Schweigen und Trutzen veranlaßte ihn, sie geradezu zu fragen, ob sie denn etwas von der Verleumdung glaube; worauf sie seufzend erwi¬ derte, sie stelle die Sache Gott anheim, der in's Verborgene sehe. Auf diese Weise wußte sie jedem unmittelbaren Wortwechsel auszuwei¬ chen, quälte aber ihren Mann theils durch finsteres Stillschweigen, theils durch abgebrochene Redensarten, die ihn von weitem her trafen und wehrlos stachen, weil er sie nach dem Wortlaut nicht auf sich beziehen mußte, und doch dem Sinne nach auf niemand Anderes beziehen konnte. So erzählte sie ihm spöttisch, sein Sohn habe auch wieder einmal einen kleinen Verdruß gehabt, es sei nur Schade, daß die Sache werde weltlich vom Amt allein abgemacht werden, denn wenn sie geistlich gerichtet würde, so könnte man immerhin hoffen, daß die Conventsherren ein Einse¬ hen haben würden von wegen der Süßigkeit des Honigs; dann schimpfte sie auf den Hirschbauer und seinen Sohn, und bemerkte da¬ bei, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamme, es sei gemeiniglich einer so lüderlich wie der andere! Durch dieses Betragen, bei welchem die Leidenschaft ihr Salz dumm gemacht hatte, trieb sie den Vater auf die Seite des Sohnes und versäuerte ihm die Neigung, gegen etwaige Irrgänge desselben einzuschreiten. Friedrich hatte in dieser Widerwärtigkeit von Anfang an fest die Partei seines Vaters genom¬ men. Zu Hause schwieg er über den kitzlichen Gegenstand, wie Jeder¬ mann dort darüber schwieg. Auswärts aber wachte er über jedes Wort, das die Leute redeten, und wehe dem, der sich die geringste Anspielung erlaubte! Die Ohrfeigen und Püffe, die er, oft nur im Vorübergehen auf der Straße, austheilte, wurden sprichwörtlich; denn sein Eifer bedachte auch manchen Unschuldigen, der mit seiner Rede etwas ganz Anderes gemeint hatte. Durch diese beständige Kriegsbe¬ reitschaft wurde die Zahl seiner Freunde nicht vermehrt. Sein Vater aber schien ihm, ohne jedoch viel mit Worten merken zu lassen, so gewogen, daß Friedrich oft dachte, er könne kaum eine günstigere Zeit finden, um sich die väterliche Einwilligung zur Heirath mit der Toch¬ ter des Hirschbauers zu erbitten.
Vielleicht wäre sie ihm zu Theil geworden und hätte den Wildbach seines Schicksals in ein fortan friedliches Bette geleitet. Doch wer kann dies sagen? Vielleicht wäre es auch dem Vater in dieser milden Stimmung gelungen, den Sohn, der guten Worten so zugänglich war,
Schweigen und Trutzen veranlaßte ihn, ſie geradezu zu fragen, ob ſie denn etwas von der Verleumdung glaube; worauf ſie ſeufzend erwi¬ derte, ſie ſtelle die Sache Gott anheim, der in's Verborgene ſehe. Auf dieſe Weiſe wußte ſie jedem unmittelbaren Wortwechſel auszuwei¬ chen, quälte aber ihren Mann theils durch finſteres Stillſchweigen, theils durch abgebrochene Redensarten, die ihn von weitem her trafen und wehrlos ſtachen, weil er ſie nach dem Wortlaut nicht auf ſich beziehen mußte, und doch dem Sinne nach auf niemand Anderes beziehen konnte. So erzählte ſie ihm ſpöttiſch, ſein Sohn habe auch wieder einmal einen kleinen Verdruß gehabt, es ſei nur Schade, daß die Sache werde weltlich vom Amt allein abgemacht werden, denn wenn ſie geiſtlich gerichtet würde, ſo könnte man immerhin hoffen, daß die Conventsherren ein Einſe¬ hen haben würden von wegen der Süßigkeit des Honigs; dann ſchimpfte ſie auf den Hirſchbauer und ſeinen