Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 13. Begriff u. staatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. Zur Begründung seiner Ansicht macht Seydel geltend, daß Art.3 der Reichsverf. von einem Reichsbürgerrecht gar nicht handelt und alle in diesem Artikel gewährleisteten Rechte nicht im Ver- hältniß zum Reich begründet sind, sondern den Staatsbürgern eines Bundesstaates in den andern einzelnen Bundesstaaten zu- stehen, wie sie ihnen ebenso vertragsmäßig auch in außerdeutschen Staaten zugesichert werden können. Seydel selbst sieht sich aber genöthigt, seine Theorie zu verleugnen, indem er S. 45 erklärt, daß er "als praktischen Inhalt des Bundesbürgerrechts höchstens das Reichstagswahlrecht zu nennen wüßte," und unmittelbar da- rauf unter 8 Nummern einen Katalog "der Rechte und Pflichten, welche sich allenfalls unter dem Begriffe eines Bundesindigenats zusammenfassen ließen," aufstellt 1). Er kann sich daher der That- sache doch nicht verschließen, daß die Reichs-Angehörigkeit ein staatsrechtlich relevanter Begriff und die gemeinsame Voraussetzung oder der Rechtsgrund einer Reihe von Rechten und Pflichten ist. Das richtige Verhältniß des Landesbürgerrechts zum Reichs- 1) Daß Seydel hier Bundesindigenat in demselben Sinne wie Bundes-
bürgerrecht nimmt, ergiebt sich außer aus dem Zusammenhange auch daraus, daß er diese Aufzählung mit dem aktiven und passiven Reichstagswahlrecht be- ginnt. §. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. Zur Begründung ſeiner Anſicht macht Seydel geltend, daß Art.3 der Reichsverf. von einem Reichsbürgerrecht gar nicht handelt und alle in dieſem Artikel gewährleiſteten Rechte nicht im Ver- hältniß zum Reich begründet ſind, ſondern den Staatsbürgern eines Bundesſtaates in den andern einzelnen Bundesſtaaten zu- ſtehen, wie ſie ihnen ebenſo vertragsmäßig auch in außerdeutſchen Staaten zugeſichert werden können. Seydel ſelbſt ſieht ſich aber genöthigt, ſeine Theorie zu verleugnen, indem er S. 45 erklärt, daß er „als praktiſchen Inhalt des Bundesbürgerrechts höchſtens das Reichstagswahlrecht zu nennen wüßte,“ und unmittelbar da- rauf unter 8 Nummern einen Katalog „der Rechte und Pflichten, welche ſich allenfalls unter dem Begriffe eines Bundesindigenats zuſammenfaſſen ließen,“ aufſtellt 1). Er kann ſich daher der That- ſache doch nicht verſchließen, daß die Reichs-Angehörigkeit ein ſtaatsrechtlich relevanter Begriff und die gemeinſame Vorausſetzung oder der Rechtsgrund einer Reihe von Rechten und Pflichten iſt. Das richtige Verhältniß des Landesbürgerrechts zum Reichs- 1) Daß Seydel hier Bundesindigenat in demſelben Sinne wie Bundes-
bürgerrecht nimmt, ergiebt ſich außer aus dem Zuſammenhange auch daraus, daß er dieſe Aufzählung mit dem aktiven und paſſiven Reichstagswahlrecht be- ginnt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0153" n="133"/><fw place="top" type="header">§. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.</fw><lb/> Zur Begründung ſeiner Anſicht macht <hi rendition="#g">Seydel</hi> geltend, daß Art.<lb/> 3 der Reichsverf. von einem Reichsbürgerrecht gar nicht handelt<lb/> und alle in dieſem Artikel gewährleiſteten Rechte nicht im Ver-<lb/> hältniß zum Reich begründet ſind, ſondern den Staatsbürgern<lb/> eines Bundesſtaates in den andern einzelnen <choice><sic>Bundesſtaaaten</sic><corr>Bundesſtaaten</corr></choice> zu-<lb/> ſtehen, wie ſie ihnen ebenſo vertragsmäßig auch in außerdeutſchen<lb/> Staaten zugeſichert werden können. <hi rendition="#g">Seydel</hi> ſelbſt ſieht ſich aber<lb/> genöthigt, ſeine Theorie zu verleugnen, indem er S. 45 erklärt,<lb/> daß er „als praktiſchen Inhalt des Bundesbürgerrechts höchſtens<lb/> das Reichstagswahlrecht zu nennen wüßte,“ und unmittelbar da-<lb/> rauf unter 8 Nummern einen Katalog „der Rechte und Pflichten,<lb/> welche ſich allenfalls unter dem Begriffe eines Bundesindigenats<lb/> zuſammenfaſſen ließen,“ aufſtellt <note place="foot" n="1)">Daß <hi rendition="#g">Seydel</hi> hier Bundesindigenat in demſelben Sinne wie Bundes-<lb/> bürgerrecht nimmt, ergiebt ſich außer aus dem Zuſammenhange auch daraus,<lb/> daß er dieſe Aufzählung mit dem aktiven und paſſiven Reichstagswahlrecht be-<lb/> ginnt.