Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen. petenz der Staatsgewalt zu der des Reiches. So-weit das Reich seine eigene Kompetenz beschränkt und die einzelnen Staaten eine selbstständige Lebensthätigkeit entfalten läßt, beschränkt das Reich auch das Maaß seiner obrigkeitlichen Herrscher-Rechte und läßt die Einzelstaaten in deren Besitz; in demselben Umfange ist daher der Einzelne Object der Territorial-Staatsgewalt, Lan- desunterthan, Staatsbürger. In allen Beziehungen dagegen, in denen das Reich seine staatliche Macht entfaltet, obrigkeitliche Herrschaftsrechte ausübt, ist der Einzelne das Object der Reichs- gewalt, sei es nun daß das Reich seine Gewalt unmittelbar oder durch Vermittlung und Verwendung der Staatsgewalt des Einzel- staates zur Geltung bringt. Die Reichangehörigkeit ist wesentlich Reichsunterthanenschaft, d. h. die Pflicht den Geboten und Ver- boten der Reichsgewalt, welche in gesetzlicher, dem Recht entspre- chender Weise erlassen werden, Gehorsam zu leisten. Da nun die Kompetenz des Reiches und die der Einzelstaaten vielfach ineinander geschlungen ist und die letzteren auch auf den dem Reich zugewie- senen Gebieten des Staatslebens regelmäßig Selbstverwaltung haben, so läßt sich die in der Reichsunterthanenschaft liegende Ge- horsamspflicht nicht von der in der Landesangehörigkeit begründeten äußerlich abgrenzen. Wer einem strafrichterlichen Erkenntniß oder der Verfügung einer Zollbehörde nachkömmt, wer den Anordnungen der Militärbehörde gemäß sich zur Aushebung gestellt, u. s. w. der leistet gleichzeitig dem Reich Gehorsam, welches die Straf- Zoll- und Militärgesetze erlassen hat, und dem Einzel- staat, welcher diese Gesetze handhabt 1). Es ist daher unmöglich, die Pflichten einzeln aufzuzählen, welche das Reichsbürgerrecht involvirt und ihnen diejenigen gegenüber zustellen, welche mit dem Staatsbürgerrecht verknüpft sind. Auch die Pflichten, die 1) Vom Standpunkte der herrschenden Bundesstaatstheorie aus bleibt
einem consequent denkenden Juristen gegenüber dieser durchweg hervortreten- den Verquickung und Verbindung von Staatsbürger- und Reichsbürger-Pflich- ten Nichts Anderes übrig, als einfach die Augen vor ihr zu verschließen. Nur so kann man es erklären, wenn v. Gerber S. 240 sagt: "Der Bürger des Nordd. Bundes steht unter einer doppelten Regierung, der seines Einzel- staates und des Bundesstaates; aber jede dieser beiden Regierungen hat ihre besondern, im Ganzen vollständig getrennte Sphäre der Wirksamkeit." (!) §. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen. petenz der Staatsgewalt zu der des Reiches. So-weit das Reich ſeine eigene Kompetenz beſchränkt und die einzelnen Staaten eine ſelbſtſtändige Lebensthätigkeit entfalten läßt, beſchränkt das Reich auch das Maaß ſeiner obrigkeitlichen Herrſcher-Rechte und läßt die Einzelſtaaten in deren Beſitz; in demſelben Umfange iſt daher der Einzelne Object der Territorial-Staatsgewalt, Lan- desunterthan, Staatsbürger. In allen Beziehungen dagegen, in denen das Reich ſeine ſtaatliche Macht entfaltet, obrigkeitliche Herrſchaftsrechte ausübt, iſt der Einzelne das Object der Reichs- gewalt, ſei es nun daß das Reich ſeine Gewalt unmittelbar oder durch Vermittlung und Verwendung der Staatsgewalt des Einzel- ſtaates zur Geltung bringt. Die Reichangehörigkeit iſt weſentlich Reichsunterthanenſchaft, d. h. die Pflicht den Geboten und Ver- boten der Reichsgewalt, welche in geſetzlicher, dem Recht entſpre- chender Weiſe erlaſſen werden, Gehorſam zu leiſten. Da nun die