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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 24. Die staatsrechtliche Natur des Kaiserthums.

Vor Allem ist klar, daß die Stellung des Kaisers im Reiche
durch die kaiserlichen Rechte allein gar nicht vollständig gegeben
ist; sie finden ihre nothwendige Ergänzung in den Mitglied-
schaftsrechten
Preußens. Nur wenn man die Mitgliedschafts-
rechte, welche Preußen mit allen übrigen Deutschen Staaten ge-
mein hat, mit dem Sonderrecht, welches durch seine Präsidial-
befugnisse gebildet wird, zusammenaddirt, erhält man die volle
Summe der dem Kaiser zustehenden Rechte und ein vollständiges
Bild der Stellung des Kaisers im Reiche. Denkt man sich Je-
manden, der nicht zugleich Landesherr eines Deutschen Staates,
also nicht Mitglied des Reiches ist 1), ausgestattet mit allen kaiser-
lichen Rechten der Reichsverfassung und der auf Grund derselben
erlassenen Gesetze, so hat man ein Zerrbild des Kaisers, das in
die Reichsverfassung nach keiner Richtung paßt. Denkt man sich
den Landesherrn eines der kleineren Staaten mit den Präsidial-
befugnissen ausgestattet, so könnte man formell juristisch die von
dem Kaiser geltenden Grundsätze auf ihn zwar anwenden, that-
sächlich und politisch betrachtet wäre das Kaiserthum aber etwas
durchaus Verschiedenes von dem, was es wirklich ist. Nur dadurch
daß man die Präsidialbefugnisse in untrennbaren Zusammenhang
bringt mit den, der Krone Preußen zustehenden Mitgliedschafts-
rechten, ja daß man das Recht auf die Ausübung dieser
Präsidialbefugnisse als ein zu diesen Mitglied-
schaftsrechten accessorisches Vorrecht (Sonderrecht)
Preußens
auffaßt, gewinnt man den staatsrechtlichen Begriff
des Kaisers. Wenn nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 37 "die Stimme
des Präsidiums," nach Art. 9 Abs. 2 "die Präsidialstimme" bei
der Beschlußfassung des Bundesraths den Ausschlag giebt, wenn
nach Art. 8 in jedem der dauernden Bundesraths-Ausschüsse "das
Präsidium" vertreten sein muß, so ist "Präsidium" und "Preußen"
hier völlig identisch; es ist bei der schärfsten logischen Unterschei-
dung unmöglich, einen begrifflichen Unterschied zwischen der sieb-
zehnfachen Stimme Preußens und der Präsidialstimme aufzustellen
oder sie im Gegensatz zu einander zu denken. (Vgl. unten §. 28.)

Die wichtige Consequenz dieser Auffassung ist der Satz, daß
die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte Preußens und die Hand-

1) in dem oben S. 88 fg. entwickelten Sinne.
§. 24. Die ſtaatsrechtliche Natur des Kaiſerthums.

Vor Allem iſt klar, daß die Stellung des Kaiſers im Reiche
durch die kaiſerlichen Rechte allein gar nicht vollſtändig gegeben
iſt; ſie finden ihre nothwendige Ergänzung in den Mitglied-
ſchaftsrechten
Preußens. Nur wenn man die Mitgliedſchafts-
rechte, welche Preußen mit allen übrigen Deutſchen Staaten ge-
mein hat, mit dem Sonderrecht, welches durch ſeine Präſidial-
befugniſſe gebildet wird, zuſammenaddirt, erhält man die volle
Summe der dem Kaiſer zuſtehenden Rechte und ein vollſtändiges
Bild der Stellung des Kaiſers im Reiche. Denkt man ſich Je-
manden, der nicht zugleich Landesherr eines Deutſchen Staates,
alſo nicht Mitglied des Reiches iſt 1), ausgeſtattet mit allen kaiſer-
lichen Rechten der Reichsverfaſſung und der auf Grund derſelben
erlaſſenen Geſetze, ſo hat man ein Zerrbild des Kaiſers, das in
die Reichsverfaſſung nach keiner Richtung paßt. Denkt man ſich
den Landesherrn eines der kleineren Staaten mit den Präſidial-
befugniſſen ausgeſtattet, ſo könnte man formell juriſtiſch die von
dem Kaiſer geltenden Grundſätze auf ihn zwar anwenden, that-
ſächlich und politiſch betrachtet wäre das Kaiſerthum aber etwas
durchaus Verſchiedenes von dem, was es wirklich iſt. Nur dadurch
daß man die Präſidialbefugniſſe in untrennbaren Zuſammenhang
bringt mit den, der Krone Preußen zuſtehenden Mitgliedſchafts-
rechten, ja daß man das Recht auf die Ausübung dieſer
Präſidialbefugniſſe als ein zu dieſen Mitglied-
ſchaftsrechten acceſſoriſches Vorrecht (Sonderrecht)
Preußens
auffaßt, gewinnt man den ſtaatsrechtlichen Begriff
des Kaiſers. Wenn nach Art. 5 Abſ. 2 und Art. 37 „die Stimme
des Präſidiums,“ nach Art. 9 Abſ. 2 „die Präſidialſtimme“ bei
der Beſchlußfaſſung des Bundesraths den Ausſchlag giebt, wenn
nach Art. 8 in jedem der dauernden Bundesraths-Ausſchüſſe „das
Präſidium“ vertreten ſein muß, ſo iſt „Präſidium“ und „Preußen“
hier völlig identiſch; es iſt bei der ſchärfſten logiſchen Unterſchei-
dung unmöglich, einen begrifflichen Unterſchied zwiſchen der ſieb-
zehnfachen Stimme Preußens und der Präſidialſtimme aufzuſtellen
oder ſie im Gegenſatz zu einander zu denken. (Vgl. unten §. 28.)