</note>. Er kann ſich daher der That-<lb/> ſache doch nicht verſchließen, daß die Reichs-Angehörigkeit ein<lb/> ſtaatsrechtlich relevanter Begriff und die gemeinſame Vorausſetzung<lb/> oder der Rechtsgrund einer Reihe von Rechten und Pflichten iſt.</p><lb/> <p>Das richtige Verhältniß des Landesbürgerrechts zum Reichs-<lb/> bürgerrecht ergiebt ſich aus dem von uns entwickelten Weſen des<lb/> Bundesſtaates. Der Bundesſtaat iſt ein zuſammengeſetzter Staat,<lb/> deſſen Mitglieder die Einzelſtaaten ſind, die Bundesſtaatsgewalt iſt<lb/> eine ſouveräne Gewalt über den Einzelſtaaten. Die Einzelſtaaten<lb/> können nicht getrennt von ihrem Subſtrat, ihren Angehörigen, dem<lb/> Reiche unterworfen ſein, ſondern natürlicher Weiſe nur mit Land<lb/> und Leuten. Die Herrſchaftsrechte des Reiches über die Staaten<lb/> involviren daher zugleich Herrſchaftsrechte über die Angehörigen<lb/> dieſer Staaten, gleichviel in welcher Form ſie geltend gemacht<lb/> werden; die Pflichten, welche das Reich den Einzelſtaaten abge-<lb/> nommen hat, um ſie ſelbſt an ihrer Stelle auszuüben, erfüllt es<lb/> für die Angehörigen der Staaten. Die Bürger des Einzelſtaates<lb/> haben daher gegen die Reichsgewalt Unterthanen-Pflichten und<lb/> ſtaatsbürgerliche Rechte. Weil der Einzelne ein Angehöriger des<lb/> Staates Preußen oder Sachſen iſt und weil der Staat Preußen<lb/> und der Staat Sachſen zum Reiche gehören und der Reichsgewalt<lb/> unterworfen ſind, <hi rendition="#g">darum</hi> iſt der Preuße und der Sachſe ein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0153]
§. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.
Zur Begründung ſeiner Anſicht macht Seydel geltend, daß Art.
3 der Reichsverf. von einem Reichsbürgerrecht gar nicht handelt
und alle in dieſem Artikel gewährleiſteten Rechte nicht im Ver-
hältniß zum Reich begründet ſind, ſondern den Staatsbürgern
eines Bundesſtaates in den andern einzelnen Bundesſtaaten zu-
ſtehen, wie ſie ihnen ebenſo vertragsmäßig auch in außerdeutſchen
Staaten zugeſichert werden können. Seydel ſelbſt ſieht ſich aber
genöthigt, ſeine Theorie zu verleugnen, indem er S. 45 erklärt,
daß er „als praktiſchen Inhalt des Bundesbürgerrechts höchſtens
das Reichstagswahlrecht zu nennen wüßte,“ und unmittelbar da-
rauf unter 8 Nummern einen Katalog „der Rechte und Pflichten,
welche ſich allenfalls unter dem Begriffe eines Bundesindigenats
zuſammenfaſſen ließen,“ aufſtellt 1). Er kann ſich daher der That-
ſache doch nicht verſchließen, daß die Reichs-Angehörigkeit ein
ſtaatsrechtlich relevanter Begriff und die gemeinſame Vorausſetzung
oder der Rechtsgrund einer Reihe von Rechten und Pflichten iſt.
Das richtige Verhältniß des Landesbürgerrechts zum Reichs-
bürgerrecht ergiebt ſich aus dem von uns entwickelten Weſen des
Bundesſtaates. Der Bundesſtaat iſt ein zuſammengeſetzter Staat,
deſſen Mitglieder die Einzelſtaaten ſind, die Bundesſtaatsgewalt iſt
eine ſouveräne Gewalt über den Einzelſtaaten. Die Einzelſtaaten
können nicht getrennt von ihrem Subſtrat, ihren Angehörigen, dem
Reiche unterworfen ſein, ſondern natürlicher Weiſe nur mit Land
und Leuten. Die Herrſchaftsrechte des Reiches über die Staaten
involviren daher zugleich Herrſchaftsrechte über die Angehörigen
dieſer Staaten, gleichviel in welcher Form ſie geltend gemacht
werden; die Pflichten, welche das Reich den Einzelſtaaten abge-
nommen hat, um ſie ſelbſt an ihrer Stelle auszuüben, erfüllt es
für die Angehörigen der Staaten. Die Bürger des Einzelſtaates
haben daher gegen die Reichsgewalt Unterthanen-Pflichten und
ſtaatsbürgerliche Rechte. Weil der Einzelne ein Angehöriger des
Staates Preußen oder Sachſen iſt und weil der Staat Preußen
und der Staat Sachſen zum Reiche gehören und der Reichsgewalt
unterworfen ſind, darum iſt der Preuße und der Sachſe ein
1) Daß Seydel hier Bundesindigenat in demſelben Sinne wie Bundes-
bürgerrecht nimmt, ergiebt ſich außer aus dem Zuſammenhange auch daraus,
daß er dieſe Aufzählung mit dem aktiven und paſſiven Reichstagswahlrecht be-
ginnt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |