Das ist keine Kellnerin, entgegnete sie: es ist mein Dötle (Path¬ chen), das mir ein bißle im Haushalt und in der Wirthschaft aushilft.
Wie heiß'st denn, du Herzkäferle? fragte er.
Christine, antwortete das Mädchen mit schüchternem Lächeln und trat einige Schritte von ihm weg, indem sie zugleich jenen hingeben¬ den Blick auf ihn fallen ließ, der ihm schon einmal durch die Seele gedrungen war.
Bist du von hier?
Ja wäger ist sie von hier, sagte die Bäckerin: sie ist ja des Hirsch¬ bauern Tochter.
Daß dich der Strahl! rief er. Ich hätt' geglaubt, ich sollt' Kind und Kegel im Flecken hier kennen. Ja, dort hinaus bin ich freilich in Jahr und Tag nicht kommen.
Arme Leut' sind unwerth, versetzte die Bäckerin, denen läuft Nie¬ mand nach.
O Beckin, redet nicht so! Ihr wißt wohl, daß es mir anders um's Herz ist. Aber, wandte er sich zum Mädchen, wo steckst denn du, du Zuckerstengele, daß ich dich noch kein einzig's Mal in's Aug' ge¬ faßt hab'? Man sollt' dich ja wahrhaftig für eine Fremde halten.
Sie ist nie viel unter die Leut' kommen, antwortete ihre Pathin für sie. Sie ist von Kind auf immer so ein Dürftele gewesen.
Es ist heut' nicht das erst' Mal, sagte Christine leise und freundlich.
Ja, gelt? erwiderte er lebhaft: neulich sind wir einander auch begegnet?
Das ist wiederum nicht das erst' Mal gewesen.
Ja, das Mädle hat Euch noch einen Dank abzustatten von lang her, für etwas, da Euer Herz nicht mehr dran denkt. Geh, erzähl's ihm, Christinele.
Ich nicht! rief das Mädchen und zog sich kichernd hinter den Ofen zurück. Erzählet Ihr's, Dote!
Muß ich das Maul für dich aufthun, du Dichele? sagte diese. Nun also! Ich will anfangen wie man ein Märlein anfängt. Es ist einmal ein klein's Mädle gewesen, hat Bäcklein gehabt wie Milch und Blut, das Spruchbuch hat's unter'm Arm getragen, und ein großer Apfel, so rothbackig wie es selber, der hat ihm aus dem Schürzen¬
Das iſt keine Kellnerin, entgegnete ſie: es iſt mein Dötle (Path¬ chen), das mir ein bißle im Haushalt und in der Wirthſchaft aushilft.
Wie heiß'ſt denn, du Herzkäferle? fragte er.
Chriſtine, antwortete das Mädchen mit ſchüchternem Lächeln und trat einige Schritte von ihm weg, indem ſie zugleich jenen hingeben¬ den Blick auf ihn fallen ließ, der ihm ſchon einmal durch die Seele gedrungen war.
Biſt du von hier?
Ja wäger iſt ſie von hier, ſagte die Bäckerin: ſie iſt ja des Hirſch¬ bauern Tochter.
Daß dich der Strahl! rief er. Ich hätt' geglaubt, ich ſollt' Kind und Kegel im Flecken hier kennen. Ja, dort hinaus bin ich freilich in Jahr und Tag nicht kommen.
Arme Leut' ſind unwerth, verſetzte die Bäckerin, denen läuft Nie¬ mand nach.
O Beckin, redet nicht ſo! Ihr wißt wohl, daß es mir anders um's Herz iſt. Aber, wandte er ſich zum Mädchen, wo ſteckſt denn du, du Zuckerſtengele, daß ich dich noch kein einzig's Mal in's Aug' ge¬ faßt hab'? Man ſollt' dich ja wahrhaftig für eine Fremde halten.
Sie iſt nie viel unter die Leut' kommen, antwortete ihre Pathin für ſie. Sie iſt von Kind auf immer ſo ein Dürftele geweſen.
Es iſt heut' nicht das erſt' Mal, ſagte Chriſtine leiſe und freundlich.
Ja, gelt? erwiderte er lebhaft: neulich ſind wir einander auch begegnet?
Das iſt wiederum nicht das erſt' Mal geweſen.
Ja, das Mädle hat Euch noch einen Dank abzuſtatten von lang her, für etwas, da Euer Herz nicht mehr dran denkt. Geh, erzähl's ihm, Chriſtinele.
Ich nicht! rief das Mädchen und zog ſich kichernd hinter den Ofen zurück. Erzählet Ihr's, Dote!
Muß ich das Maul für dich aufthun, du Dichele? ſagte dieſe. Nun alſo! Ich will anfangen wie man ein Märlein anfängt. Es iſt einmal ein klein's Mädle geweſen, hat Bäcklein gehabt wie Milch und Blut, das Spruchbuch hat's unter'm Arm getragen, und ein großer Apfel, ſo rothbackig wie es ſelber, der hat ihm aus dem Schürzen¬
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Das iſt keine Kellnerin, entgegnete ſie: es iſt mein Dötle (Path¬
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Wie heiß'ſt denn, du Herzkäferle? fragte er.
Chriſtine, antwortete das Mädchen mit ſchüchternem Lächeln und
trat einige Schritte von ihm weg, indem ſie zugleich jenen hingeben¬
den Blick auf ihn fallen ließ, der ihm ſchon einmal durch die Seele
gedrungen war.
Biſt du von hier?
Ja wäger iſt ſie von hier, ſagte die Bäckerin: ſie iſt ja des Hirſch¬
bauern Tochter.
Daß dich der Strahl! rief er. Ich hätt' geglaubt, ich ſollt' Kind
und Kegel im Flecken hier kennen. Ja, dort hinaus bin ich freilich
in Jahr und Tag nicht kommen.
Arme Leut' ſind unwerth, verſetzte die Bäckerin, denen läuft Nie¬
mand nach.
O Beckin, redet nicht ſo! Ihr wißt wohl, daß es mir anders um's
Herz iſt. Aber, wandte er ſich zum Mädchen, wo ſteckſt denn du,
du Zuckerſtengele, daß ich dich noch kein einzig's Mal in's Aug' ge¬
faßt hab'? Man ſollt' dich ja wahrhaftig für eine Fremde halten.
Sie iſt nie viel unter die Leut' kommen, antwortete ihre Pathin
für ſie. Sie iſt von Kind auf immer ſo ein Dürftele geweſen.
Es iſt heut' nicht das erſt' Mal, ſagte Chriſtine leiſe und
freundlich.
Ja, gelt? erwiderte er lebhaft: neulich ſind wir einander auch
begegnet?
Das iſt wiederum nicht das erſt' Mal geweſen.
Ja, das Mädle hat Euch noch einen Dank abzuſtatten von lang
her, für etwas, da Euer Herz nicht mehr dran denkt. Geh, erzähl's
ihm, Chriſtinele.
Ich nicht! rief das Mädchen und zog ſich kichernd hinter den
Ofen zurück. Erzählet Ihr's, Dote!
Muß ich das Maul für dich aufthun, du Dichele? ſagte dieſe.
Nun alſo! Ich will anfangen wie man ein Märlein anfängt. Es iſt
einmal ein klein's Mädle geweſen, hat Bäcklein gehabt wie Milch und
Blut, das Spruchbuch hat's unter'm Arm getragen, und ein großer
Apfel, ſo rothbackig wie es ſelber, der hat ihm aus dem Schürzen¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/78>, abgerufen am 17.02.2025.
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