2. Im Innern des Bundesgebietes hat das Reich entsprechend der ihm obliegenden Schutzpflicht das Recht, die zur Vertheidigung und Sicherung erforderlichen Maaßregeln anzuordnen, ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen und die Gebietshoheit des Einzelstaates. Auch hier erscheint das Bundesgebiet als Einheit. Anwendungsfälle sind folgende:
a) Der Kaiser hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen (R.-V. Art. 63 Abs. 4), sowie Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen (R.-V. Art. 65). Die Zustimmung des Einzelstaates, in dessen Gebiet die Anlage gemacht wird, ist nicht erforderlich, abgesehen von Bayern, welchem in dem Vertrage von Versailles Z. III §. 5 Nro. V in dieser Beziehung ein Son- derrecht zugestanden worden ist. In untrennbarem Zusammenhange damit steht die Befugniß, die zur Anlage fortifikatorischer Werke erforderlichen Grundstücke zu expropriiren und die in der Umge- bung von Festungen liegenden Grundstücke Gebrauchs-Beschrän- kungen zu unterwerfen 1).
b) Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegs- zustand erklären, R.-V. Art. 68. Auch dieses Recht ist für Bayern bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes ausgeschlossen 2). Bei der Abgränzung des in Kriegszustand zu erklärenden Theiles des Bundesgebietes braucht der Kaiser nicht die Gränzen der einzelnen Staatsgebiete zu berücksichtigen; sie sind in dieser Beziehung nicht vorhanden 3).
c) Das Reich ist befugt, Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden, anzulegen und zwar auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die
lande, welche Preußisches Gebiet betreffen, sind seit der Gründung des Reiches im Namen des Reiches geschlossen worden; nämlich der Vertrag mit Rußland vom 8. Juli 1871, mit der Niederlande vom 18. August 1871, mit Oesterreich vom 21. Mai 1872 (R.-G.-Bl. 1872 S. 23. 39. 353) u. s. w. Vgl. Ernst Meier Abschluß von Staatsverträgen S. 272.
1) Ges. vom 21. Dezember 1871 (Rayon-Gesetz) R.-G.-Bl. S. 459.
2) Vertr. v. Versailles Z. III. §. 5 Nr. VI.
3) Die Verordnung vom 21. Juli 1870 erklärte in Kriegszustand "die Bezirke des 8., 11., 10., 9., 2. und 1. Armeekorps."
§. 22. Der Schutz des Gebietes.
2. Im Innern des Bundesgebietes hat das Reich entſprechend der ihm obliegenden Schutzpflicht das Recht, die zur Vertheidigung und Sicherung erforderlichen Maaßregeln anzuordnen, ohne Rückſicht auf die Landesgrenzen und die Gebietshoheit des Einzelſtaates. Auch hier erſcheint das Bundesgebiet als Einheit. Anwendungsfälle ſind folgende:
a) Der Kaiſer hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die kriegsbereite Aufſtellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen (R.-V. Art. 63 Abſ. 4), ſowie Feſtungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen (R.-V. Art. 65). Die Zuſtimmung des Einzelſtaates, in deſſen Gebiet die Anlage gemacht wird, iſt nicht erforderlich, abgeſehen von Bayern, welchem in dem Vertrage von Verſailles Z. III §. 5 Nro. V in dieſer Beziehung ein Son- derrecht zugeſtanden worden iſt. In untrennbarem Zuſammenhange damit ſteht die Befugniß, die zur Anlage fortifikatoriſcher Werke erforderlichen Grundſtücke zu expropriiren und die in der Umge- bung von Feſtungen liegenden Grundſtücke Gebrauchs-Beſchrän- kungen zu unterwerfen 1).
b) Der Kaiſer kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben in Kriegs- zuſtand erklären, R.-V. Art. 68. Auch dieſes Recht iſt für Bayern bis zum Erlaß eines Reichsgeſetzes ausgeſchloſſen 2). Bei der Abgränzung des in Kriegszuſtand zu erklärenden Theiles des Bundesgebietes braucht der Kaiſer nicht die Gränzen der einzelnen Staatsgebiete zu berückſichtigen; ſie ſind in dieſer Beziehung nicht vorhanden 3).
