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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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andern Sinnes zu machen, bevor er sich unwiderruflich gebunden
hätte. Allein der Sonnenwirth berührte den Gegenstand nicht mehr,
weil er nach seiner Sinnesart nicht daran dachte, daß es seinem
Sohne mit dieser Liebschaft Ernst sei, und diesem fehlte immer noch
die Hauptbedingung, die ihm die Zunge lösen konnte, nämlich das
Jawort des Mädchens, das er liebte. Er hatte von der Erlaubniß,
nach seinem Lamm zu sehen, möglichst fleißigen Gebrauch gemacht, er
hatte Christinen durch Vermittlung ihrer Brüder, denen er das Geld
dazu gab, in den Lichtkarz und auf den Tanzboden gebracht, er hatte
keine Gelegenheit versäumt, mit ihr zusammen zu treffen, aber seine
Wünsche waren noch weit von ihrem Ziel. Beim Heimgehen von
einem Tanze, wo er sie begleitete und eine Strecke hinter ihren Brü¬
dern blieb, flüsterte er ihr alles Liebe und Schmeichelnde zu, was ihm
sein Herz zu dieser Stunde eingab; sie ging still und vor sich blickend
neben ihm her, und als er heftig betheuerte er müsse noch ihr Schatz
werden, er thue es nicht anders, oder er gehe weit fort nach Amerika,
antwortete sie lachend: Mein Schatz, das kannst du schon sein, aber
damit bin ich der deine noch nicht; nach Amerika mußt aber nicht ge¬
hen, denn da geht Niemand hin, der was Recht's ist. Mit einem
Sprung war sie bei ihren Brüdern und neckte ihn, daß er so langsam
nachkomme. Wie sie ihm aber an ihrem Hause gute Nacht sagte,
traf sie ihn wieder mit einem Blicke, wovon ihm das Herz wirbelte.
So hielt sie ihn und ließ ihn doch nicht näher kommen. Wenn sie
allein mit ihm war, benahm sie sich scheu, und vor den Leuten war
sie schnippisch gegen ihn. Er sagte sich, daß sie als ein armes Mäd¬
chen gegen ihn, den Sohn wohlhabender Leute, die sie nicht mit gün¬
stigen Augen ansehen würden, doppelt auf ihre Freiheit zu halten
berechtigt sei; deßhalb ertrug er ihr Wesen mit ungewohnter Geduld
und begnügte sich mit der halben Gunst, daß sie unter vier Augen
Du zu ihm sagte. Wenn er bei einer solchen Gelegenheit einen Kuß
begehrte, so konnte sie ihm den Bescheid geben: Ich will mich noch
besinnen, bleibenlassen ist gut dafür. Wurde er dringender, so sagte
sie: Soll ich mich zu meinem Schafknecht so heruntergeben? und
entsprang ihm lachend. Ihre Augen aber fuhren fort das Gegentheil
von ihren Worten zu reden, und dies gab ihm wieder Zuver¬
sichtlichkeit, die sie zu beleidigen und zu nur um so übermüthigeren

andern Sinnes zu machen, bevor er ſich unwiderruflich gebunden
hätte. Allein der Sonnenwirth berührte den Gegenſtand nicht mehr,
weil er nach ſeiner Sinnesart nicht daran dachte, daß es ſeinem
Sohne mit dieſer Liebſchaft Ernſt ſei, und dieſem fehlte immer noch
die Hauptbedingung, die ihm die Zunge löſen konnte, nämlich das
Jawort des Mädchens, das er liebte. Er hatte von der Erlaubniß,
nach ſeinem Lamm zu ſehen, möglichſt fleißigen Gebrauch gemacht, er
hatte Chriſtinen durch Vermittlung ihrer Brüder, denen er das Geld
dazu gab, in den Lichtkarz und auf den Tanzboden gebracht, er hatte
keine Gelegenheit verſäumt, mit ihr zuſammen zu treffen, aber ſeine
Wünſche waren noch weit von ihrem Ziel. Beim Heimgehen von
einem Tanze, wo er ſie begleitete und eine Strecke hinter ihren Brü¬
dern blieb, flüſterte er ihr alles Liebe und Schmeichelnde zu, was ihm
ſein Herz zu dieſer Stunde eingab; ſie ging ſtill und vor ſich blickend
neben ihm her, und als er heftig betheuerte er müſſe noch ihr Schatz
werden, er thue es nicht anders, oder er gehe weit fort nach Amerika,
antwortete ſie lachend: Mein Schatz, das kannſt du ſchon ſein, aber
damit bin ich der deine noch nicht; nach Amerika mußt aber nicht ge¬
hen, denn da geht Niemand hin, der was Recht's iſt. Mit einem
Sprung war ſie bei ihren Brüdern und neckte ihn, daß er ſo langſam
nachkomme. Wie ſie ihm aber an ihrem Hauſe gute Nacht ſagte,
traf ſie ihn wieder mit einem Blicke, wovon ihm das Herz wirbelte.
So hielt ſie ihn und ließ ihn doch nicht näher kommen. Wenn ſie
allein mit ihm war, benahm ſie ſich ſcheu, und vor den Leuten war
ſie ſchnippiſch gegen ihn. Er ſagte ſich, daß ſie als ein armes Mäd¬
chen gegen ihn, den Sohn wohlhabender Leute, die ſie nicht mit gün¬
ſtigen Augen anſehen würden, doppelt auf ihre Freiheit zu halten
berechtigt ſei; deßhalb ertrug er ihr Weſen mit ungewohnter Geduld
und begnügte ſich mit der halben Gunſt, daß ſie unter vier Augen
Du zu ihm ſagte. Wenn er bei einer ſolchen Gelegenheit einen Kuß
begehrte, ſo konnte ſie ihm den Beſcheid geben: Ich will mich noch
beſinnen, bleibenlaſſen iſt gut dafür. Wurde er dringender, ſo ſagte
ſie: Soll ich mich zu meinem Schafknecht ſo heruntergeben? und
entſprang ihm lachend. Ihre Augen aber fuhren fort das Gegentheil
von ihren Worten zu reden, und dies gab ihm wieder Zuver¬
ſichtlichkeit, die ſie zu beleidigen und zu nur um ſo übermüthigeren

