Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 27. Wesen des Bundesrathes. erdacht und erfunden worden, sondern gleichsam von selbst ent-standen, historisch gegeben gewesen. Die politische Genialität des Fürsten Bismarck zeigte sich nicht sowohl in der Schöpfung des Bundesrathes, sondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem derselbe mit der Theorie vom Bundesstaate und der konstitutio- nellen Doctrin in unversöhnbarem Contrast zu stehen schien. Wenn für irgend ein Institut des jetzigen deutschen Reichsstaatsrechtes die historischen Wurzeln klar erkennbar sind und für das juristische Verständniß verwerthet werden können, so ist es der Bundes- rath 1). Es ist hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des 1) Grade im Gegensatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 "eine ganz eigenthümlich kühne Schöpfung" und eine "proles sine matre creata." 2) Auch für die Neugestaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab sich
dieselbe Organisation von selbst. §. 27. Weſen des Bundesrathes. erdacht und erfunden worden, ſondern gleichſam von ſelbſt ent-ſtanden, hiſtoriſch gegeben geweſen. Die politiſche Genialität des Fürſten Bismarck zeigte ſich nicht ſowohl in der Schöpfung des Bundesrathes, ſondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem derſelbe mit der Theorie vom Bundesſtaate und der konſtitutio- nellen Doctrin in unverſöhnbarem Contraſt zu ſtehen ſchien. Wenn für irgend ein Inſtitut des jetzigen deutſchen Reichsſtaatsrechtes die hiſtoriſchen Wurzeln klar erkennbar ſind und für das juriſtiſche Verſtändniß verwerthet werden können, ſo iſt es der Bundes- rath 1). Es iſt hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des 1) Grade im Gegenſatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 „eine ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ und eine „proles sine matre creata.“ 2) Auch für die Neugeſtaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab ſich
dieſelbe Organiſation von ſelbſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0251" n="231"/><fw place="top" type="header">§. 27. Weſen des Bundesrathes.</fw><lb/> erdacht und erfunden worden, ſondern gleichſam von ſelbſt ent-<lb/> ſtanden, hiſtoriſch gegeben geweſen. Die politiſche Genialität des<lb/> Fürſten Bismarck zeigte ſich nicht ſowohl in der <hi rendition="#g">Schöpfung</hi> des<lb/> Bundesrathes, ſondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem<lb/> derſelbe mit der Theorie vom Bundesſtaate und der konſtitutio-<lb/> nellen Doctrin in unverſöhnbarem Contraſt zu ſtehen ſchien. Wenn<lb/> für irgend ein Inſtitut des jetzigen deutſchen Reichsſtaatsrechtes<lb/> die hiſtoriſchen Wurzeln klar erkennbar ſind und für das juriſtiſche<lb/> Verſtändniß verwerthet werden können, ſo iſt es der Bundes-<lb/> rath <note place="foot" n="1)">Grade im Gegenſatz hierzu nennt ihn v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> S. 228. 230 „eine<lb/> ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ und eine <hi rendition="#aq">„proles sine matre creata.“</hi></note>.</p><lb/> <p>Es iſt hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des<lb/> Norddeutſchen Bundes die Preußiſche Regierung die <hi rendition="#g">Reform</hi> des<lb/> deutſchen Bundes durch Einfügung einer Volksvertretung, Abſchaf-<lb/> fung des Prinzips der Einſtimmigkeit und Erweiterung der Com-<lb/> petenz angeſtrebt hat. Dieſer Gedanke wurde bei der Neugründung<lb/> des Norddeutſchen Bundes feſtgehalten. Er führte von ſelbſt zu<lb/> den Grundlinien der Organiſation des letzteren und dieſe Grund-<lb/> linien waren ſchon vor der Errichtung des Norddeutſchen Bundes<lb/> in Folge des Auguſtbündniſſes verwirklicht, gleichſam