Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen dem innern Leben und der äußern Berufstreue eines Mannes klaffen kann, und es mag wohl auch vorkommen, daß Sauer und Süß aus Einem Brunnen quillt.

Eine tägliche Gewohnheit, und wäre es auch die des Hasses, prägt gleichwohl der Seele des Menschen eine gewisse Spur von Liebe ein. Der durchlauchtige Tubus oder vielmehr, wie er ihn höhnisch zu nennen pflag, der hohe Seher war dem Pfarrer trotz der gallenbitteren Eindrücke, die am Ursprung seines Besitzes hafteten, bald unentbehrlich geworden, und das Vergnügen, das er jeden Morgen empfand, wenn er, mit Blicken der Verachtung zwar, die Welt musterte, hatte sich, obwohl er dies standhaft abgeleugnet haben würde, zu einem Theile seines Wesens ausgebildet. "Etwas muß der Mensch haben," sagt die Weisheit der Völker, und wir sehen an dem vor Augen liegenden Beispiele, daß sie die Wahrheit sagt.

Die unbewußte Befriedigung unseres schwarzsichtigen Rundschauers erreichte jedoch noch einen höheren Grad, als er eines Tages, von Abend nach Morgen zielend, jene Felsennase in der Nähe von A . . . berg entdeckte, von welcher bereits die Rede gewesen ist Er erkannte in diesem Naturgebilde das überraschend treue Conterfei eines einstigen Klostervorgesetzten, von dem er seiner Zeit der Nasen manche erhalten hatte, und gegen den er aus diesem Grunde eine übrigens ungerechte Abneigung bewahrte. In diesem plastischen

zwischen dem innern Leben und der äußern Berufstreue eines Mannes klaffen kann, und es mag wohl auch vorkommen, daß Sauer und Süß aus Einem Brunnen quillt.

Eine tägliche Gewohnheit, und wäre es auch die des Hasses, prägt gleichwohl der Seele des Menschen eine gewisse Spur von Liebe ein. Der durchlauchtige Tubus oder vielmehr, wie er ihn höhnisch zu nennen pflag, der hohe Seher war dem Pfarrer trotz der gallenbitteren Eindrücke, die am Ursprung seines Besitzes hafteten, bald unentbehrlich geworden, und das Vergnügen, das er jeden Morgen empfand, wenn er, mit Blicken der Verachtung zwar, die Welt musterte, hatte sich, obwohl er dies standhaft abgeleugnet haben würde, zu einem Theile seines Wesens ausgebildet. „Etwas muß der Mensch haben,“ sagt die Weisheit der Völker, und wir sehen an dem vor Augen liegenden Beispiele, daß sie die Wahrheit sagt.

Die unbewußte Befriedigung unseres schwarzsichtigen Rundschauers erreichte jedoch noch einen höheren Grad, als er eines Tages, von Abend nach Morgen zielend, jene Felsennase in der Nähe von A . . . berg entdeckte, von welcher bereits die Rede gewesen ist Er erkannte in diesem Naturgebilde das überraschend treue Conterfei eines einstigen Klostervorgesetzten, von dem er seiner Zeit der Nasen manche erhalten hatte, und gegen den er aus diesem Grunde eine übrigens ungerechte Abneigung bewahrte. In diesem plastischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0059"/>
zwischen dem innern Leben und der                äußern Berufstreue eines Mannes klaffen kann, und es mag wohl auch vorkommen, daß                Sauer und Süß aus Einem Brunnen quillt.</p><lb/>
        <p>Eine tägliche Gewohnheit, und wäre es auch die des Hasses, prägt gleichwohl der Seele                des Menschen eine gewisse Spur von Liebe ein. Der durchlauchtige Tubus oder vielmehr,                wie er ihn höhnisch zu nennen pflag, der hohe Seher war dem Pfarrer trotz der                gallenbitteren Eindrücke, die am Ursprung seines Besitzes hafteten, bald                unentbehrlich geworden, und das Vergnügen, das er jeden Morgen empfand, wenn er, mit                Blicken der Verachtung zwar, die Welt musterte, hatte sich, obwohl er dies standhaft                abgeleugnet haben würde, zu einem Theile seines Wesens ausgebildet. &#x201E;Etwas muß der                Mensch haben,&#x201C; sagt die Weisheit der Völker, und wir sehen an dem vor Augen liegenden                Beispiele, daß sie die Wahrheit sagt.</p><lb/>
        <p>Die unbewußte Befriedigung unseres schwarzsichtigen Rundschauers erreichte jedoch                noch einen höheren Grad, als er eines Tages, von Abend nach Morgen zielend, jene                Felsennase in der Nähe von A . . . berg entdeckte, von welcher bereits die Rede                gewesen ist Er erkannte in diesem Naturgebilde das überraschend treue Conterfei eines                einstigen Klostervorgesetzten, von dem er seiner Zeit der Nasen manche erhalten                hatte, und gegen den er aus diesem Grunde eine übrigens ungerechte Abneigung                bewahrte. In diesem plastischen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] zwischen dem innern Leben und der äußern Berufstreue eines Mannes klaffen kann, und es mag wohl auch vorkommen, daß Sauer und Süß aus Einem Brunnen quillt. Eine tägliche Gewohnheit, und wäre es auch die des Hasses, prägt gleichwohl der Seele des Menschen eine gewisse Spur von Liebe ein. Der durchlauchtige Tubus oder vielmehr, wie er ihn höhnisch zu nennen pflag, der hohe Seher war dem Pfarrer trotz der gallenbitteren Eindrücke, die am Ursprung seines Besitzes hafteten, bald unentbehrlich geworden, und das Vergnügen, das er jeden Morgen empfand, wenn er, mit Blicken der Verachtung zwar, die Welt musterte, hatte sich, obwohl er dies standhaft abgeleugnet haben würde, zu einem Theile seines Wesens ausgebildet. „Etwas muß der Mensch haben,“ sagt die Weisheit der Völker, und wir sehen an dem vor Augen liegenden Beispiele, daß sie die Wahrheit sagt. Die unbewußte Befriedigung unseres schwarzsichtigen Rundschauers erreichte jedoch noch einen höheren Grad, als er eines Tages, von Abend nach Morgen zielend, jene Felsennase in der Nähe von A . . . berg entdeckte, von welcher bereits die Rede gewesen ist Er erkannte in diesem Naturgebilde das überraschend treue Conterfei eines einstigen Klostervorgesetzten, von dem er seiner Zeit der Nasen manche erhalten hatte, und gegen den er aus diesem Grunde eine übrigens ungerechte Abneigung bewahrte. In diesem plastischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/59
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/59>, abgerufen am 27.11.2024.