§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
der Remuneration des Ehrenamtes und der Besoldung des Berufs- amtes? Die geschichtliche Entwicklung des Brandenburgisch-Preu- sischen Landrathsamtes 1) liefert ein höchst bedeutsames und an- schauliches Beispiel dafür, wie leicht das Ehrenamt in ein Berufs- amt, die Kostenentschädigung mittelst einer Pauschsumme in einen, mit dem Amt verbundenen Gehalt übergehen kann. Andererseits gibt es auch unbesoldete Staatsämter. Ist der unbesoldete Gerichts- oder Regierungs-Assessor ein Beamter der Selbstverwaltung? Hat der Gesandte, der doppelt so viel auszugeben genöthigt ist, als seine Amtseinkünfte betragen, ein Ehrenamt?
Auch Alles, was von der Selbstverwaltung in der herrschen- den Bedeutung des Wortes ausgesagt wird, die Unpartheilichkeit in der Ernennung und Entlassung, die Ausübung der obrigkeit- lichen Functionen nach Maßgabe der Gesetze, die Rechtscontrollen in den Formen des contradictorischen Verfahrens vor unabhängi- gen Gerichten, ist auf die Verwaltung durch besoldete Berufsbe- amte anwendbar und nach den Grundsätzen des Rechtsstaates von jeder Form der Verwaltung geltend.
Ebensowenig ist die Decentralisation ein für die Selbstver- waltung characteristisches Moment, worauf mit vielen Andern Schulze Preuß. Staatsr. § 127. 128 besonderes Gewicht legt. Bei völlig büreaucratischer Staatsverwaltung kann die Decentra- lisation im größten Maaße erreicht werden durch Beschränkung der Beschwerden und anderen Rechtsmitteln, durch Ausstattung der untern Instanzen mit weitreichenden Befugnissen.
Die unjuristische Definition der Selbstverwaltung als einer Verwaltung durch Ehrenämter hat zu immer weiterer Abirrung geführt. Man definirt die Selbstverwaltung geradezu als "Selbst- thätigkeit" der Bürger 2). Als ob bezahlte und berufsmäßige Thä- tigkeit im Staatsdienste keine "Selbstthätigkeit" wäre, als ob die Hunderttausende von Berufsbeamten der Militair- Finanz- Ge- richts- Polizeiverwaltung u. s. w. ihre Geschäfte ohne "Selbstthä- tigkeit" erledigen könnten oder keine Staatsbürger wären.
Man betont aber nicht nur ein begrifflich ganz unerhebliches
1) Vgl. die literar. Nachweisungen bei v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1. §. 265.
2)Gneist Preuß. Kreis-Ordn. S. 11. "Das an jedem Punkt Entschei- dende ist die gewohnheitsmäßige Selbstthätigkeit im Staatsberuf."
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 7
§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
der Remuneration des Ehrenamtes und der Beſoldung des Berufs- amtes? Die geſchichtliche Entwicklung des Brandenburgiſch-Preu- ſiſchen Landrathsamtes 1) liefert ein höchſt bedeutſames und an- ſchauliches Beiſpiel dafür, wie leicht das Ehrenamt in ein Berufs- amt, die Koſtenentſchädigung mittelſt einer Pauſchſumme in einen, mit dem Amt verbundenen Gehalt übergehen kann. Andererſeits gibt es auch unbeſoldete Staatsämter. Iſt der unbeſoldete Gerichts- oder Regierungs-Aſſeſſor ein Beamter der Selbſtverwaltung? Hat der Geſandte, der doppelt ſo viel auszugeben genöthigt iſt, als ſeine Amtseinkünfte betragen, ein Ehrenamt?
