Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.daß er sie Kunigunde taufte, bloß um das Spottlied "Eduard und Kunigunde" in seiner Familie verkörpert zu besitzen. Die Hoffnung, seinen Anfangsdienst mit einem besseren zu vertauschen, schlug zu wiederholten Malen fehl, so daß er ihr zuletzt entsagte. Finsterer Mißmuth bemächtigte sich seiner Seele, er zerfiel mit der ganzen Welt wie mit sich selbst, die Quellen seines Gemüths versiegten. Innerlich versauert, äußerlich verbauert, hatte er nur seinen Humor noch übrig behalten, der aber über der Vergleichung einstiger Lebensaussichten und jetzigen Entbehrens bis zur Ungenießbarkeit herb geworden war. Wenn die physiologische Lehre Grund hat, daß von dem, was der Mensch zu sich nimmt, seine geistigen Ausflüsse bis zu einem nicht unbedeutenden Grade bedingt sind, so kann uns diese Ungenießbarkeit nicht Wunder nehmen. Der Pfarrer von Y . . . burg pflegte sich sein Bier selbst zu brauen. Er verwendete hiezu den schlechtesten Theil vom Fruchtzehnten, nämlich eine mit Schwindelhafer sehr reichlich vermischte magere Gerste, die ihm seine Frau gerne überließ, weil die Kinder schon mehrmals davon erkrankt waren, und statt des Hopfens nahm er die Spitzen von Weidenschößlingen. Diesen Trank, dem es weder an Narkose noch an Bitterkeit gebrach, nannte er mit schneidendem Hohne, auf die Worte des Tacitus anspielend, welchem das Bier der Deutschen ein "humor in quandam si- daß er sie Kunigunde taufte, bloß um das Spottlied „Eduard und Kunigunde“ in seiner Familie verkörpert zu besitzen. Die Hoffnung, seinen Anfangsdienst mit einem besseren zu vertauschen, schlug zu wiederholten Malen fehl, so daß er ihr zuletzt entsagte. Finsterer Mißmuth bemächtigte sich seiner Seele, er zerfiel mit der ganzen Welt wie mit sich selbst, die Quellen seines Gemüths versiegten. Innerlich versauert, äußerlich verbauert, hatte er nur seinen Humor noch übrig behalten, der aber über der Vergleichung einstiger Lebensaussichten und jetzigen Entbehrens bis zur Ungenießbarkeit herb geworden war. Wenn die physiologische Lehre Grund hat, daß von dem, was der Mensch zu sich nimmt, seine geistigen Ausflüsse bis zu einem nicht unbedeutenden Grade bedingt sind, so kann uns diese Ungenießbarkeit nicht Wunder nehmen. Der Pfarrer von Y . . . burg pflegte sich sein Bier selbst zu brauen. Er verwendete hiezu den schlechtesten Theil vom Fruchtzehnten, nämlich eine mit Schwindelhafer sehr reichlich vermischte magere Gerste, die ihm seine Frau gerne überließ, weil die Kinder schon mehrmals davon erkrankt waren, und statt des Hopfens nahm er die Spitzen von Weidenschößlingen. Diesen Trank, dem es weder an Narkose noch an Bitterkeit gebrach, nannte er mit schneidendem Hohne, auf die Worte des Tacitus anspielend, welchem das Bier der Deutschen ein „humor in quandam si- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0047"/> daß er sie Kunigunde taufte, bloß um das Spottlied „Eduard und Kunigunde“ in seiner Familie verkörpert zu besitzen.</p><lb/> <p>Die Hoffnung, seinen Anfangsdienst mit einem besseren zu vertauschen, schlug zu wiederholten Malen fehl, so daß er ihr zuletzt entsagte. Finsterer Mißmuth bemächtigte sich seiner Seele, er zerfiel mit der ganzen Welt wie mit sich selbst, die Quellen seines Gemüths versiegten. Innerlich versauert, äußerlich verbauert, hatte er nur seinen Humor noch übrig behalten, der aber über der Vergleichung einstiger Lebensaussichten und jetzigen Entbehrens bis zur Ungenießbarkeit herb geworden war.</p><lb/> <p>Wenn die physiologische Lehre Grund hat, daß von dem, was der Mensch zu sich nimmt, seine geistigen Ausflüsse bis zu einem nicht unbedeutenden Grade bedingt sind, so kann uns diese Ungenießbarkeit nicht Wunder nehmen. Der Pfarrer von Y . . . burg pflegte sich sein Bier selbst zu brauen. Er verwendete hiezu den schlechtesten Theil vom Fruchtzehnten, nämlich eine mit Schwindelhafer sehr reichlich vermischte magere Gerste, die ihm seine Frau gerne überließ, weil die Kinder schon mehrmals davon erkrankt waren, und statt des Hopfens nahm er die Spitzen von Weidenschößlingen. Diesen Trank, dem es weder an Narkose noch an Bitterkeit gebrach, nannte er mit schneidendem Hohne, auf die Worte des Tacitus anspielend, welchem das Bier der Deutschen ein „humor in quandam si-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
daß er sie Kunigunde taufte, bloß um das Spottlied „Eduard und Kunigunde“ in seiner Familie verkörpert zu besitzen.
Die Hoffnung, seinen Anfangsdienst mit einem besseren zu vertauschen, schlug zu wiederholten Malen fehl, so daß er ihr zuletzt entsagte. Finsterer Mißmuth bemächtigte sich seiner Seele, er zerfiel mit der ganzen Welt wie mit sich selbst, die Quellen seines Gemüths versiegten. Innerlich versauert, äußerlich verbauert, hatte er nur seinen Humor noch übrig behalten, der aber über der Vergleichung einstiger Lebensaussichten und jetzigen Entbehrens bis zur Ungenießbarkeit herb geworden war.
Wenn die physiologische Lehre Grund hat, daß von dem, was der Mensch zu sich nimmt, seine geistigen Ausflüsse bis zu einem nicht unbedeutenden Grade bedingt sind, so kann uns diese Ungenießbarkeit nicht Wunder nehmen. Der Pfarrer von Y . . . burg pflegte sich sein Bier selbst zu brauen. Er verwendete hiezu den schlechtesten Theil vom Fruchtzehnten, nämlich eine mit Schwindelhafer sehr reichlich vermischte magere Gerste, die ihm seine Frau gerne überließ, weil die Kinder schon mehrmals davon erkrankt waren, und statt des Hopfens nahm er die Spitzen von Weidenschößlingen. Diesen Trank, dem es weder an Narkose noch an Bitterkeit gebrach, nannte er mit schneidendem Hohne, auf die Worte des Tacitus anspielend, welchem das Bier der Deutschen ein „humor in quandam si-
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