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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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helm lehnte schwermüthig wieder in seiner Ecke. Er gedachte der arithmetischen Genauigkeit seines Freundes, und bange Ahnungen erfüllten seine treue Seele. Ob sein Vater die Erscheinung gleichfalls gesehen habe, wußte er nicht und hielt es jedenfalls für gerathener, mit ihm nichts darüber zu reden.

Jetzt bog der Wagen nach Osten auf die kleinere Straße ab, die sich den heimischen Bergen näherte.

Der Pfarrer von A . . . berg hatte sich bis gestern Abend unausgesetzt darauf gefreut, auf der Rückreise wo möglich das vielbesprochene Felsengesicht zu beaugenscheinigen. Der Moment war jetzt gekommen, die Witterung konnte nicht günstiger sein. Instinctmäßig griff er in die Wagentasche, in welcher sich sein Butzengeiger befand, und holte denselben hervor. Kaum aber hatte er ihn erblickt, als sein Aussehen sich veränderte. Er wurde roth und blaß, ein Schauer überlief ihn, die Erinnerung schien mit tausend Freuden und Qualen in ihm aufzugehen, er steckte das Fernrohr wieder an seinen Ort und legte sich mit einem tiefen Seufzer in die Wagenecke zurück.

Er hat das Felsengesicht, die vornehmste Merkwürdigkeit seiner Gegend, in diesem Leben nicht mit Augen gesehen! Er mußte sich mit dem bloßen, ungeformten Material begnügen, das ihm von der künstlerischen Bearbeitung durch die Ferne keinen Begriff gab, und mit einer Beschreibung vorlieb nehmen, an

helm lehnte schwermüthig wieder in seiner Ecke. Er gedachte der arithmetischen Genauigkeit seines Freundes, und bange Ahnungen erfüllten seine treue Seele. Ob sein Vater die Erscheinung gleichfalls gesehen habe, wußte er nicht und hielt es jedenfalls für gerathener, mit ihm nichts darüber zu reden.

Jetzt bog der Wagen nach Osten auf die kleinere Straße ab, die sich den heimischen Bergen näherte.

Der Pfarrer von A . . . berg hatte sich bis gestern Abend unausgesetzt darauf gefreut, auf der Rückreise wo möglich das vielbesprochene Felsengesicht zu beaugenscheinigen. Der Moment war jetzt gekommen, die Witterung konnte nicht günstiger sein. Instinctmäßig griff er in die Wagentasche, in welcher sich sein Butzengeiger befand, und holte denselben hervor. Kaum aber hatte er ihn erblickt, als sein Aussehen sich veränderte. Er wurde roth und blaß, ein Schauer überlief ihn, die Erinnerung schien mit tausend Freuden und Qualen in ihm aufzugehen, er steckte das Fernrohr wieder an seinen Ort und legte sich mit einem tiefen Seufzer in die Wagenecke zurück.

Er hat das Felsengesicht, die vornehmste Merkwürdigkeit seiner Gegend, in diesem Leben nicht mit Augen gesehen! Er mußte sich mit dem bloßen, ungeformten Material begnügen, das ihm von der künstlerischen Bearbeitung durch die Ferne keinen Begriff gab, und mit einer Beschreibung vorlieb nehmen, an

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[0123] helm lehnte schwermüthig wieder in seiner Ecke. Er gedachte der arithmetischen Genauigkeit seines Freundes, und bange Ahnungen erfüllten seine treue Seele. Ob sein Vater die Erscheinung gleichfalls gesehen habe, wußte er nicht und hielt es jedenfalls für gerathener, mit ihm nichts darüber zu reden. Jetzt bog der Wagen nach Osten auf die kleinere Straße ab, die sich den heimischen Bergen näherte. Der Pfarrer von A . . . berg hatte sich bis gestern Abend unausgesetzt darauf gefreut, auf der Rückreise wo möglich das vielbesprochene Felsengesicht zu beaugenscheinigen. Der Moment war jetzt gekommen, die Witterung konnte nicht günstiger sein. Instinctmäßig griff er in die Wagentasche, in welcher sich sein Butzengeiger befand, und holte denselben hervor. Kaum aber hatte er ihn erblickt, als sein Aussehen sich veränderte. Er wurde roth und blaß, ein Schauer überlief ihn, die Erinnerung schien mit tausend Freuden und Qualen in ihm aufzugehen, er steckte das Fernrohr wieder an seinen Ort und legte sich mit einem tiefen Seufzer in die Wagenecke zurück. Er hat das Felsengesicht, die vornehmste Merkwürdigkeit seiner Gegend, in diesem Leben nicht mit Augen gesehen! Er mußte sich mit dem bloßen, ungeformten Material begnügen, das ihm von der künstlerischen Bearbeitung durch die Ferne keinen Begriff gab, und mit einer Beschreibung vorlieb nehmen, an

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/123>, abgerufen am 24.11.2024.