Kompetenz des Reiches und die der Einzelſtaaten vielfach ineinander geſchlungen iſt und die letzteren auch auf den dem Reich zugewie- ſenen Gebieten des Staatslebens regelmäßig Selbſtverwaltung haben, ſo läßt ſich die in der Reichsunterthanenſchaft liegende Ge- horſamspflicht nicht von der in der Landesangehörigkeit begründeten äußerlich abgrenzen. Wer einem ſtrafrichterlichen Erkenntniß oder der Verfügung einer Zollbehörde nachkömmt, wer den Anordnungen der Militärbehörde gemäß ſich zur Aushebung geſtellt, u. ſ. w. der leiſtet gleichzeitig dem Reich Gehorſam, welches die Straf- Zoll- und Militärgeſetze erlaſſen hat, und dem Einzel- ſtaat, welcher dieſe Geſetze handhabt 1). Es iſt daher unmöglich, die Pflichten einzeln aufzuzählen, welche das Reichsbürgerrecht involvirt und ihnen diejenigen gegenüber zuſtellen, welche mit dem Staatsbürgerrecht verknüpft ſind. Auch die Pflichten, die 1) Vom Standpunkte der herrſchenden Bundesſtaatstheorie aus bleibt
einem conſequent denkenden Juriſten gegenüber dieſer durchweg hervortreten- den Verquickung und Verbindung von Staatsbürger- und Reichsbürger-Pflich- ten Nichts Anderes übrig, als einfach die Augen vor ihr zu verſchließen. Nur ſo kann man es erklären, wenn v. Gerber S. 240 ſagt: „Der Bürger des Nordd. Bundes ſteht unter einer doppelten Regierung, der ſeines Einzel- ſtaates und des Bundesſtaates; aber jede dieſer beiden Regierungen hat ihre beſondern, im Ganzen vollſtändig getrennte Sphäre der Wirkſamkeit.“ (!) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0158" n="138"/><fw place="top" type="header">§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.</fw><lb/><hi rendition="#g">petenz der Staatsgewalt zu der des Reiches</hi>. So-<lb/> weit das Reich ſeine eigene Kompetenz beſchränkt und die einzelnen<lb/> Staaten eine ſelbſtſtändige Lebensthätigkeit entfalten läßt, beſchränkt<lb/> das Reich auch das Maaß ſeiner obrigkeitlichen Herrſcher-Rechte<lb/> und läßt die Einzelſtaaten in deren Beſitz; in demſelben Umfange<lb/> iſt daher der Einzelne Object der Territorial-Staatsgewalt, Lan-<lb/> desunterthan, Staatsbürger. In allen Beziehungen dagegen, in<lb/> denen das Reich ſeine ſtaatliche Macht entfaltet, obrigkeitliche<lb/> Herrſchaftsrechte ausübt, iſt der Einzelne das Object der Reichs-<lb/> gewalt, ſei es nun daß das Reich ſeine Gewalt unmittelbar oder<lb/> durch Vermittlung und Verwendung der Staatsgewalt des Einzel-<lb/> ſtaates zur Geltung bringt. Die Reichangehörigkeit iſt weſentlich<lb/> Reichsunterthanenſchaft, d. h. die Pflicht den Geboten und Ver-<lb/> boten der Reichsgewalt, welche in geſetzlicher, dem Recht entſpre-<lb/> chender Weiſe erlaſſen werden, Gehorſam zu leiſten. Da nun die<lb/> Kompetenz des Reiches und die der Einzelſtaaten vielfach ineinander<lb/> geſchlungen iſt und die letzteren auch auf den dem Reich zugewie-<lb/> ſenen Gebieten des Staatslebens regelmäßig Selbſtverwaltung<lb/> haben, ſo läßt ſich die in der Reichsunterthanenſchaft liegende Ge-<lb/> horſamspflicht nicht von der in der Landesangehörigkeit begründeten<lb/> äußerlich abgrenzen. Wer einem ſtrafrichterlichen Erkenntniß oder<lb/> der Verfügung einer Zollbehörde nachkömmt, wer den Anordnungen<lb/> der Militärbehörde gemäß ſich zur Aushebung geſtellt, u. ſ. w.