§. 24. Die staatsrechtliche Natur des Kaiserthums.
des Reiches 1); wo dem Reichstage gegenüber das Subject der Reichsgewalt in Betracht kommt, also in dem staatsrechtlichen Verhältniß der Organe des Reiches zu einander, handelt er im Namen der verbündeten Regierungen 2).
2. Der Kaiser ist nicht Präsident in dem Sinne, wie dies Wort in democratischen Staaten genommen wird, d. h. Beam- ter des Reiches. Er wird nicht von dem Souverän des Reiches ernannt, er ist nicht absetzbar, er ist nicht verantwortlich; er ist Nie- mandes Unterthan; er hat die Präsidialrechte kraft eigenen Rechtes.
Auch eine "Theilung der Centralgewalt" unter die Gesammt- heit der Mitglieder und die Präsidialmacht, welche v. Martitz Betrachtungen S. 48 annimmt, kann nicht zugegeben werden. Eine Theilung der Souveränetät ist begrifflich unmöglich 3).
Man darf daraus, daß der Kaiser weder Souverän noch Beamter des Reiches ist, nicht mit Held4) schließen, daß das Deutsche Kaiserthum etwas Unfertiges und Widerspruchsvolles ist, noch mit v. Mohl ganz davon absehen, den Begriff des Kaiser- thums theoretisch festzustellen und zu construiren 5).
Diese Feststellung des Begriffes läßt sich gewinnen, wenn man die Thatsache im Auge behält, daß der Kaiser Mitglied des Rei- ches ist. Er kann nicht Beamter sein wie der Präsident einer Repu- blik, weil er Mitsouverän ist, und er kann nicht Monarch sein, weil er nicht alleiniger Souverän ist. Aber er ist kein Mitglied des Reiches lediglich wie die übrigen Bundesfürsten, sondern ein bevorrechtetes, ein mit weitreichenden Sonderrechten6) ausgestattetes Mitglied. Das Recht auf das Bundespräsidium ist ein Sonderrecht des Königs von Preußen, nur daß es sich nicht auf die Kompetenz des Reiches gegenüber der Einzelstaatsgewalt bezieht, wie die süddeutschen Reservatrechte, sondern auf den An- theil an der Willensthätigkeit des Reiches selbst. Es ergeben sich hieraus eine Reihe der wichtigsten Rechtssätze, sowohl in Bezug auf das Subject als auf den Inhalt der kaiserlichen Rechte.
1) R.-V. Art. 17.
2) So z. B. bei Eröffnung und Schließung des Reichstages.
3) Vgl. Meyer Grundz. S. 63 Erörter. S. 47.
4) Verf. des Deutschen Reichs S. 86--102, bes. S. 98.
5) Deutsches Reichsstaatsrecht 282. 289.
6)iura singularia, nicht iura singulorum. Siehe oben S. 113. 117.
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§. 24. Die ſtaatsrechtliche Natur des Kaiſerthums.
des Reiches 1); wo dem Reichstage gegenüber das Subject der Reichsgewalt in Betracht kommt, alſo in dem ſtaatsrechtlichen Verhältniß der Organe des Reiches zu einander, handelt er im Namen der verbündeten Regierungen 2).
2. Der Kaiſer iſt nicht Präſident in dem Sinne, wie dies Wort in democratiſchen Staaten genommen wird, d. h. Beam- ter des Reiches. Er wird nicht von dem Souverän des Reiches ernannt, er iſt nicht abſetzbar, er iſt nicht verantwortlich; er iſt Nie- mandes Unterthan; er hat die Präſidialrechte kraft eigenen Rechtes.
Auch eine „Theilung der Centralgewalt“ unter die Geſammt- heit der Mitglieder und die Präſidialmacht, welche v. Martitz Betrachtungen S. 48 annimmt, kann nicht zugegeben werden. Eine Theilung der Souveränetät iſt begrifflich unmöglich 3).
Man darf daraus, daß der Kaiſer weder Souverän noch Beamter des Reiches iſt, nicht mit Held4) ſchließen, daß das Deutſche Kaiſerthum etwas Unfertiges und Widerſpruchsvolles iſt, noch mit v. Mohl ganz davon abſehen, den Begriff des Kaiſer- thums theoretiſch feſtzuſtellen und zu conſtruiren 5).