Sohn, und bemerkte da¬ bei, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamme, es ſei gemeiniglich einer ſo lüderlich wie der andere! Durch dieſes Betragen, bei welchem die Leidenſchaft ihr Salz dumm gemacht hatte, trieb ſie den Vater auf die Seite des Sohnes und verſäuerte ihm die Neigung, gegen etwaige Irrgänge deſſelben einzuſchreiten. Friedrich hatte in dieſer Widerwärtigkeit von Anfang an feſt die Partei ſeines Vaters genom¬ men. Zu Hauſe ſchwieg er über den kitzlichen Gegenſtand, wie Jeder¬ mann dort darüber ſchwieg. Auswärts aber wachte er über jedes Wort, das die Leute redeten, und wehe dem, der ſich die geringſte Anſpielung erlaubte! Die Ohrfeigen und Püffe, die er, oft nur im Vorübergehen auf der Straße, austheilte, wurden ſprichwörtlich; denn ſein Eifer bedachte auch manchen Unſchuldigen, der mit ſeiner Rede etwas ganz Anderes gemeint hatte. Durch dieſe beſtändige Kriegsbe¬ reitſchaft wurde die Zahl ſeiner Freunde nicht vermehrt. Sein Vater aber ſchien ihm, ohne jedoch viel mit Worten merken zu laſſen, ſo gewogen, daß Friedrich oft dachte, er könne kaum eine günſtigere Zeit finden, um ſich die väterliche Einwilligung zur Heirath mit der Toch¬ ter des Hirſchbauers zu erbitten.
Vielleicht wäre ſie ihm zu Theil geworden und hätte den Wildbach ſeines Schickſals in ein fortan friedliches Bette geleitet. Doch wer kann dies ſagen? Vielleicht wäre es auch dem Vater in dieſer milden Stimmung gelungen, den Sohn, der guten Worten ſo zugänglich war,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="78"/>
Schweigen und Trutzen veranlaßte ihn, ſie geradezu zu fragen, ob ſie<lb/>
denn etwas von der Verleumdung glaube; worauf ſie ſeufzend erwi¬<lb/>
derte, ſie ſtelle die Sache Gott anheim, der in's Verborgene ſehe.<lb/>
Auf dieſe Weiſe wußte ſie jedem unmittelbaren Wortwechſel auszuwei¬<lb/>
chen, quälte aber ihren Mann theils durch finſteres Stillſchweigen,<lb/>
theils durch abgebrochene Redensarten, die ihn von weitem her trafen<lb/>
und wehrlos ſtachen, weil er ſie nach dem Wortlaut nicht auf ſich beziehen<lb/>
mußte, und doch dem Sinne nach auf niemand Anderes beziehen konnte.<lb/>
So erzählte ſie ihm ſpöttiſch, ſein Sohn habe auch wieder einmal einen<lb/>
kleinen Verdruß gehabt, es ſei nur Schade, daß die Sache werde weltlich<lb/>
vom Amt allein abgemacht werden, denn wenn ſie geiſtlich gerichtet würde,<lb/>ſo könnte man immerhin hoffen, daß die Conventsherren ein Einſe¬<lb/>
hen haben würden von wegen der Süßigkeit des Honigs; dann<lb/>ſchimpfte ſie auf den Hirſchbauer und ſeinen Sohn, und bemerkte da¬<lb/>
bei, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamme, es ſei gemeiniglich<lb/>
einer ſo lüderlich wie der andere! Durch dieſes Betragen, bei welchem<lb/>
die Leidenſchaft ihr Salz dumm gemacht hatte, trieb ſie den Vater<lb/>
auf die Seite des Sohnes und verſäuerte ihm die Neigung, gegen<lb/>
etwaige Irrgänge deſſelben einzuſchreiten. Friedrich hatte in dieſer<lb/>
Widerwärtigkeit von Anfang an feſt die Partei ſeines Vaters genom¬<lb/>
men. Zu Hauſe ſchwieg er über den kitzlichen Gegenſtand, wie Jeder¬<lb/>
mann dort darüber ſchwieg. Auswärts aber wachte er über jedes<lb/>
Wort, das die Leute redeten, und wehe dem, der ſich die geringſte<lb/>
Anſpielung erlaubte! Die Ohrfeigen und Püffe, die er, oft nur im<lb/>