Auch Alles, was von der Selbſtverwaltung in der herrſchen- den Bedeutung des Wortes ausgeſagt wird, die Unpartheilichkeit in der Ernennung und Entlaſſung, die Ausübung der obrigkeit- lichen Functionen nach Maßgabe der Geſetze, die Rechtscontrollen in den Formen des contradictoriſchen Verfahrens vor unabhängi- gen Gerichten, iſt auf die Verwaltung durch beſoldete Berufsbe- amte anwendbar und nach den Grundſätzen des Rechtsſtaates von jeder Form der Verwaltung geltend.
Ebenſowenig iſt die Decentraliſation ein für die Selbſtver- waltung characteriſtiſches Moment, worauf mit vielen Andern Schulze Preuß. Staatsr. § 127. 128 beſonderes Gewicht legt. Bei völlig büreaucratiſcher Staatsverwaltung kann die Decentra- liſation im größten Maaße erreicht werden durch Beſchränkung der Beſchwerden und anderen Rechtsmitteln, durch Ausſtattung der untern Inſtanzen mit weitreichenden Befugniſſen.
Die unjuriſtiſche Definition der Selbſtverwaltung als einer Verwaltung durch Ehrenämter hat zu immer weiterer Abirrung geführt. Man definirt die Selbſtverwaltung geradezu als „Selbſt- thätigkeit“ der Bürger 2). Als ob bezahlte und berufsmäßige Thä- tigkeit im Staatsdienſte keine „Selbſtthätigkeit“ wäre, als ob die Hunderttauſende von Berufsbeamten der Militair- Finanz- Ge- richts- Polizeiverwaltung u. ſ. w. ihre Geſchäfte ohne „Selbſtthä- tigkeit“ erledigen könnten oder keine Staatsbürger wären.
Man betont aber nicht nur ein begrifflich ganz unerhebliches
1) Vgl. die literar. Nachweiſungen bei v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1. §. 265.
2)Gneiſt Preuß. Kreis-Ordn. S. 11. „Das an jedem Punkt Entſchei- dende iſt die gewohnheitsmäßige Selbſtthätigkeit im Staatsberuf.“
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 7
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§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
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ſiſchen Landrathsamtes 1) liefert ein höchſt bedeutſames und an-
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amt, die Koſtenentſchädigung mittelſt einer Pauſchſumme in einen,
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der Geſandte, der doppelt ſo viel auszugeben genöthigt iſt, als
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gen Gerichten, iſt auf die Verwaltung durch beſoldete Berufsbe-
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jeder Form der Verwaltung geltend.
Ebenſowenig iſt die Decentraliſation ein für die Selbſtver-
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Schulze Preuß. Staatsr. § 127. 128 beſonderes Gewicht legt.
Bei völlig büreaucratiſcher Staatsverwaltung kann die Decentra-
liſation im größten Maaße erreicht werden durch Beſchränkung der
Beſchwerden und anderen Rechtsmitteln, durch Ausſtattung der
untern Inſtanzen mit weitreichenden Befugniſſen.
Die unjuriſtiſche Definition der Selbſtverwaltung als einer
Verwaltung durch Ehrenämter hat zu immer weiterer Abirrung
geführt. Man definirt die Selbſtverwaltung geradezu als „Selbſt-
thätigkeit“ der Bürger 2). Als ob bezahlte und berufsmäßige Thä-
tigkeit im Staatsdienſte keine „Selbſtthätigkeit“ wäre, als ob die
Hunderttauſende von Berufsbeamten der Militair- Finanz- Ge-
richts- Polizeiverwaltung u. ſ. w. ihre Geſchäfte ohne „Selbſtthä-
tigkeit“ erledigen könnten oder keine Staatsbürger wären.
Man betont aber nicht nur ein begrifflich ganz unerhebliches
1) Vgl. die literar. Nachweiſungen bei v. Rönne Preuß. Staatsr. II.
1. §. 265.
2) Gneiſt Preuß. Kreis-Ordn. S. 11. „Das an jedem Punkt Entſchei-
dende iſt die gewohnheitsmäßige Selbſtthätigkeit im Staatsberuf.“
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 7
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/117>, abgerufen am 24.07.2024.
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