Dieſe Feſtſtellung des Begriffes läßt ſich gewinnen, wenn man die Thatſache im Auge behält, daß der Kaiſer Mitglied des Rei- ches iſt. Er kann nicht Beamter ſein wie der Präſident einer Repu- blik, weil er Mitſouverän iſt, und er kann nicht Monarch ſein, weil er nicht alleiniger Souverän iſt. Aber er iſt kein Mitglied des Reiches lediglich wie die übrigen Bundesfürſten, ſondern ein bevorrechtetes, ein mit weitreichenden Sonderrechten6) ausgeſtattetes Mitglied. Das Recht auf das Bundespräſidium iſt ein Sonderrecht des Königs von Preußen, nur daß es ſich nicht auf die Kompetenz des Reiches gegenüber der Einzelſtaatsgewalt bezieht, wie die ſüddeutſchen Reſervatrechte, ſondern auf den An- theil an der Willensthätigkeit des Reiches ſelbſt. Es ergeben ſich hieraus eine Reihe der wichtigſten Rechtsſätze, ſowohl in Bezug auf das Subject als auf den Inhalt der kaiſerlichen Rechte.
1) R.-V. Art. 17.
2) So z. B. bei Eröffnung und Schließung des Reichstages.
3) Vgl. Meyer Grundz. S. 63 Erörter. S. 47.
4) Verf. des Deutſchen Reichs S. 86—102, beſ. S. 98.
5) Deutſches Reichsſtaatsrecht 282. 289.
6)iura singularia, nicht iura singulorum. Siehe oben S. 113. 117.
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§. 24. Die ſtaatsrechtliche Natur des Kaiſerthums.
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Reichsgewalt in Betracht kommt, alſo in dem ſtaatsrechtlichen
Verhältniß der Organe des Reiches zu einander, handelt er im
Namen der verbündeten Regierungen 2).
2. Der Kaiſer iſt nicht Präſident in dem Sinne, wie
dies Wort in democratiſchen Staaten genommen wird, d. h. Beam-
ter des Reiches. Er wird nicht von dem Souverän des Reiches
ernannt, er iſt nicht abſetzbar, er iſt nicht verantwortlich; er iſt Nie-
mandes Unterthan; er hat die Präſidialrechte kraft eigenen Rechtes.
Auch eine „Theilung der Centralgewalt“ unter die Geſammt-
heit der Mitglieder und die Präſidialmacht, welche v. Martitz
Betrachtungen S. 48 annimmt, kann nicht zugegeben werden.
Eine Theilung der Souveränetät iſt begrifflich unmöglich 3).
Man darf daraus, daß der Kaiſer weder Souverän noch
Beamter des Reiches iſt, nicht mit Held 4) ſchließen, daß das
Deutſche Kaiſerthum etwas Unfertiges und Widerſpruchsvolles iſt,
noch mit v. Mohl ganz davon abſehen, den Begriff des Kaiſer-
thums theoretiſch feſtzuſtellen und zu conſtruiren 5).
Dieſe Feſtſtellung des Begriffes läßt ſich gewinnen, wenn man
die Thatſache im Auge behält, daß der Kaiſer Mitglied des Rei-
ches iſt. Er kann nicht Beamter ſein wie der Präſident einer Repu-
blik, weil er Mitſouverän iſt, und er kann nicht Monarch ſein,
weil er nicht alleiniger Souverän iſt. Aber er iſt kein Mitglied
des Reiches lediglich wie die übrigen Bundesfürſten, ſondern ein
bevorrechtetes, ein mit weitreichenden Sonderrechten 6)
ausgeſtattetes Mitglied. Das Recht auf das Bundespräſidium iſt
ein Sonderrecht des Königs von Preußen, nur daß es ſich nicht
auf die Kompetenz des Reiches gegenüber der Einzelſtaatsgewalt
bezieht, wie die ſüddeutſchen Reſervatrechte, ſondern auf den An-
theil an der Willensthätigkeit des Reiches ſelbſt. Es ergeben ſich
hieraus eine Reihe der wichtigſten Rechtsſätze, ſowohl in Bezug
auf das Subject als auf den Inhalt der kaiſerlichen Rechte.
1) R.-V. Art. 17.
2) So z. B. bei Eröffnung und Schließung des Reichstages.
3) Vgl. Meyer Grundz. S. 63 Erörter. S. 47.
4) Verf. des Deutſchen Reichs S. 86—102, beſ. S. 98.
5) Deutſches Reichsſtaatsrecht 282. 289.
6) iura singularia, nicht iura singulorum. Siehe oben S. 113. 117.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/231>, abgerufen am 24.07.2024.
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