der Reichskanzler sowie alle übrigen Reichsbehörden bei ihren Verfügungen respektiren müssen.
§. 12. Die Existenz der Einzelstaaten.
Das Reich als Bundesstaat setzt nach dem von uns entwickelten Begriff desselben autonome Staaten als Mitglieder voraus. Es entsteht daher die Frage, in wie weit die Fortexistenz der einzelnen Staaten durch die Reichsverfassung geboten oder gewährleistet ist. Bei der Beantwortung derselben ist aber zunächst die Fragestellung selbst näher zu präcisiren, denn es kommen hier sehr verschiedene Gesichtspunkte in Betracht, deren Vermengung eine richtige Beant- wortung unmöglich macht.
Man deducirt die verfassungsmäßige Garantie der Einzelstaaten öfters aus dem Wesen des Bundesstaates und leitet daraus die Nothwendigkeit einer Beschränkung der Reichscompetenz auf ein solches Maaß ab, daß für die Einzelstaaten noch Raum genug übrig bleibt, um wirklich als Staaten bezeichnet werden zu können. Diese Deduction hat zunächst mit unserer Frage Nichts zu thun; denn der Begriff des Bundesstaates würde bestehen bleiben, wenn auch das eine oder andere der Mitglieder verschwinden sollte. Man muß zugeben, daß das deutsche Reich als Bundesstaat nicht gedacht werden kann ohne autonome Staaten; aber es läßt sich gewiß nicht behaupten, daß das deutsche Reich aufhören würde ein Bundes- staat zu sein, wenn es statt aus 25 Staaten aus 24 oder aus 18 bestünde. Aus dieser Erwägung folgt daher niemals eine reichs- verfassungsmäßige Garantie der thatsächlich vorhandenen einzelnen Staaten. Ferner hat aber die Reichsverfassung nirgends eine Grenze gezogen, wo die Kompetenz-Erweiterung des Reiches Halt machen müsse. Die Möglichkeit, daß im Laufe der Zeit die ein- zelnen Staaten so fest mit einander verwachsen, daß die ihnen verbleibende Autonomie bis zur Inhaltslosigkeit zusammenschrumpft, ist durch den Art. 78 allerdings gegeben. Die Kompetenz-Aus- dehnung des Reiches hat keine begriffliche Schranke, sondern nur eine factische Erschwerung durch die im Art. 78 für Verfassungs- Aenderungen erforderte Majorität erhalten. Es ist freilich wahr, daß, wenn das Reich seine Kompetenz immer weiter und weiter ausdehnt, es schließlich aufhören würde, ein Bundesstaat zu sein; aber es ist in der Verfassung ja nirgends ausgesprochen, daß das
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
der Reichskanzler ſowie alle übrigen Reichsbehörden bei ihren Verfügungen reſpektiren müſſen.
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
Das Reich als Bundesſtaat ſetzt nach dem von uns entwickelten Begriff deſſelben autonome Staaten als Mitglieder voraus. Es entſteht daher die Frage, in wie weit die Fortexiſtenz der einzelnen Staaten durch die Reichsverfaſſung geboten oder gewährleiſtet iſt. Bei der Beantwortung derſelben iſt aber zunächſt die Frageſtellung ſelbſt näher zu präciſiren, denn es kommen hier ſehr verſchiedene Geſichtspunkte in Betracht, deren Vermengung eine richtige Beant- wortung unmöglich macht.
