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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 11. Die Rechte der Einzelstaaten.

Eine bestimmte Form für die Aufhebung von Sonderrechten
ist weder durch positives Recht vorgeschrieben, noch aus der Natur
der Sonderrechte abzuleiten. Es genügt in vielen Fällen ein that-
sächlicher Verzicht 1). Ist das Sonderrecht aber gleichzeitig ein
Bestandtheil der Verfassung, so bedarf es außer der Zustimmung
des berechtigten Staates auch der für Verfassungsänderungen im
Art. 78 Abs. 1 vorgeschriebenen Form. Ein förmlicher Staats-
vertrag zwischen dem Reich und dem Einzelstaat ist in keinem
Falle für erforderlich zu erachten, da das Reich wegen seiner sou-
veränen Macht über seine Glieder sich stets der Form des Ge-
setzes bedienen kann 2). Es ist nur nothwendig, daß es bei Aus-
übung dieser Macht die materiellen Schranken beobachtet, welche
ihm der Rechtssatz zieht, daß wohlbegründete Rechte nicht ohne
Zustimmung des Berechtigten aufgehoben werden dürfen.

In der Zustimmung eines berechtigten Staates zu einem
Gesetz, welches ein Sonderrecht aufhebt oder beschränkt, ist zugleich
ein Verzicht auf dieses Sonderrecht enthalten. Wenn daher im
Bundesrath die Stimme des berechtigten Staates unter der, dem
Gesetz zustimmenden Majorität sich befindet, so ist dies zur rechts-
gültigen Beseitigung des Sonderrechts genügend 3). Ein Zustim-
mung des Landtages des berechtigten Einzelstaates ist nicht erfor-
derlich, weder eine vorgängige vor der Beschlußfassung des Bun-
desrathes noch eine nachträgliche behufs der Ratihabition des
Reichsgesetzes. Bei allen Gesetzgebungsacten des Reiches wird der

1) So z. B. wenn Württemberg auf seinen Eisenbahnen den Einpfennig-
Tarif einführen oder der Post dieselben Vorrechte beilegen würde, die ihr nach
dem Reichspostgesetz zustehen.
2) Die entgegengesetzte Ansicht vertritt Hänel S. 236 ff., dem Löning
S. 347 beistimmt, so weit diese Sonderrechte in der Form des Vertrages ge-
gründet worden sind, d. h. soweit sie in Bestimmungen der Schlußprotokolle
enthalten sind, die nicht in die jetzige Redaction der Reichsverfassung Aufnahme
gefunden haben und durch §. 3 des Publikationsgesetzes zur Reichsverf. in
Geltung erhalten worden sind.
3) Es wurde auch praktisch demgemäß verfahren, als das Reichs-Postge-
setz vom 28. Oktober 1871 das Vorrecht der Post auf ausschließliche Beför-
derung politischer Zeitungen in Württemberg, wo es bis dahin nicht bestand,
einführte, also die im Württemb. Protokoll vom 25. Nov. 1870 unter 3 ent-
haltene Festsetzung abänderte. Hänel a. a. O. S. 237. Vgl. ferner den
S. 118 Note 2 mitgetheilten Fall aus dem Protokoll des Bundesrathes vom
1875 §. 70.
§. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten.

Eine beſtimmte Form für die Aufhebung von Sonderrechten
iſt weder durch poſitives Recht vorgeſchrieben, noch aus der Natur
der Sonderrechte abzuleiten. Es genügt in vielen Fällen ein that-
ſächlicher Verzicht 1). Iſt das Sonderrecht aber gleichzeitig ein
Beſtandtheil der Verfaſſung, ſo bedarf es außer der Zuſtimmung
des berechtigten Staates auch der für Verfaſſungsänderungen im
Art. 78 Abſ. 1 vorgeſchriebenen Form. Ein förmlicher Staats-
vertrag zwiſchen dem Reich und dem Einzelſtaat iſt in keinem
Falle für erforderlich zu erachten, da das Reich wegen ſeiner ſou-
veränen Macht über ſeine Glieder ſich ſtets der Form des Ge-
ſetzes bedienen kann 2). Es iſt nur nothwendig, daß es bei Aus-
übung dieſer Macht die materiellen Schranken beobachtet, welche
ihm der Rechtsſatz zieht, daß wohlbegründete Rechte nicht ohne
Zuſtimmung des Berechtigten aufgehoben werden dürfen.