<lb/> der leiſtet <hi rendition="#g">gleichzeitig</hi> dem <hi rendition="#g">Reich</hi> Gehorſam, welches die<lb/> Straf- Zoll- und Militärgeſetze erlaſſen hat, und dem <hi rendition="#g">Einzel-<lb/> ſtaat</hi>, welcher dieſe Geſetze handhabt <note place="foot" n="1)">Vom Standpunkte der herrſchenden Bundesſtaatstheorie aus bleibt<lb/> einem conſequent denkenden Juriſten gegenüber dieſer durchweg hervortreten-<lb/> den Verquickung und Verbindung von Staatsbürger- und Reichsbürger-Pflich-<lb/> ten Nichts Anderes übrig, als einfach die Augen vor ihr zu verſchließen.<lb/> Nur ſo kann man es erklären, wenn v. <hi rendition="#g">Gerber</hi> S. 240 ſagt: „Der Bürger<lb/> des Nordd. Bundes ſteht unter einer doppelten Regierung, der ſeines Einzel-<lb/> ſtaates und des Bundesſtaates; aber jede dieſer beiden Regierungen hat <hi rendition="#g">ihre<lb/> beſondern, im Ganzen vollſtändig getrennte Sphäre</hi> der<lb/> Wirkſamkeit.“ (!)</note>. Es iſt daher unmöglich,<lb/> die Pflichten einzeln aufzuzählen, welche das Reichsbürgerrecht<lb/> involvirt und ihnen diejenigen gegenüber zuſtellen, welche mit<lb/> dem Staatsbürgerrecht verknüpft ſind. Auch die Pflichten, die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0158]
§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
petenz der Staatsgewalt zu der des Reiches. So-
weit das Reich ſeine eigene Kompetenz beſchränkt und die einzelnen
Staaten eine ſelbſtſtändige Lebensthätigkeit entfalten läßt, beſchränkt
das Reich auch das Maaß ſeiner obrigkeitlichen Herrſcher-Rechte
und läßt die Einzelſtaaten in deren Beſitz; in demſelben Umfange
iſt daher der Einzelne Object der Territorial-Staatsgewalt, Lan-
desunterthan, Staatsbürger. In allen Beziehungen dagegen, in
denen das Reich ſeine ſtaatliche Macht entfaltet, obrigkeitliche
Herrſchaftsrechte ausübt, iſt der Einzelne das Object der Reichs-
gewalt, ſei es nun daß das Reich ſeine Gewalt unmittelbar oder
durch Vermittlung und Verwendung der Staatsgewalt des Einzel-
ſtaates zur Geltung bringt. Die Reichangehörigkeit iſt weſentlich
Reichsunterthanenſchaft, d. h. die Pflicht den Geboten und Ver-
boten der Reichsgewalt, welche in geſetzlicher, dem Recht entſpre-
chender Weiſe erlaſſen werden, Gehorſam zu leiſten. Da nun die
Kompetenz des Reiches und die der Einzelſtaaten vielfach ineinander
geſchlungen iſt und die letzteren auch auf den dem Reich zugewie-
ſenen Gebieten des Staatslebens regelmäßig Selbſtverwaltung
haben, ſo läßt ſich die in der Reichsunterthanenſchaft liegende Ge-
horſamspflicht nicht von der in der Landesangehörigkeit begründeten
äußerlich abgrenzen. Wer einem ſtrafrichterlichen Erkenntniß oder
der Verfügung einer Zollbehörde nachkömmt, wer den Anordnungen
der Militärbehörde gemäß ſich zur Aushebung geſtellt, u. ſ. w.
der leiſtet gleichzeitig dem Reich Gehorſam, welches die
Straf- Zoll- und Militärgeſetze erlaſſen hat, und dem Einzel-
ſtaat, welcher dieſe Geſetze handhabt 1). Es iſt daher unmöglich,
die Pflichten einzeln aufzuzählen, welche das Reichsbürgerrecht
involvirt und ihnen diejenigen gegenüber zuſtellen, welche mit
dem Staatsbürgerrecht verknüpft ſind. Auch die Pflichten, die
1) Vom Standpunkte der herrſchenden Bundesſtaatstheorie aus bleibt
einem conſequent denkenden Juriſten gegenüber dieſer durchweg hervortreten-
den Verquickung und Verbindung von Staatsbürger- und Reichsbürger-Pflich-
ten Nichts Anderes übrig, als einfach die Augen vor ihr zu verſchließen.
Nur ſo kann man es erklären, wenn v. Gerber S. 240 ſagt: „Der Bürger
des Nordd. Bundes ſteht unter einer doppelten Regierung, der ſeines Einzel-
ſtaates und des Bundesſtaates; aber jede dieſer beiden Regierungen hat ihre
beſondern, im Ganzen vollſtändig getrennte Sphäre der
Wirkſamkeit.“ (!)
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