Die wichtige Conſequenz dieſer Auffaſſung iſt der Satz, daß
die Ausübung der Mitgliedſchaftsrechte Preußens und die Hand-

1) in dem oben S. 88 fg. entwickelten Sinne.
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[212/0232] §. 24. Die ſtaatsrechtliche Natur des Kaiſerthums. Vor Allem iſt klar, daß die Stellung des Kaiſers im Reiche durch die kaiſerlichen Rechte allein gar nicht vollſtändig gegeben iſt; ſie finden ihre nothwendige Ergänzung in den Mitglied- ſchaftsrechten Preußens. Nur wenn man die Mitgliedſchafts- rechte, welche Preußen mit allen übrigen Deutſchen Staaten ge- mein hat, mit dem Sonderrecht, welches durch ſeine Präſidial- befugniſſe gebildet wird, zuſammenaddirt, erhält man die volle Summe der dem Kaiſer zuſtehenden Rechte und ein vollſtändiges Bild der Stellung des Kaiſers im Reiche. Denkt man ſich Je- manden, der nicht zugleich Landesherr eines Deutſchen Staates, alſo nicht Mitglied des Reiches iſt 1), ausgeſtattet mit allen kaiſer- lichen Rechten der Reichsverfaſſung und der auf Grund derſelben erlaſſenen Geſetze, ſo hat man ein Zerrbild des Kaiſers, das in die Reichsverfaſſung nach keiner Richtung paßt. Denkt man ſich den Landesherrn eines der kleineren Staaten mit den Präſidial- befugniſſen ausgeſtattet, ſo könnte man formell juriſtiſch die von dem Kaiſer geltenden Grundſätze auf ihn zwar anwenden, that- ſächlich und politiſch betrachtet wäre das Kaiſerthum aber etwas durchaus Verſchiedenes von dem, was es wirklich iſt. Nur dadurch daß man die Präſidialbefugniſſe in untrennbaren Zuſammenhang bringt mit den, der Krone Preußen zuſtehenden Mitgliedſchafts- rechten, ja daß man das Recht auf die Ausübung dieſer Präſidialbefugniſſe als ein zu dieſen Mitglied- ſchaftsrechten acceſſoriſches Vorrecht (Sonderrecht) Preußens auffaßt, gewinnt man den ſtaatsrechtlichen Begriff des Kaiſers. Wenn nach Art. 5 Abſ. 2 und Art. 37 „die Stimme des Präſidiums,“ nach Art. 9 Abſ. 2 „die Präſidialſtimme“ bei der Beſchlußfaſſung des Bundesraths den Ausſchlag giebt, wenn nach Art. 8 in jedem der dauernden Bundesraths-Ausſchüſſe „das Präſidium“ vertreten ſein muß, ſo iſt „Präſidium“ und „Preußen“ hier völlig identiſch; es iſt bei der ſchärfſten logiſchen Unterſchei- dung unmöglich, einen begrifflichen Unterſchied zwiſchen der ſieb- zehnfachen Stimme Preußens und der Präſidialſtimme aufzuſtellen oder ſie im Gegenſatz zu einander zu denken. (Vgl. unten §. 28.) Die wichtige Conſequenz dieſer Auffaſſung iſt der Satz, daß die Ausübung der Mitgliedſchaftsrechte Preußens und die Hand- 1) in dem oben S. 88 fg. entwickelten Sinne.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/232>, abgerufen am 28.11.2024.