In der Zuſtimmung eines berechtigten Staates zu einem
Geſetz, welches ein Sonderrecht aufhebt oder beſchränkt, iſt zugleich
ein Verzicht auf dieſes Sonderrecht enthalten. Wenn daher im
Bundesrath die Stimme des berechtigten Staates unter der, dem
Geſetz zuſtimmenden Majorität ſich befindet, ſo iſt dies zur rechts-
gültigen Beſeitigung des Sonderrechts genügend 3). Ein Zuſtim-
mung des Landtages des berechtigten Einzelſtaates iſt nicht erfor-
derlich, weder eine vorgängige vor der Beſchlußfaſſung des Bun-
desrathes noch eine nachträgliche behufs der Ratihabition des
Reichsgeſetzes. Bei allen Geſetzgebungsacten des Reiches wird der

1) So z. B. wenn Württemberg auf ſeinen Eiſenbahnen den Einpfennig-
Tarif einführen oder der Poſt dieſelben Vorrechte beilegen würde, die ihr nach
dem Reichspoſtgeſetz zuſtehen.
2) Die entgegengeſetzte Anſicht vertritt Hänel S. 236 ff., dem Löning
S. 347 beiſtimmt, ſo weit dieſe Sonderrechte in der Form des Vertrages ge-
gründet worden ſind, d. h. ſoweit ſie in Beſtimmungen der Schlußprotokolle
enthalten ſind, die nicht in die jetzige Redaction der Reichsverfaſſung Aufnahme
gefunden haben und durch §. 3 des Publikationsgeſetzes zur Reichsverf. in
Geltung erhalten worden ſind.
3) Es wurde auch praktiſch demgemäß verfahren, als das Reichs-Poſtge-
ſetz vom 28. Oktober 1871 das Vorrecht der Poſt auf ausſchließliche Beför-
derung politiſcher Zeitungen in Württemberg, wo es bis dahin nicht beſtand,
einführte, alſo die im Württemb. Protokoll vom 25. Nov. 1870 unter 3 ent-
haltene Feſtſetzung abänderte. Hänel a. a. O. S. 237. Vgl. ferner den
S. 118 Note 2 mitgetheilten Fall aus dem Protokoll des Bundesrathes vom
1875 §. 70.
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[119/0139] §. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten. Eine beſtimmte Form für die Aufhebung von Sonderrechten iſt weder durch poſitives Recht vorgeſchrieben, noch aus der Natur der Sonderrechte abzuleiten. Es genügt in vielen Fällen ein that- ſächlicher Verzicht 1). Iſt das Sonderrecht aber gleichzeitig ein Beſtandtheil der Verfaſſung, ſo bedarf es außer der Zuſtimmung des berechtigten Staates auch der für Verfaſſungsänderungen im Art. 78 Abſ. 1 vorgeſchriebenen Form. Ein förmlicher Staats- vertrag zwiſchen dem Reich und dem Einzelſtaat iſt in keinem Falle für erforderlich zu erachten, da das Reich wegen ſeiner ſou- veränen Macht über ſeine Glieder ſich ſtets der Form des Ge- ſetzes bedienen kann 2). Es iſt nur nothwendig, daß es bei Aus- übung dieſer Macht die materiellen Schranken beobachtet, welche ihm der Rechtsſatz zieht, daß wohlbegründete Rechte nicht ohne Zuſtimmung des Berechtigten aufgehoben werden dürfen. In der Zuſtimmung eines berechtigten Staates zu einem Geſetz, welches ein Sonderrecht aufhebt oder beſchränkt, iſt zugleich ein Verzicht auf dieſes Sonderrecht enthalten. Wenn daher im Bundesrath die Stimme des berechtigten Staates unter der, dem Geſetz zuſtimmenden Majorität ſich befindet, ſo iſt dies zur rechts- gültigen Beſeitigung des Sonderrechts genügend 3). Ein Zuſtim- mung des Landtages des berechtigten Einzelſtaates iſt nicht erfor- derlich, weder eine vorgängige vor der Beſchlußfaſſung des Bun- desrathes noch eine nachträgliche behufs der Ratihabition des Reichsgeſetzes. Bei allen Geſetzgebungsacten des Reiches wird der 1) So z. B. wenn Württemberg auf ſeinen Eiſenbahnen den Einpfennig- Tarif einführen oder der Poſt dieſelben Vorrechte beilegen würde, die ihr nach dem Reichspoſtgeſetz zuſtehen. 2) Die entgegengeſetzte Anſicht vertritt Hänel S. 236 ff., dem Löning S. 347 beiſtimmt, ſo weit dieſe Sonderrechte in der Form des Vertrages ge- gründet worden ſind, d. h. ſoweit ſie in Beſtimmungen der Schlußprotokolle enthalten ſind, die nicht in die jetzige Redaction der Reichsverfaſſung Aufnahme gefunden haben und durch §. 3 des Publikationsgeſetzes zur Reichsverf. in Geltung erhalten worden ſind. 3) Es wurde auch praktiſch demgemäß verfahren, als das Reichs-Poſtge- ſetz vom 28. Oktober 1871 das Vorrecht der Poſt auf ausſchließliche Beför- derung politiſcher Zeitungen in Württemberg, wo es bis dahin nicht beſtand, einführte, alſo die im Württemb. Protokoll vom 25. Nov. 1870 unter 3 ent- haltene Feſtſetzung abänderte. Hänel a. a. O. S. 237. Vgl. ferner den S. 118 Note 2 mitgetheilten Fall aus dem Protokoll des Bundesrathes vom 1875 §. 70.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/139>, abgerufen am 22.11.2024.