Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Grundsätzen -- fügte er mit erhobener Stimme hinzu --, wenn zum Beispiel ein solcher Patriot, zufällig kein griechischer, dem Feinde seines Volkes, oder wen er just dafür hält, den Dolch bona fide für Freiheit und Vaterland in die Brust stößt, dürfen wir ihn in den Köpfstuhl des gemeinen Mörders setzen? Er hatte die letzten Worte gegen den Justizmann gerichtet, dem er ohnehin seine Interpellation von vorhin nachtrug, und blickte nun triumphirend um sich her. Diese eben so behutsame als boshafte Nutzanwendung brachte ein peinliches Stillschweigen hervor. Der Schatten einer verhängnißvollen That, die eben noch in der frischesten Wirkung stand, schwebte drückend über der Gesellschaft, und Keiner konnte etwas sagen, ohne sich nach der einen oder andern Seite hin zu compromittiren. Allein gerade das hatte der Menschenfeind beabsichtigt. Ein gesinnungsloser Widersacher der edlen Griechenbegeisterung -- sei es nun aus Zerwürfniß mit den classischen Studien, sei es weil diese Begeisterung denen, die sie ausübten, nicht so gefährlich war, wie seine Mißgunst wünschen mochte, sei es aus bloßer Bosheit überhaupt -- hatte er künstlich, ja man darf wohl sagen gewaltsam, auf die Frage vom politischen Meuchelmorde zu lavirt, nur um die Gesellschaft durch schadenfrohe Consequenzenzieherei in Verlegenheit zu bringen. Grundsätzen — fügte er mit erhobener Stimme hinzu —, wenn zum Beispiel ein solcher Patriot, zufällig kein griechischer, dem Feinde seines Volkes, oder wen er just dafür hält, den Dolch bona fide für Freiheit und Vaterland in die Brust stößt, dürfen wir ihn in den Köpfstuhl des gemeinen Mörders setzen? Er hatte die letzten Worte gegen den Justizmann gerichtet, dem er ohnehin seine Interpellation von vorhin nachtrug, und blickte nun triumphirend um sich her. Diese eben so behutsame als boshafte Nutzanwendung brachte ein peinliches Stillschweigen hervor. Der Schatten einer verhängnißvollen That, die eben noch in der frischesten Wirkung stand, schwebte drückend über der Gesellschaft, und Keiner konnte etwas sagen, ohne sich nach der einen oder andern Seite hin zu compromittiren. Allein gerade das hatte der Menschenfeind beabsichtigt. Ein gesinnungsloser Widersacher der edlen Griechenbegeisterung — sei es nun aus Zerwürfniß mit den classischen Studien, sei es weil diese Begeisterung denen, die sie ausübten, nicht so gefährlich war, wie seine Mißgunst wünschen mochte, sei es aus bloßer Bosheit überhaupt — hatte er künstlich, ja man darf wohl sagen gewaltsam, auf die Frage vom politischen Meuchelmorde zu lavirt, nur um die Gesellschaft durch schadenfrohe Consequenzenzieherei in Verlegenheit zu bringen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0110"/> Grundsätzen — fügte er mit erhobener Stimme hinzu —, wenn zum Beispiel ein solcher Patriot, zufällig kein griechischer, dem Feinde seines Volkes, oder wen er just dafür hält, den Dolch bona fide für Freiheit und Vaterland in die Brust stößt, dürfen wir ihn in den Köpfstuhl des gemeinen Mörders setzen?</p><lb/> <p>Er hatte die letzten Worte gegen den Justizmann gerichtet, dem er ohnehin seine Interpellation von vorhin nachtrug, und blickte nun triumphirend um sich her.</p><lb/> <p>Diese eben so behutsame als boshafte Nutzanwendung brachte ein peinliches Stillschweigen hervor. Der Schatten einer verhängnißvollen That, die eben noch in der frischesten Wirkung stand, schwebte drückend über der Gesellschaft, und Keiner konnte etwas sagen, ohne sich nach der einen oder andern Seite hin zu compromittiren. Allein gerade das hatte der Menschenfeind beabsichtigt. Ein gesinnungsloser Widersacher der edlen Griechenbegeisterung — sei es nun aus Zerwürfniß mit den classischen Studien, sei es weil diese Begeisterung denen, die sie ausübten, nicht so gefährlich war, wie seine Mißgunst wünschen mochte, sei es aus bloßer Bosheit überhaupt — hatte er künstlich, ja man darf wohl sagen gewaltsam, auf die Frage vom politischen Meuchelmorde zu lavirt, nur um die Gesellschaft durch schadenfrohe Consequenzenzieherei in Verlegenheit zu bringen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Grundsätzen — fügte er mit erhobener Stimme hinzu —, wenn zum Beispiel ein solcher Patriot, zufällig kein griechischer, dem Feinde seines Volkes, oder wen er just dafür hält, den Dolch bona fide für Freiheit und Vaterland in die Brust stößt, dürfen wir ihn in den Köpfstuhl des gemeinen Mörders setzen?
Er hatte die letzten Worte gegen den Justizmann gerichtet, dem er ohnehin seine Interpellation von vorhin nachtrug, und blickte nun triumphirend um sich her.
Diese eben so behutsame als boshafte Nutzanwendung brachte ein peinliches Stillschweigen hervor. Der Schatten einer verhängnißvollen That, die eben noch in der frischesten Wirkung stand, schwebte drückend über der Gesellschaft, und Keiner konnte etwas sagen, ohne sich nach der einen oder andern Seite hin zu compromittiren. Allein gerade das hatte der Menschenfeind beabsichtigt. Ein gesinnungsloser Widersacher der edlen Griechenbegeisterung — sei es nun aus Zerwürfniß mit den classischen Studien, sei es weil diese Begeisterung denen, die sie ausübten, nicht so gefährlich war, wie seine Mißgunst wünschen mochte, sei es aus bloßer Bosheit überhaupt — hatte er künstlich, ja man darf wohl sagen gewaltsam, auf die Frage vom politischen Meuchelmorde zu lavirt, nur um die Gesellschaft durch schadenfrohe Consequenzenzieherei in Verlegenheit zu bringen.
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Zitationshilfe: | Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/110>, abgerufen am 17.07.2024. |