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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat.
hältniß desselben zum Reichsbürgerrecht näher zu bestimmen. Nie-
mandem kann es entgehen, wie sehr das Staats bürgerrecht durch
die Zusammenfassung der deutschen Staaten zu einem Gesammt-
staat afficirt, in seinem Inhalt beschränkt und an seiner Wichtig-
keit verringert worden ist. Aber es ist nicht beseitigt worden; es
ist im Gegentheil die unerläßliche Grundlage und Voraussetzung
des Reichsbürgerrechts geworden. Die einzelnen Staaten wären
keine Staaten mehr, wenn sie keine Staatsbürger hätten. Das
Reich wäre kein Bundesstaat, sondern ein Einheitsstaat, wenn das
Staatsbürgerrecht in den Einzelstaaten in dem Reichsbürgerrecht
untergegangen wäre. Der Satz, daß jeder Angehörige des Reiches
in jedem Einzelstaate als Inländer zu behandeln ist, dessen recht-
liche Bedeutung wir bald näher feststellen werden 1), ist nicht identisch
mit dem Satz, daß jeder Angehörige des Reiches in jedem dazu
gehörenden Staate Staatsbürger sei.

Im Allgemeinen ist für die Grenze zwischen Staats- und
Reichsbürgerrecht schon oben die Kompetenzgrenze zwischen Staats-
und Reichsgewalt als maaßgebend bezeichnet worden. Im Ein-
zelnen folgt daraus:

1) Soweit die Einzelstaaten im Besitz staatlicher Hoheitsrechte
geblieben sind, ist der Staatsbürger ihnen unterworfen, zum
Gehorsam verpflichtet
, Object der Einzelstaatsgewalt. Er
steht unter ihrer Jurisdiction, Polizei, Finanzhoheit. Aus der
souveränen Gewalt des Reiches über die einzelnen Staaten folgt
aber, daß die Einzelstaaten ihre Hoheitsrechte nicht im Widerspruch
mit den verfassungsmäßig erlassenen Anordnungen des Reiches
ausüben dürfen und daß jede Ausübung von Hoheitsrechten, die
mit den Anordnungen des Reiches collidirt, rechtsunwirksam und
nichtig ist.

2) Der Staatsbürger hat seinem Heimathsstaat gegenüber
Anspruch auf Schutz im Auslande und zwar auch in den Ge-
bieten der übrigen Bundesstaaten, soweit der Einzelstaat rechtlich
und factisch noch in der Lage ist, diesen Schutz zu gewähren. Die
einzelnen Staaten können sowohl im Reichs-Auslande als im Reichs-
Inlande bei den anderen Bundesstaaten Gesandtschaften halten,
was bekanntlich auch theilweise geschieht. Denselben liegt die
Vertretung der Privat-Interessen ihrer Staats-Angehörigen ob.

1) Vgl. unten §. 19.

§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat.
hältniß deſſelben zum Reichsbürgerrecht näher zu beſtimmen. Nie-
mandem kann es entgehen, wie ſehr das Staats bürgerrecht durch
die Zuſammenfaſſung der deutſchen Staaten zu einem Geſammt-
ſtaat afficirt, in ſeinem Inhalt beſchränkt und an ſeiner Wichtig-
keit verringert worden iſt. Aber es iſt nicht beſeitigt worden; es
iſt im Gegentheil die unerläßliche Grundlage und Vorausſetzung
des Reichsbürgerrechts geworden. Die einzelnen Staaten wären
keine Staaten mehr, wenn ſie keine Staatsbürger hätten. Das
Reich wäre kein Bundesſtaat, ſondern ein Einheitsſtaat, wenn das
Staatsbürgerrecht in den Einzelſtaaten in dem Reichsbürgerrecht
untergegangen wäre. Der Satz, daß jeder Angehörige des Reiches
in jedem Einzelſtaate als Inländer zu behandeln iſt, deſſen recht-
liche Bedeutung wir bald näher feſtſtellen werden 1), iſt nicht identiſch
mit dem Satz, daß jeder Angehörige des Reiches in jedem dazu
gehörenden Staate Staatsbürger ſei.

