Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Unwissenheit nicht verdrießen und belehre mich!" -- alsdann ist gewiß auch die Frage dieses oder jenes freundlichen Lesers nach dem Was und Wo des Landexamens eine wohl aufzuwerfende. Das Wo nun haben wir bereits geographisch angedeutet; und wenn wir in Beantwortung des Was hinzufügen, daß selbst von des belobten Landes Landrecht eine unverwerfliche Autorität gesagt hat, selbiges sei "auf den Decalogum gebaut", das will sagen, auf die mosaischen zehn Gebote: so dürfte der Einsichtige leicht ermessen, wo es mit dem Landexamen hinaus will, oder vielmehr wo hinein. Nämlich ins Kloster. Man hatte allhierlands vor dreihundert Jahren zwar, wie man sich rühmte, den alten Sauerteig gründlich und reinlich ausgefegt, aber Klöster und Kutten hatte man belassen, nur daß jetzt in den Kutten und den Klöstern junge lutherische Mönchlein staken. Der Geist (oder der Zahn?) der Zeit sorgte dafür, daß unter diesen Kuttenträgern dereinst Namen wie Magister Hegel, Magister Hölderlin, Magister Schelling aufblühten (die Ordnung war beim Eintritt alphabetisch); und bekanntlich wäre auch der junge Schiller in die heilige Schaar eingetreten, hätte nicht sein Herzog jene Vorsehung über ihm gemacht, welche schließlich das Nachsehen haben sollte. Zu der Zeit, worin unsere Begebenheiten spielen, war die Kutte unlängst dem Schwarzrock gewichen, jedoch vorerst noch dem Schwarzrock von der stricten Observanz; der gleichwohl Manchem gar weich und Unwissenheit nicht verdrießen und belehre mich!“ — alsdann ist gewiß auch die Frage dieses oder jenes freundlichen Lesers nach dem Was und Wo des Landexamens eine wohl aufzuwerfende. Das Wo nun haben wir bereits geographisch angedeutet; und wenn wir in Beantwortung des Was hinzufügen, daß selbst von des belobten Landes Landrecht eine unverwerfliche Autorität gesagt hat, selbiges sei „auf den Decalogum gebaut“, das will sagen, auf die mosaischen zehn Gebote: so dürfte der Einsichtige leicht ermessen, wo es mit dem Landexamen hinaus will, oder vielmehr wo hinein. Nämlich ins Kloster. Man hatte allhierlands vor dreihundert Jahren zwar, wie man sich rühmte, den alten Sauerteig gründlich und reinlich ausgefegt, aber Klöster und Kutten hatte man belassen, nur daß jetzt in den Kutten und den Klöstern junge lutherische Mönchlein staken. Der Geist (oder der Zahn?) der Zeit sorgte dafür, daß unter diesen Kuttenträgern dereinst Namen wie Magister Hegel, Magister Hölderlin, Magister Schelling aufblühten (die Ordnung war beim Eintritt alphabetisch); und bekanntlich wäre auch der junge Schiller in die heilige Schaar eingetreten, hätte nicht sein Herzog jene Vorsehung über ihm gemacht, welche schließlich das Nachsehen haben sollte. Zu der Zeit, worin unsere Begebenheiten spielen, war die Kutte unlängst dem Schwarzrock gewichen, jedoch vorerst noch dem Schwarzrock von der stricten Observanz; der gleichwohl Manchem gar weich und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0042"/> Unwissenheit nicht verdrießen und belehre mich!“ — alsdann ist gewiß auch die Frage dieses oder jenes freundlichen Lesers nach dem Was und Wo des Landexamens eine wohl aufzuwerfende. Das Wo nun haben wir bereits geographisch angedeutet; und wenn wir in Beantwortung des Was hinzufügen, daß selbst von des belobten Landes Landrecht eine unverwerfliche Autorität gesagt hat, selbiges sei „auf den Decalogum gebaut“, das will sagen, auf die mosaischen zehn Gebote: so dürfte der Einsichtige leicht ermessen, wo es mit dem Landexamen hinaus will, oder vielmehr wo hinein. Nämlich ins Kloster. Man hatte allhierlands vor dreihundert Jahren zwar, wie man sich rühmte, den alten Sauerteig gründlich und reinlich ausgefegt, aber Klöster und Kutten hatte man belassen, nur daß jetzt in den Kutten und den Klöstern junge lutherische Mönchlein staken. Der Geist (oder der Zahn?) der Zeit sorgte dafür, daß unter diesen Kuttenträgern dereinst Namen wie Magister Hegel, Magister Hölderlin, Magister Schelling aufblühten (die Ordnung war beim Eintritt alphabetisch); und bekanntlich wäre auch der junge Schiller in die heilige Schaar eingetreten, hätte nicht sein Herzog jene Vorsehung über ihm gemacht, welche schließlich das Nachsehen haben sollte. Zu der Zeit, worin unsere Begebenheiten spielen, war die Kutte unlängst dem Schwarzrock gewichen, jedoch vorerst noch dem Schwarzrock von der stricten Observanz; der gleichwohl Manchem gar weich und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
Unwissenheit nicht verdrießen und belehre mich!“ — alsdann ist gewiß auch die Frage dieses oder jenes freundlichen Lesers nach dem Was und Wo des Landexamens eine wohl aufzuwerfende. Das Wo nun haben wir bereits geographisch angedeutet; und wenn wir in Beantwortung des Was hinzufügen, daß selbst von des belobten Landes Landrecht eine unverwerfliche Autorität gesagt hat, selbiges sei „auf den Decalogum gebaut“, das will sagen, auf die mosaischen zehn Gebote: so dürfte der Einsichtige leicht ermessen, wo es mit dem Landexamen hinaus will, oder vielmehr wo hinein. Nämlich ins Kloster. Man hatte allhierlands vor dreihundert Jahren zwar, wie man sich rühmte, den alten Sauerteig gründlich und reinlich ausgefegt, aber Klöster und Kutten hatte man belassen, nur daß jetzt in den Kutten und den Klöstern junge lutherische Mönchlein staken. Der Geist (oder der Zahn?) der Zeit sorgte dafür, daß unter diesen Kuttenträgern dereinst Namen wie Magister Hegel, Magister Hölderlin, Magister Schelling aufblühten (die Ordnung war beim Eintritt alphabetisch); und bekanntlich wäre auch der junge Schiller in die heilige Schaar eingetreten, hätte nicht sein Herzog jene Vorsehung über ihm gemacht, welche schließlich das Nachsehen haben sollte. Zu der Zeit, worin unsere Begebenheiten spielen, war die Kutte unlängst dem Schwarzrock gewichen, jedoch vorerst noch dem Schwarzrock von der stricten Observanz; der gleichwohl Manchem gar weich und
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Zitationshilfe: | Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/42>, abgerufen am 17.02.2025. |