c) Das Reich iſt befugt, Eiſenbahnen, welche im Intereſſe der Vertheidigung Deutſchlands oder im Intereſſe des gemeinſamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden, anzulegen und zwar auch gegen den Widerſpruch der Bundesglieder, deren Gebiet die
lande, welche Preußiſches Gebiet betreffen, ſind ſeit der Gründung des Reiches im Namen des Reiches geſchloſſen worden; nämlich der Vertrag mit Rußland vom 8. Juli 1871, mit der Niederlande vom 18. Auguſt 1871, mit Oeſterreich vom 21. Mai 1872 (R.-G.-Bl. 1872 S. 23. 39. 353) u. ſ. w. Vgl. Ernſt Meier Abſchluß von Staatsverträgen S. 272.
1) Geſ. vom 21. Dezember 1871 (Rayon-Geſetz) R.-G.-Bl. S. 459.
2) Vertr. v. Verſailles Z. III. §. 5 Nr. VI.
3) Die Verordnung vom 21. Juli 1870 erklärte in Kriegszuſtand „die Bezirke des 8., 11., 10., 9., 2. und 1. Armeekorps.“
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§. 22. Der Schutz des Gebietes.
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entſprechend der ihm obliegenden Schutzpflicht das Recht, die zur
Vertheidigung und Sicherung erforderlichen Maaßregeln anzuordnen,
ohne Rückſicht auf die Landesgrenzen und die Gebietshoheit des
Einzelſtaates. Auch hier erſcheint das Bundesgebiet als Einheit.
Anwendungsfälle ſind folgende:
a) Der Kaiſer hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes
die kriegsbereite Aufſtellung eines jeden Theils des Reichsheeres
anzuordnen (R.-V. Art. 63 Abſ. 4), ſowie Feſtungen innerhalb
des Bundesgebietes anzulegen (R.-V. Art. 65). Die Zuſtimmung
des Einzelſtaates, in deſſen Gebiet die Anlage gemacht wird, iſt
nicht erforderlich, abgeſehen von Bayern, welchem in dem Vertrage
von Verſailles Z. III §. 5 Nro. V in dieſer Beziehung ein Son-
derrecht zugeſtanden worden iſt. In untrennbarem Zuſammenhange
damit ſteht die Befugniß, die zur Anlage fortifikatoriſcher Werke
erforderlichen Grundſtücke zu expropriiren und die in der Umge-
bung von Feſtungen liegenden Grundſtücke Gebrauchs-Beſchrän-
kungen zu unterwerfen 1).
b) Der Kaiſer kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem
Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben in Kriegs-
zuſtand erklären, R.-V. Art. 68. Auch dieſes Recht iſt für Bayern
bis zum Erlaß eines Reichsgeſetzes ausgeſchloſſen 2). Bei der
Abgränzung des in Kriegszuſtand zu erklärenden Theiles des
Bundesgebietes braucht der Kaiſer nicht die Gränzen der einzelnen
Staatsgebiete zu berückſichtigen; ſie ſind in dieſer Beziehung nicht
vorhanden 3).
c) Das Reich iſt befugt, Eiſenbahnen, welche im Intereſſe
der Vertheidigung Deutſchlands oder im Intereſſe des gemeinſamen
Verkehrs für nothwendig erachtet werden, anzulegen und zwar
auch gegen den Widerſpruch der Bundesglieder, deren Gebiet die
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1) Geſ. vom 21. Dezember 1871 (Rayon-Geſetz) R.-G.-Bl. S. 459.
2) Vertr. v. Verſailles Z. III. §. 5 Nr. VI.
3) Die Verordnung vom 21. Juli 1870 erklärte in Kriegszuſtand „die
Bezirke des 8., 11., 10., 9., 2. und 1. Armeekorps.“
2) lande, welche Preußiſches Gebiet betreffen, ſind ſeit der Gründung des Reiches
im Namen des Reiches geſchloſſen worden; nämlich der Vertrag mit Rußland
vom 8. Juli 1871, mit der Niederlande vom 18. Auguſt 1871, mit Oeſterreich
vom 21. Mai 1872 (R.-G.-Bl. 1872 S. 23. 39. 353) u. ſ. w. Vgl. Ernſt
Meier Abſchluß von Staatsverträgen S. 272.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/216>, abgerufen am 24.07.2024.
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