Man deducirt die verfaſſungsmäßige Garantie der Einzelſtaaten öfters aus dem Weſen des Bundesſtaates und leitet daraus die Nothwendigkeit einer Beſchränkung der Reichscompetenz auf ein ſolches Maaß ab, daß für die Einzelſtaaten noch Raum genug übrig bleibt, um wirklich als Staaten bezeichnet werden zu können. Dieſe Deduction hat zunächſt mit unſerer Frage Nichts zu thun; denn der Begriff des Bundesſtaates würde beſtehen bleiben, wenn auch das eine oder andere der Mitglieder verſchwinden ſollte. Man muß zugeben, daß das deutſche Reich als Bundesſtaat nicht gedacht werden kann ohne autonome Staaten; aber es läßt ſich gewiß nicht behaupten, daß das deutſche Reich aufhören würde ein Bundes- ſtaat zu ſein, wenn es ſtatt aus 25 Staaten aus 24 oder aus 18 beſtünde. Aus dieſer Erwägung folgt daher niemals eine reichs- verfaſſungsmäßige Garantie der thatſächlich vorhandenen einzelnen Staaten. Ferner hat aber die Reichsverfaſſung nirgends eine Grenze gezogen, wo die Kompetenz-Erweiterung des Reiches Halt machen müſſe. Die Möglichkeit, daß im Laufe der Zeit die ein- zelnen Staaten ſo feſt mit einander verwachſen, daß die ihnen verbleibende Autonomie bis zur Inhaltsloſigkeit zuſammenſchrumpft, iſt durch den Art. 78 allerdings gegeben. Die Kompetenz-Aus- dehnung des Reiches hat keine begriffliche Schranke, ſondern nur eine factiſche Erſchwerung durch die im Art. 78 für Verfaſſungs- Aenderungen erforderte Majorität erhalten. Es iſt freilich wahr, daß, wenn das Reich ſeine Kompetenz immer weiter und weiter ausdehnt, es ſchließlich aufhören würde, ein Bundesſtaat zu ſein; aber es iſt in der Verfaſſung ja nirgends ausgeſprochen, daß das
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§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
der Reichskanzler ſowie alle übrigen Reichsbehörden bei ihren
Verfügungen reſpektiren müſſen.
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
Das Reich als Bundesſtaat ſetzt nach dem von uns entwickelten
Begriff deſſelben autonome Staaten als Mitglieder voraus. Es
entſteht daher die Frage, in wie weit die Fortexiſtenz der einzelnen
Staaten durch die Reichsverfaſſung geboten oder gewährleiſtet iſt.
Bei der Beantwortung derſelben iſt aber zunächſt die Frageſtellung
ſelbſt näher zu präciſiren, denn es kommen hier ſehr verſchiedene
Geſichtspunkte in Betracht, deren Vermengung eine richtige Beant-
wortung unmöglich macht.
Man deducirt die verfaſſungsmäßige Garantie der Einzelſtaaten
öfters aus dem Weſen des Bundesſtaates und leitet daraus die
Nothwendigkeit einer Beſchränkung der Reichscompetenz auf ein
ſolches Maaß ab, daß für die Einzelſtaaten noch Raum genug übrig
bleibt, um wirklich als Staaten bezeichnet werden zu können. Dieſe
Deduction hat zunächſt mit unſerer Frage Nichts zu thun; denn
der Begriff des Bundesſtaates würde beſtehen bleiben, wenn auch
das eine oder andere der Mitglieder verſchwinden ſollte. Man
muß zugeben, daß das deutſche Reich als Bundesſtaat nicht gedacht
werden kann ohne autonome Staaten; aber es läßt ſich gewiß nicht
behaupten, daß das deutſche Reich aufhören würde ein Bundes-
ſtaat zu ſein, wenn es ſtatt aus 25 Staaten aus 24 oder aus 18
beſtünde. Aus dieſer Erwägung folgt daher niemals eine reichs-
verfaſſungsmäßige Garantie der thatſächlich vorhandenen einzelnen
Staaten. Ferner hat aber die Reichsverfaſſung nirgends eine
Grenze gezogen, wo die Kompetenz-Erweiterung des Reiches Halt
machen müſſe. Die Möglichkeit, daß im Laufe der Zeit die ein-
zelnen Staaten ſo feſt mit einander verwachſen, daß die ihnen
verbleibende Autonomie bis zur Inhaltsloſigkeit zuſammenſchrumpft,
iſt durch den Art. 78 allerdings gegeben. Die Kompetenz-Aus-
dehnung des Reiches hat keine begriffliche Schranke, ſondern nur
eine factiſche Erſchwerung durch die im Art. 78 für Verfaſſungs-
Aenderungen erforderte Majorität erhalten. Es iſt freilich wahr,
daß, wenn das Reich ſeine Kompetenz immer weiter und weiter
ausdehnt, es ſchließlich aufhören würde, ein Bundesſtaat zu ſein;
aber es iſt in der Verfaſſung ja nirgends ausgeſprochen, daß das
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/144>, abgerufen am 22.11.2024.
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