Vorübergehen auf der Straße, austheilte, wurden ſprichwörtlich; denn<lb/>ſein Eifer bedachte auch manchen Unſchuldigen, der mit ſeiner Rede<lb/>
etwas ganz Anderes gemeint hatte. Durch dieſe beſtändige Kriegsbe¬<lb/>
reitſchaft wurde die Zahl ſeiner Freunde nicht vermehrt. Sein Vater<lb/>
aber ſchien ihm, ohne jedoch viel mit Worten merken zu laſſen, ſo<lb/>
gewogen, daß Friedrich oft dachte, er könne kaum eine günſtigere Zeit<lb/>
finden, um ſich die väterliche Einwilligung zur Heirath mit der Toch¬<lb/>
ter des Hirſchbauers zu erbitten.</p><lb/><p>Vielleicht wäre ſie ihm zu Theil geworden und hätte den Wildbach<lb/>ſeines Schickſals in ein fortan friedliches Bette geleitet. Doch wer<lb/>
kann dies ſagen? Vielleicht wäre es auch dem Vater in dieſer milden<lb/>
Stimmung gelungen, den Sohn, der guten Worten ſo zugänglich war,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[78/0094]
Schweigen und Trutzen veranlaßte ihn, ſie geradezu zu fragen, ob ſie
denn etwas von der Verleumdung glaube; worauf ſie ſeufzend erwi¬
derte, ſie ſtelle die Sache Gott anheim, der in's Verborgene ſehe.
Auf dieſe Weiſe wußte ſie jedem unmittelbaren Wortwechſel auszuwei¬
chen, quälte aber ihren Mann theils durch finſteres Stillſchweigen,
theils durch abgebrochene Redensarten, die ihn von weitem her trafen
und wehrlos ſtachen, weil er ſie nach dem Wortlaut nicht auf ſich beziehen
mußte, und doch dem Sinne nach auf niemand Anderes beziehen konnte.
So erzählte ſie ihm ſpöttiſch, ſein Sohn habe auch wieder einmal einen
kleinen Verdruß gehabt, es ſei nur Schade, daß die Sache werde weltlich
vom Amt allein abgemacht werden, denn wenn ſie geiſtlich gerichtet würde,
ſo könnte man immerhin hoffen, daß die Conventsherren ein Einſe¬
hen haben würden von wegen der Süßigkeit des Honigs; dann
ſchimpfte ſie auf den Hirſchbauer und ſeinen Sohn, und bemerkte da¬
bei, der Apfel falle eben nicht weit vom Stamme, es ſei gemeiniglich
einer ſo lüderlich wie der andere! Durch dieſes Betragen, bei welchem
die Leidenſchaft ihr Salz dumm gemacht hatte, trieb ſie den Vater
auf die Seite des Sohnes und verſäuerte ihm die Neigung, gegen
etwaige Irrgänge deſſelben einzuſchreiten. Friedrich hatte in dieſer
Widerwärtigkeit von Anfang an feſt die Partei ſeines Vaters genom¬
men. Zu Hauſe ſchwieg er über den kitzlichen Gegenſtand, wie Jeder¬
mann dort darüber ſchwieg. Auswärts aber wachte er über jedes
Wort, das die Leute redeten, und wehe dem, der ſich die geringſte
Anſpielung erlaubte! Die Ohrfeigen und Püffe, die er, oft nur im
Vorübergehen auf der Straße, austheilte, wurden ſprichwörtlich; denn
ſein Eifer bedachte auch manchen Unſchuldigen, der mit ſeiner Rede
etwas ganz Anderes gemeint hatte. Durch dieſe beſtändige Kriegsbe¬
reitſchaft wurde die Zahl ſeiner Freunde nicht vermehrt. Sein Vater
aber ſchien ihm, ohne jedoch viel mit Worten merken zu laſſen, ſo
gewogen, daß Friedrich oft dachte, er könne kaum eine günſtigere Zeit
finden, um ſich die väterliche Einwilligung zur Heirath mit der Toch¬
ter des Hirſchbauers zu erbitten.
Vielleicht wäre ſie ihm zu Theil geworden und hätte den Wildbach
ſeines Schickſals in ein fortan friedliches Bette geleitet. Doch wer
kann dies ſagen? Vielleicht wäre es auch dem Vater in dieſer milden
Stimmung gelungen, den Sohn, der guten Worten ſo zugänglich war,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/94>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.