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[79/0095] andern Sinnes zu machen, bevor er ſich unwiderruflich gebunden hätte. Allein der Sonnenwirth berührte den Gegenſtand nicht mehr, weil er nach ſeiner Sinnesart nicht daran dachte, daß es ſeinem Sohne mit dieſer Liebſchaft Ernſt ſei, und dieſem fehlte immer noch die Hauptbedingung, die ihm die Zunge löſen konnte, nämlich das Jawort des Mädchens, das er liebte. Er hatte von der Erlaubniß, nach ſeinem Lamm zu ſehen, möglichſt fleißigen Gebrauch gemacht, er hatte Chriſtinen durch Vermittlung ihrer Brüder, denen er das Geld dazu gab, in den Lichtkarz und auf den Tanzboden gebracht, er hatte keine Gelegenheit verſäumt, mit ihr zuſammen zu treffen, aber ſeine Wünſche waren noch weit von ihrem Ziel. Beim Heimgehen von einem Tanze, wo er ſie begleitete und eine Strecke hinter ihren Brü¬ dern blieb, flüſterte er ihr alles Liebe und Schmeichelnde zu, was ihm ſein Herz zu dieſer Stunde eingab; ſie ging ſtill und vor ſich blickend neben ihm her, und als er heftig betheuerte er müſſe noch ihr Schatz werden, er thue es nicht anders, oder er gehe weit fort nach Amerika, antwortete ſie lachend: Mein Schatz, das kannſt du ſchon ſein, aber damit bin ich der deine noch nicht; nach Amerika mußt aber nicht ge¬ hen, denn da geht Niemand hin, der was Recht's iſt. Mit einem Sprung war ſie bei ihren Brüdern und neckte ihn, daß er ſo langſam nachkomme. Wie ſie ihm aber an ihrem Hauſe gute Nacht ſagte, traf ſie ihn wieder mit einem Blicke, wovon ihm das Herz wirbelte. So hielt ſie ihn und ließ ihn doch nicht näher kommen. Wenn ſie allein mit ihm war, benahm ſie ſich ſcheu, und vor den Leuten war ſie ſchnippiſch gegen ihn. Er ſagte ſich, daß ſie als ein armes Mäd¬ chen gegen ihn, den Sohn wohlhabender Leute, die ſie nicht mit gün¬ ſtigen Augen anſehen würden, doppelt auf ihre Freiheit zu halten berechtigt ſei; deßhalb ertrug er ihr Weſen mit ungewohnter Geduld und begnügte ſich mit der halben Gunſt, daß ſie unter vier Augen Du zu ihm ſagte. Wenn er bei einer ſolchen Gelegenheit einen Kuß begehrte, ſo konnte ſie ihm den Beſcheid geben: Ich will mich noch beſinnen, bleibenlaſſen iſt gut dafür. Wurde er dringender, ſo ſagte ſie: Soll ich mich zu meinem Schafknecht ſo heruntergeben? und entſprang ihm lachend. Ihre Augen aber fuhren fort das Gegentheil von ihren Worten zu reden, und dies gab ihm wieder Zuver¬ ſichtlichkeit, die ſie zu beleidigen und zu nur um ſo übermüthigeren

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/95>, abgerufen am 23.11.2024.