Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Die beiden letzteren Eigenschaften hatte er sicherlich bewiesen, als er seinem Wirth, anstatt einer Erkenntlichkeit substantiellerer, zugleich aber auch gemeinerer Art, seinen Tubus zum Geschenk gemacht hatte. Wie aber, wenn man auch die erstere der drei Eigenschaften mit in Rechnung nahm, war dann nicht noch eine weitere Deutung des Geschenks erlaubt, ja geboten? War's nicht möglich, war's nicht wahrscheinlich, daß der hohe Geber, der ja gegenwärtig selbst noch nicht freie Hand hatte, dem Pfarrer durch diese Blume ganz leise sagen wollte, er solle in die Ferne blicken, er solle sich als auf die Zukunft angewiesen betrachten? Je länger er dem Gedanken nachhing, desto mehr wurde ihm derselbe zur Gewißheit und durfte daher auf alle Fälle mit Recht ein glücklicher heißen, weil er seinen Urheber glücklich machte, aber auch freilich nur so lang er dies that.

Leider jedoch wurde der Pfarrer schon nach wenigen Tagen aus seinen Himmeln herabgestürzt. Die Zeitungen brachten aus jenem nördlichen Staate die Nachricht vom Hintritt des regierenden Fürsten, vom Regierungsantritt des Erbprinzen und einem zugleich damit eingetretenen großen Systemwechsel, wobei die neuen Ernennungen, sowohl in geistlichen als weltlichen Aemtern, dem Pfarrer sogleich klar machten, daß jetzt oder nie die Anweisung auf die Zukunft, wenn er sie richtig verstanden habe, sich verwirklichen müsse. Während er aber stündlich auf eine Vocation wartete, kam ein

Die beiden letzteren Eigenschaften hatte er sicherlich bewiesen, als er seinem Wirth, anstatt einer Erkenntlichkeit substantiellerer, zugleich aber auch gemeinerer Art, seinen Tubus zum Geschenk gemacht hatte. Wie aber, wenn man auch die erstere der drei Eigenschaften mit in Rechnung nahm, war dann nicht noch eine weitere Deutung des Geschenks erlaubt, ja geboten? War's nicht möglich, war's nicht wahrscheinlich, daß der hohe Geber, der ja gegenwärtig selbst noch nicht freie Hand hatte, dem Pfarrer durch diese Blume ganz leise sagen wollte, er solle in die Ferne blicken, er solle sich als auf die Zukunft angewiesen betrachten? Je länger er dem Gedanken nachhing, desto mehr wurde ihm derselbe zur Gewißheit und durfte daher auf alle Fälle mit Recht ein glücklicher heißen, weil er seinen Urheber glücklich machte, aber auch freilich nur so lang er dies that.

Leider jedoch wurde der Pfarrer schon nach wenigen Tagen aus seinen Himmeln herabgestürzt. Die Zeitungen brachten aus jenem nördlichen Staate die Nachricht vom Hintritt des regierenden Fürsten, vom Regierungsantritt des Erbprinzen und einem zugleich damit eingetretenen großen Systemwechsel, wobei die neuen Ernennungen, sowohl in geistlichen als weltlichen Aemtern, dem Pfarrer sogleich klar machten, daß jetzt oder nie die Anweisung auf die Zukunft, wenn er sie richtig verstanden habe, sich verwirklichen müsse. Während er aber stündlich auf eine Vocation wartete, kam ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0055"/>
Die beiden letzteren Eigenschaften hatte er sicherlich bewiesen, als                er seinem Wirth, anstatt einer Erkenntlichkeit substantiellerer, zugleich aber auch                gemeinerer Art, seinen Tubus zum Geschenk gemacht hatte. Wie aber, wenn man auch die                erstere der drei Eigenschaften mit in Rechnung nahm, war dann nicht noch eine weitere                Deutung des Geschenks erlaubt, ja geboten? War's nicht möglich, war's nicht                wahrscheinlich, daß der hohe Geber, der ja gegenwärtig selbst noch nicht freie Hand                hatte, dem Pfarrer durch diese Blume ganz leise sagen wollte, er solle in die Ferne                blicken, er solle sich als auf die Zukunft angewiesen betrachten? Je länger er dem                Gedanken nachhing, desto mehr wurde ihm derselbe zur Gewißheit und durfte daher auf                alle Fälle mit Recht ein glücklicher heißen, weil er seinen Urheber glücklich machte,                aber auch freilich nur so lang er dies that.</p><lb/>
        <p>Leider jedoch wurde der Pfarrer schon nach wenigen Tagen aus seinen Himmeln                herabgestürzt. Die Zeitungen brachten aus jenem nördlichen Staate die Nachricht vom                Hintritt des regierenden Fürsten, vom Regierungsantritt des Erbprinzen und einem                zugleich damit eingetretenen großen Systemwechsel, wobei die neuen Ernennungen,                sowohl in geistlichen als weltlichen Aemtern, dem Pfarrer sogleich klar machten, daß                jetzt oder nie die Anweisung auf die Zukunft, wenn er sie richtig verstanden habe,                sich verwirklichen müsse. Während er aber stündlich auf eine Vocation wartete, kam                ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Die beiden letzteren Eigenschaften hatte er sicherlich bewiesen, als er seinem Wirth, anstatt einer Erkenntlichkeit substantiellerer, zugleich aber auch gemeinerer Art, seinen Tubus zum Geschenk gemacht hatte. Wie aber, wenn man auch die erstere der drei Eigenschaften mit in Rechnung nahm, war dann nicht noch eine weitere Deutung des Geschenks erlaubt, ja geboten? War's nicht möglich, war's nicht wahrscheinlich, daß der hohe Geber, der ja gegenwärtig selbst noch nicht freie Hand hatte, dem Pfarrer durch diese Blume ganz leise sagen wollte, er solle in die Ferne blicken, er solle sich als auf die Zukunft angewiesen betrachten? Je länger er dem Gedanken nachhing, desto mehr wurde ihm derselbe zur Gewißheit und durfte daher auf alle Fälle mit Recht ein glücklicher heißen, weil er seinen Urheber glücklich machte, aber auch freilich nur so lang er dies that. Leider jedoch wurde der Pfarrer schon nach wenigen Tagen aus seinen Himmeln herabgestürzt. Die Zeitungen brachten aus jenem nördlichen Staate die Nachricht vom Hintritt des regierenden Fürsten, vom Regierungsantritt des Erbprinzen und einem zugleich damit eingetretenen großen Systemwechsel, wobei die neuen Ernennungen, sowohl in geistlichen als weltlichen Aemtern, dem Pfarrer sogleich klar machten, daß jetzt oder nie die Anweisung auf die Zukunft, wenn er sie richtig verstanden habe, sich verwirklichen müsse. Während er aber stündlich auf eine Vocation wartete, kam ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/55
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/55>, abgerufen am 23.11.2024.