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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 22. Der Schutz des Gebietes.
Eisenbahnen durchschneiden. R.-V. Art. 41. Dem Reich steht
behufs Durchführung einer solchen Eisenbahn-Anlage das Expro-
priationsrecht zu und, falls die Anlage einem Privat-Unternehmer
konzessionirt wird, kann das Reich denselben mit dem Expropria-
tionsrechte ausstatten. Wenn das Reich von dieser Befugniß Ge-
brauch macht, wird die in Folge dessen angelegte Eisenbahn aber
keineswegs völlig von der Gebietshoheit des Staates eximirt und
gleichsam reichsunmittelbar; sondern es besteht auch ihr gegenüber
die Landeshoheit des Einzelstaates in demjenigen Umfange fort,
in welchem die R.-V. sie überhaupt hat bestehen lassen. Dies hat
der Art. 41 der R.-V. hervorgehoben durch die Clausel: "unbe-
schadet der Landeshoheitsrechte." Grade hier zeigt sich wieder, daß
einerseits die Souveränetät des Reiches keine die Hoheitsrechte der
Einzelstaaten vernichtende, erschöpfende ist und daß andererseits
die Hoheitsrechte der Einzelstaaten keine souveräne d. h. unbe-
schränkte sind; denn eine Gebietshoheit ohne Widerspruchsrecht gegen
Eingriffe einer andern Gewalt in das Gebiet ist keine souveräne.

II. Im Verhältniß der einzelnen Bundesstaaten zu
einander
ist die Gebietshoheit derselben am Staatsterritorium
zwar keineswegs beseitigt, aber durch die Unterordnung unter die
souveräne Reichsgewalt sehr erheblich an Kraft geschwächt und ge-
lockert. Es gilt dies namentlich von der negativen Richtung der
Territorialgewalt, d. h. von der Abschließung des Staatsgebiets
gegen Außen. Durch die Zollgesetzgebung ist das ganze Bundes-
gebiet dem Waaren-Verkehr frei gegeben und Reste der Gebiets-
hoheit der einzelnen Staaten bestehen in dieser Beziehung nur, so
weit die süddeutschen Staaten von der Bier- und Branntweinsteuer-
Gemeinschaft eximirt sind. Durch das Freizügigkeits- und Staats-
angehörigkeits-Gesetz ist für den Personen-Verkehr das ganze Bun-
desgebiet zur Einheit geworden. Durch den 7. und 8. Abschnitt
der Reichsverfassung ist in Beziehung auf das Eisenbahn- Post-
und Telegraphenwesen eine Abschließung der einzelnen Staatsge-
biete gegen die übrigen deutschen Gebiete unmöglich gemacht wor-
den. Dasselbe ist durch den Art. 54 der R.-V. geschehen hinsicht-
lich der Seehäfen und aller natürlichen und künstlichen Wasser-
straßen. Demgemäß ist die Absperrung ihres Gebietes den Ein-
zelstaaten überhaupt nicht mehr gestattet; gegen das Reichs-Ausland
nicht, weil das Reich hierzu ausschließlich befugt ist, gegen das

§. 22. Der Schutz des Gebietes.
Eiſenbahnen durchſchneiden. R.-V. Art. 41. Dem Reich ſteht
behufs Durchführung einer ſolchen Eiſenbahn-Anlage das Expro-
priationsrecht zu und, falls die Anlage einem Privat-Unternehmer
konzeſſionirt wird, kann das Reich denſelben mit dem Expropria-
tionsrechte ausſtatten. Wenn das Reich von dieſer Befugniß Ge-
brauch macht, wird die in Folge deſſen angelegte Eiſenbahn aber
keineswegs völlig von der Gebietshoheit des Staates eximirt und
gleichſam reichsunmittelbar; ſondern es beſteht auch ihr gegenüber
die Landeshoheit des Einzelſtaates in demjenigen Umfange fort,
in welchem die R.-V. ſie überhaupt hat beſtehen laſſen. Dies hat
der Art. 41 der R.-V. hervorgehoben durch die Clauſel: „unbe-
ſchadet der Landeshoheitsrechte.“ Grade hier zeigt ſich wieder, daß
einerſeits die Souveränetät des Reiches keine die Hoheitsrechte der
Einzelſtaaten vernichtende, erſchöpfende iſt und daß andererſeits
die Hoheitsrechte der Einzelſtaaten keine ſouveräne d. h. unbe-
ſchränkte ſind; denn eine Gebietshoheit ohne Widerſpruchsrecht gegen
Eingriffe einer andern Gewalt in das Gebiet iſt keine ſouveräne.

