vereinigt in
ſich zwei Eigenſchaften, er hat eine Doppelnatur; die eine entſpricht
ſeiner hiſtoriſchen Abkunft vom alten Bundestage; die andere ent-
ſpringt aus der Natur und den Bedürfniſſen des neu gegründeten
Bundesſtaates. In dieſer Doppelnatur liegt die Schwierigkeit für
die ſtaatsrechtliche Begriffsbeſtimmung des Bundesrathes, die Un-
möglichkeit ihn mit den herkömmlichen Inſtitutionen zu identifiziren.
Dieſe Doppelnatur entſpricht aber vollkommen dem Grundbau des
deutſchen Reiches; ſie correſpondirt vollſtändig mit der Doppel-
ſtellung des Kaiſers. Sowie der Kaiſer theils Mitgliedſchaftsrechte
hat als König von Preußen theils Organ des Reiches iſt und als
ſolches die Präſidialbefugniſſe ausübt; ſo dient auch der Bundes-
rath theils zur Ausübung und Geltendmachung der Mitglied-
ſchaftsrechte der einzelnen Bundesſtaaten theils als
ein Organ des Reiches, das letztere als begriffliche Einheit,
als ſtaatliche Perſon genommen.
Man hat den Bundesrath mit einem Oberhauſe oder Staaten-
hauſe verglichen 1). Der Bundesrath ſteht aber zu jeder Art von
parlamentariſcher Körperſchaft im ſchroffſten Gegenſatz; denn die
Mitglieder des Bundesrathes ſtimmen nicht nach freier, indivi-
dueller Ueberzeugung, ſondern nach den ihnen ertheilten Inſtruc-
tionen und ſind ihrer Regierung verantwortlich für ihr Verhalten
im Bundesrath. Gleichwohl iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß der
Bundesrath thatſächlich im Reich in einzelnen Richtungen ähn-
liche Dienſte wohl zu leiſten vermag, wie ſie von einem Oberhauſe
oder Staatenhauſe geleiſtet werden können. Jede Vergleichung
zwiſchen dem Bundesrathe und einem Staatenhauſe ſieht aber gänz-
lich ab von dem Weſen der Inſtitution, von dem ſtaatsrechtlichen
Charakter derſelben und faßt nur factiſche, zufällige Aehnlichkeiten
ins Auge.
Man hat den Bundesrath und ſeine Ausſchüſſe andererſeits mit
Miniſterien verglichen 2). Von dieſem Vergleiche gilt ganz daſſelbe.
1) Am breiteſten führt dies aus Winter a. a. O. S. 58 ff.
2) v. Gerber Grundz. S. 248 ſcheint an eine Verbindung beider Func-
tionen zu denken, in dem er ſagt: „Der Bundesrath iſt keineswegs mit einem
bloßen Oberhauſe zu vergleichen, vielmehr hat er auch den Charakter eines
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.