Im Allgemeinen iſt für die Grenze zwiſchen Staats- und
Reichsbürgerrecht ſchon oben die Kompetenzgrenze zwiſchen Staats-
und Reichsgewalt als maaßgebend bezeichnet worden. Im Ein-
zelnen folgt daraus:

1) Soweit die Einzelſtaaten im Beſitz ſtaatlicher Hoheitsrechte
geblieben ſind, iſt der Staatsbürger ihnen unterworfen, zum
Gehorſam verpflichtet
, Object der Einzelſtaatsgewalt. Er
ſteht unter ihrer Jurisdiction, Polizei, Finanzhoheit. Aus der
ſouveränen Gewalt des Reiches über die einzelnen Staaten folgt
aber, daß die Einzelſtaaten ihre Hoheitsrechte nicht im Widerſpruch
mit den verfaſſungsmäßig erlaſſenen Anordnungen des Reiches
ausüben dürfen und daß jede Ausübung von Hoheitsrechten, die
mit den Anordnungen des Reiches collidirt, rechtsunwirkſam und
nichtig iſt.

2) Der Staatsbürger hat ſeinem Heimathsſtaat gegenüber
Anſpruch auf Schutz im Auslande und zwar auch in den Ge-
bieten der übrigen Bundesſtaaten, ſoweit der Einzelſtaat rechtlich
und factiſch noch in der Lage iſt, dieſen Schutz zu gewähren. Die
einzelnen Staaten können ſowohl im Reichs-Auslande als im Reichs-
Inlande bei den anderen Bundesſtaaten Geſandtſchaften halten,
was bekanntlich auch theilweiſe geſchieht. Denſelben liegt die
Vertretung der Privat-Intereſſen ihrer Staats-Angehörigen ob.

1) Vgl. unten §. 19.
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[157/0177] §. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat. hältniß deſſelben zum Reichsbürgerrecht näher zu beſtimmen. Nie- mandem kann es entgehen, wie ſehr das Staats bürgerrecht durch die Zuſammenfaſſung der deutſchen Staaten zu einem Geſammt- ſtaat afficirt, in ſeinem Inhalt beſchränkt und an ſeiner Wichtig- keit verringert worden iſt. Aber es iſt nicht beſeitigt worden; es iſt im Gegentheil die unerläßliche Grundlage und Vorausſetzung des Reichsbürgerrechts geworden. Die einzelnen Staaten wären keine Staaten mehr, wenn ſie keine Staatsbürger hätten. Das Reich wäre kein Bundesſtaat, ſondern ein Einheitsſtaat, wenn das Staatsbürgerrecht in den Einzelſtaaten in dem Reichsbürgerrecht untergegangen wäre. Der Satz, daß jeder Angehörige des Reiches in jedem Einzelſtaate als Inländer zu behandeln iſt, deſſen recht- liche Bedeutung wir bald näher feſtſtellen werden 1), iſt nicht identiſch mit dem Satz, daß jeder Angehörige des Reiches in jedem dazu gehörenden Staate Staatsbürger ſei. Im Allgemeinen iſt für die Grenze zwiſchen Staats- und Reichsbürgerrecht ſchon oben die Kompetenzgrenze zwiſchen Staats- und Reichsgewalt als maaßgebend bezeichnet worden. Im Ein- zelnen folgt daraus: 1) Soweit die Einzelſtaaten im Beſitz ſtaatlicher Hoheitsrechte geblieben ſind, iſt der Staatsbürger ihnen unterworfen, zum Gehorſam verpflichtet, Object der Einzelſtaatsgewalt. Er ſteht unter ihrer Jurisdiction, Polizei, Finanzhoheit. Aus der ſouveränen Gewalt des Reiches über die einzelnen Staaten folgt aber, daß die Einzelſtaaten ihre Hoheitsrechte nicht im Widerſpruch mit den verfaſſungsmäßig erlaſſenen Anordnungen des Reiches ausüben dürfen und daß jede Ausübung von Hoheitsrechten, die mit den Anordnungen des Reiches collidirt, rechtsunwirkſam und nichtig iſt. 2) Der Staatsbürger hat ſeinem Heimathsſtaat gegenüber Anſpruch auf Schutz im Auslande und zwar auch in den Ge- bieten der übrigen Bundesſtaaten, ſoweit der Einzelſtaat rechtlich und factiſch noch in der Lage iſt, dieſen Schutz zu gewähren. Die einzelnen Staaten können ſowohl im Reichs-Auslande als im Reichs- Inlande bei den anderen Bundesſtaaten Geſandtſchaften halten, was bekanntlich auch theilweiſe geſchieht. Denſelben liegt die Vertretung der Privat-Intereſſen ihrer Staats-Angehörigen ob. 1) Vgl. unten §. 19.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/177>, abgerufen am 24.11.2024.