II. Im Verhältniß der einzelnen Bundesſtaaten zu
einander
iſt die Gebietshoheit derſelben am Staatsterritorium
zwar keineswegs beſeitigt, aber durch die Unterordnung unter die
ſouveräne Reichsgewalt ſehr erheblich an Kraft geſchwächt und ge-
lockert. Es gilt dies namentlich von der negativen Richtung der
Territorialgewalt, d. h. von der Abſchließung des Staatsgebiets
gegen Außen. Durch die Zollgeſetzgebung iſt das ganze Bundes-
gebiet dem Waaren-Verkehr frei gegeben und Reſte der Gebiets-
hoheit der einzelnen Staaten beſtehen in dieſer Beziehung nur, ſo
weit die ſüddeutſchen Staaten von der Bier- und Branntweinſteuer-
Gemeinſchaft eximirt ſind. Durch das Freizügigkeits- und Staats-
angehörigkeits-Geſetz iſt für den Perſonen-Verkehr das ganze Bun-
desgebiet zur Einheit geworden. Durch den 7. und 8. Abſchnitt
der Reichsverfaſſung iſt in Beziehung auf das Eiſenbahn- Poſt-
und Telegraphenweſen eine Abſchließung der einzelnen Staatsge-
biete gegen die übrigen deutſchen Gebiete unmöglich gemacht wor-
den. Daſſelbe iſt durch den Art. 54 der R.-V. geſchehen hinſicht-
lich der Seehäfen und aller natürlichen und künſtlichen Waſſer-
ſtraßen. Demgemäß iſt die Abſperrung ihres Gebietes den Ein-
zelſtaaten überhaupt nicht mehr geſtattet; gegen das Reichs-Ausland
nicht, weil das Reich hierzu ausſchließlich befugt iſt, gegen das

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[197/0217] §. 22. Der Schutz des Gebietes. Eiſenbahnen durchſchneiden. R.-V. Art. 41. Dem Reich ſteht behufs Durchführung einer ſolchen Eiſenbahn-Anlage das Expro- priationsrecht zu und, falls die Anlage einem Privat-Unternehmer konzeſſionirt wird, kann das Reich denſelben mit dem Expropria- tionsrechte ausſtatten. Wenn das Reich von dieſer Befugniß Ge- brauch macht, wird die in Folge deſſen angelegte Eiſenbahn aber keineswegs völlig von der Gebietshoheit des Staates eximirt und gleichſam reichsunmittelbar; ſondern es beſteht auch ihr gegenüber die Landeshoheit des Einzelſtaates in demjenigen Umfange fort, in welchem die R.-V. ſie überhaupt hat beſtehen laſſen. Dies hat der Art. 41 der R.-V. hervorgehoben durch die Clauſel: „unbe- ſchadet der Landeshoheitsrechte.“ Grade hier zeigt ſich wieder, daß einerſeits die Souveränetät des Reiches keine die Hoheitsrechte der Einzelſtaaten vernichtende, erſchöpfende iſt und daß andererſeits die Hoheitsrechte der Einzelſtaaten keine ſouveräne d. h. unbe- ſchränkte ſind; denn eine Gebietshoheit ohne Widerſpruchsrecht gegen Eingriffe einer andern Gewalt in das Gebiet iſt keine ſouveräne. II. Im Verhältniß der einzelnen Bundesſtaaten zu einander iſt die Gebietshoheit derſelben am Staatsterritorium zwar keineswegs beſeitigt, aber durch die Unterordnung unter die ſouveräne Reichsgewalt ſehr erheblich an Kraft geſchwächt und ge- lockert. Es gilt dies namentlich von der negativen Richtung der Territorialgewalt, d. h. von der Abſchließung des Staatsgebiets gegen Außen. Durch die Zollgeſetzgebung iſt das ganze Bundes- gebiet dem Waaren-Verkehr frei gegeben und Reſte der Gebiets- hoheit der einzelnen Staaten beſtehen in dieſer Beziehung nur, ſo weit die ſüddeutſchen Staaten von der Bier- und Branntweinſteuer- Gemeinſchaft eximirt ſind. Durch das Freizügigkeits- und Staats- angehörigkeits-Geſetz iſt für den Perſonen-Verkehr das ganze Bun- desgebiet zur Einheit geworden. Durch den 7. und 8. Abſchnitt der Reichsverfaſſung iſt in Beziehung auf das Eiſenbahn- Poſt- und Telegraphenweſen eine Abſchließung der einzelnen Staatsge- biete gegen die übrigen deutſchen Gebiete unmöglich gemacht wor- den. Daſſelbe iſt durch den Art. 54 der R.-V. geſchehen hinſicht- lich der Seehäfen und aller natürlichen und künſtlichen Waſſer- ſtraßen. Demgemäß iſt die Abſperrung ihres Gebietes den Ein- zelſtaaten überhaupt nicht mehr geſtattet; gegen das Reichs-Ausland nicht, weil das Reich hierzu ausſchließlich befugt iſt, gegen das

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/217>, abgerufen am 24.11.2024.