proviſoriſch<lb/> eingeführt. Die Commiſſäre der deutſchen Regierungen, welche im<lb/> Winter 1866 in Berlin zuſammentraten, um den Verfaſſungsent-<lb/> wurf zu berathen, bildeten zuſammen ein Collegium, welches im<lb/> Weſentlichen dem alten Bundestags-Plenum entſprach, d. h. ſie<lb/> waren zu einem Kongreß vereinigte, nach Inſtructionen ſtimmende<lb/> und beſchließende Bevollmächtigte völkerrechtlich verbundener Re-<lb/> gierungen, das Präſidium und die Leitung der Geſchäfte fiel natur-<lb/> gemäß dem erſten Vertreter Preußens zu und man hatte in dem<lb/> in Ausſicht genommenen und im Februar 1867 zuſammentretenden<lb/> Reichstage das Zuſammenwirken von Bundesrath und Reichstag<lb/> vor Augen. Man brauchte in der That keine Organiſation zu<lb/> erfinden, ſondern nur die Einrichtungen, welche ſchon vorhanden<lb/> waren und welche gleichſam der natürliche Ausdruck der gegebenen<lb/> Verhältniſſe, der Reflex der hiſtoriſch entſtandenen Thatſachen<lb/> waren, rechtlich zu fixiren und näher zu beſtimmen <note place="foot" n="2)">Auch für die Neugeſtaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab ſich<lb/> dieſelbe Organiſation von ſelbſt.</note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0251]
§. 27. Weſen des Bundesrathes.
erdacht und erfunden worden, ſondern gleichſam von ſelbſt ent-
ſtanden, hiſtoriſch gegeben geweſen. Die politiſche Genialität des
Fürſten Bismarck zeigte ſich nicht ſowohl in der Schöpfung des
Bundesrathes, ſondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem
derſelbe mit der Theorie vom Bundesſtaate und der konſtitutio-
nellen Doctrin in unverſöhnbarem Contraſt zu ſtehen ſchien. Wenn
für irgend ein Inſtitut des jetzigen deutſchen Reichsſtaatsrechtes
die hiſtoriſchen Wurzeln klar erkennbar ſind und für das juriſtiſche
Verſtändniß verwerthet werden können, ſo iſt es der Bundes-
rath 1).
Es iſt hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des
Norddeutſchen Bundes die Preußiſche Regierung die Reform des
deutſchen Bundes durch Einfügung einer Volksvertretung, Abſchaf-
fung des Prinzips der Einſtimmigkeit und Erweiterung der Com-
petenz angeſtrebt hat. Dieſer Gedanke wurde bei der Neugründung
des Norddeutſchen Bundes feſtgehalten. Er führte von ſelbſt zu
den Grundlinien der Organiſation des letzteren und dieſe Grund-
linien waren ſchon vor der Errichtung des Norddeutſchen Bundes
in Folge des Auguſtbündniſſes verwirklicht, gleichſam proviſoriſch
eingeführt. Die Commiſſäre der deutſchen Regierungen, welche im
Winter 1866 in Berlin zuſammentraten, um den Verfaſſungsent-
wurf zu berathen, bildeten zuſammen ein Collegium, welches im
Weſentlichen dem alten Bundestags-Plenum entſprach, d. h. ſie
waren zu einem Kongreß vereinigte, nach Inſtructionen ſtimmende
und beſchließende Bevollmächtigte völkerrechtlich verbundener Re-
gierungen, das Präſidium und die Leitung der Geſchäfte fiel natur-
gemäß dem erſten Vertreter Preußens zu und man hatte in dem
in Ausſicht genommenen und im Februar 1867 zuſammentretenden
Reichstage das Zuſammenwirken von Bundesrath und Reichstag
vor Augen. Man brauchte in der That keine Organiſation zu
erfinden, ſondern nur die Einrichtungen, welche ſchon vorhanden
waren und welche gleichſam der natürliche Ausdruck der gegebenen
Verhältniſſe, der Reflex der hiſtoriſch entſtandenen Thatſachen
waren, rechtlich zu fixiren und näher zu beſtimmen 2).
1) Grade im Gegenſatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 „eine
ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ und eine „proles sine matre creata.“
2) Auch für die Neugeſtaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab ſich
dieſelbe Organiſation von ſelbſt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |