Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

so manche Verlegenheit ersäuft oder erst recht groß gezogen hat! Sein
Vater war ausgeritten, Ochsen zu kaufen, und wurde erst in später
Nacht zurück erwartet; die Stiefmutter aber stand nicht in so hohem
Ansehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er
erlaubte sich das Nachtessen zu umgehen und besuchte dafür ein Bäcker¬
haus, wo er gerne einzusprechen pflegte.

Die Stube war halbdunkel, als er sie betrat. Auf einem Ofen¬
bänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm schien; die Wärme des
Ofens ließ sich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfin¬
den. Hinter dem erhellten Fenster, das in die Küche ging, bewegte
sich eine Gestalt, die er für die Bäckerin hielt. Duselst, Beck? sagte
er, dem Manne im Vorübergehen einen freundschaftlichen Rippenstoß
versetzend; 'n Schoppen Grillengift, Beckin! rief er dann gegen die
Küche gewendet, und schlug ein paarmal mit der Faust auf den Tisch.
Dann setzte er sich und stützte verdrießlich den Kopf auf die Hand.

Ein Licht wurde gebracht und vor ihn gestellt, ohne daß er den
Kopf erhob. Gleich darauf stellte dieselbe Hand den begehrten Wein
im Schoppenglase vor ihn auf den Tisch. Ohne aufzusehen wurde er
doch der Hand gewahr, die mit dem Glase vor seinen Augen erschien.
Sie hatte, trotzdem daß sie nichts weniger als glatt und geschont aus¬
sah, etwas Zartes; die wohlgedrechselten Fingerchen schlangen sich aller¬
liebst um das Glas, und an die Hand schloß sich ein zierlicher, run¬
der, voller Arm. Ehen wollte er verwundert fragen, wie die beleibte
Bäckersfrau zu so anmuthigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes
feines Stimmchen das in den Wirthshäusern übliche "Wohl bekomm's"
dazu sprach. Er that die Hand von den Augen, sah hin, ließ den
Arm auf den Tisch fallen, hob den Kopf und starrte mit freudigem
Schrecken die Erscheinung an. Es war Niemand andres als das hübsche
Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei seinem unglück¬
lichen Werbungsversuch begegnet war, und das er seitdem nicht aus
dem Sinn verloren hatte.

Ei, sagte er lustig, heut' hätt' ich eigentlich einen schwarzen Strich
in den Kalender machen sollen, jetzt mach' ich aber einen rothen da¬
für. -- Was ist denn das, Beckin? rief er der eintretenden Frau
entgegen. Habt Ihr Euch eine Kellnerin aus dem himmlischen Reich
verschrieben?

ſo manche Verlegenheit erſäuft oder erſt recht groß gezogen hat! Sein
Vater war ausgeritten, Ochſen zu kaufen, und wurde erſt in ſpäter
Nacht zurück erwartet; die Stiefmutter aber ſtand nicht in ſo hohem
Anſehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er
erlaubte ſich das Nachteſſen zu umgehen und beſuchte dafür ein Bäcker¬
haus, wo er gerne einzuſprechen pflegte.

Die Stube war halbdunkel, als er ſie betrat. Auf einem Ofen¬
bänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm ſchien; die Wärme des
Ofens ließ ſich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfin¬
den. Hinter dem erhellten Fenſter, das in die Küche ging, bewegte
ſich eine Geſtalt, die er für die Bäckerin hielt. Duſelſt, Beck? ſagte
er, dem Manne im Vorübergehen einen freundſchaftlichen Rippenſtoß
verſetzend; 'n Schoppen Grillengift, Beckin! rief er dann gegen die
Küche gewendet, und ſchlug ein paarmal mit der Fauſt auf den Tiſch.
Dann ſetzte er ſich und ſtützte verdrießlich den Kopf auf die Hand.

Ein Licht wurde gebracht und vor ihn geſtellt, ohne daß er den
Kopf erhob. Gleich darauf ſtellte dieſelbe Hand den begehrten Wein
im Schoppenglaſe vor ihn auf den Tiſch. Ohne aufzuſehen wurde er
doch der Hand gewahr, die mit dem Glaſe vor ſeinen Augen erſchien.
Sie hatte, trotzdem daß ſie nichts weniger als glatt und geſchont aus¬
ſah, etwas Zartes; die wohlgedrechſelten Fingerchen ſchlangen ſich aller¬
liebſt um das Glas, und an die Hand ſchloß ſich ein zierlicher, run¬
der, voller Arm. Ehen wollte er verwundert fragen, wie die beleibte
Bäckersfrau zu ſo anmuthigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes
feines Stimmchen das in den Wirthshäuſern übliche „Wohl bekomm's“
dazu ſprach. Er that die Hand von den Augen, ſah hin, ließ den
Arm auf den Tiſch fallen, hob den Kopf und ſtarrte mit freudigem
Schrecken die Erſcheinung an. Es war Niemand andres als das hübſche
Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei ſeinem unglück¬
lichen Werbungsverſuch begegnet war, und das er ſeitdem nicht aus
dem Sinn verloren hatte.

Ei, ſagte er luſtig, heut' hätt' ich eigentlich einen ſchwarzen Strich
in den Kalender machen ſollen, jetzt mach' ich aber einen rothen da¬
für. — Was iſt denn das, Beckin? rief er der eintretenden Frau
entgegen. Habt Ihr Euch eine Kellnerin aus dem himmliſchen Reich
verſchrieben?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="61"/>
&#x017F;o manche Verlegenheit er&#x017F;äuft oder er&#x017F;t recht groß gezogen hat! Sein<lb/>
Vater war ausgeritten, Och&#x017F;en zu kaufen, und wurde er&#x017F;t in &#x017F;päter<lb/>
Nacht zurück erwartet; die Stiefmutter aber &#x017F;tand nicht in &#x017F;o hohem<lb/>
An&#x017F;ehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er<lb/>
erlaubte &#x017F;ich das Nachte&#x017F;&#x017F;en zu umgehen und be&#x017F;uchte dafür ein Bäcker¬<lb/>
haus, wo er gerne einzu&#x017F;prechen pflegte.</p><lb/>
        <p>Die Stube war halbdunkel, als er &#x017F;ie betrat. Auf einem Ofen¬<lb/>
bänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm &#x017F;chien; die Wärme des<lb/>
Ofens ließ &#x017F;ich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfin¬<lb/>
den. Hinter dem erhellten Fen&#x017F;ter, das in die Küche ging, bewegte<lb/>
&#x017F;ich eine Ge&#x017F;talt, die er für die Bäckerin hielt. Du&#x017F;el&#x017F;t, Beck? &#x017F;agte<lb/>
er, dem Manne im Vorübergehen einen freund&#x017F;chaftlichen Rippen&#x017F;toß<lb/>
ver&#x017F;etzend; 'n Schoppen Grillengift, Beckin! rief er dann gegen die<lb/>
Küche gewendet, und &#x017F;chlug ein paarmal mit der Fau&#x017F;t auf den Ti&#x017F;ch.<lb/>
Dann &#x017F;etzte er &#x017F;ich und &#x017F;tützte verdrießlich den Kopf auf die Hand.</p><lb/>
        <p>Ein Licht wurde gebracht und vor ihn ge&#x017F;tellt, ohne daß er den<lb/>
Kopf erhob. Gleich darauf &#x017F;tellte die&#x017F;elbe Hand den begehrten Wein<lb/>
im Schoppengla&#x017F;e vor ihn auf den Ti&#x017F;ch. Ohne aufzu&#x017F;ehen wurde er<lb/>
doch der Hand gewahr, die mit dem Gla&#x017F;e vor &#x017F;einen Augen er&#x017F;chien.<lb/>
Sie hatte, trotzdem daß &#x017F;ie nichts weniger als glatt und ge&#x017F;chont aus¬<lb/>
&#x017F;ah, etwas Zartes; die wohlgedrech&#x017F;elten Fingerchen &#x017F;chlangen &#x017F;ich aller¬<lb/>
lieb&#x017F;t um das Glas, und an die Hand &#x017F;chloß &#x017F;ich ein zierlicher, run¬<lb/>
der, voller Arm. Ehen wollte er verwundert fragen, wie die beleibte<lb/>
Bäckersfrau zu &#x017F;o anmuthigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes<lb/>
feines Stimmchen das in den Wirthshäu&#x017F;ern übliche &#x201E;Wohl bekomm's&#x201C;<lb/>
dazu &#x017F;prach. Er that die Hand von den Augen, &#x017F;ah hin, ließ den<lb/>
Arm auf den Ti&#x017F;ch fallen, hob den Kopf und &#x017F;tarrte mit freudigem<lb/>
Schrecken die Er&#x017F;cheinung an. Es war Niemand andres als das hüb&#x017F;che<lb/>
Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei &#x017F;einem unglück¬<lb/>
lichen Werbungsver&#x017F;uch begegnet war, und das er &#x017F;eitdem nicht aus<lb/>
dem Sinn verloren hatte.</p><lb/>
        <p>Ei, &#x017F;agte er lu&#x017F;tig, heut' hätt' ich eigentlich einen &#x017F;chwarzen Strich<lb/>
in den Kalender machen &#x017F;ollen, jetzt mach' ich aber einen rothen da¬<lb/>
für. &#x2014; Was i&#x017F;t denn das, Beckin? rief er der eintretenden Frau<lb/>
entgegen. Habt Ihr Euch eine Kellnerin aus dem himmli&#x017F;chen Reich<lb/>
ver&#x017F;chrieben?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0077] ſo manche Verlegenheit erſäuft oder erſt recht groß gezogen hat! Sein Vater war ausgeritten, Ochſen zu kaufen, und wurde erſt in ſpäter Nacht zurück erwartet; die Stiefmutter aber ſtand nicht in ſo hohem Anſehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er erlaubte ſich das Nachteſſen zu umgehen und beſuchte dafür ein Bäcker¬ haus, wo er gerne einzuſprechen pflegte. Die Stube war halbdunkel, als er ſie betrat. Auf einem Ofen¬ bänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm ſchien; die Wärme des Ofens ließ ſich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfin¬ den. Hinter dem erhellten Fenſter, das in die Küche ging, bewegte ſich eine Geſtalt, die er für die Bäckerin hielt. Duſelſt, Beck? ſagte er, dem Manne im Vorübergehen einen freundſchaftlichen Rippenſtoß verſetzend; 'n Schoppen Grillengift, Beckin! rief er dann gegen die Küche gewendet, und ſchlug ein paarmal mit der Fauſt auf den Tiſch. Dann ſetzte er ſich und ſtützte verdrießlich den Kopf auf die Hand. Ein Licht wurde gebracht und vor ihn geſtellt, ohne daß er den Kopf erhob. Gleich darauf ſtellte dieſelbe Hand den begehrten Wein im Schoppenglaſe vor ihn auf den Tiſch. Ohne aufzuſehen wurde er doch der Hand gewahr, die mit dem Glaſe vor ſeinen Augen erſchien. Sie hatte, trotzdem daß ſie nichts weniger als glatt und geſchont aus¬ ſah, etwas Zartes; die wohlgedrechſelten Fingerchen ſchlangen ſich aller¬ liebſt um das Glas, und an die Hand ſchloß ſich ein zierlicher, run¬ der, voller Arm. Ehen wollte er verwundert fragen, wie die beleibte Bäckersfrau zu ſo anmuthigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes feines Stimmchen das in den Wirthshäuſern übliche „Wohl bekomm's“ dazu ſprach. Er that die Hand von den Augen, ſah hin, ließ den Arm auf den Tiſch fallen, hob den Kopf und ſtarrte mit freudigem Schrecken die Erſcheinung an. Es war Niemand andres als das hübſche Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei ſeinem unglück¬ lichen Werbungsverſuch begegnet war, und das er ſeitdem nicht aus dem Sinn verloren hatte. Ei, ſagte er luſtig, heut' hätt' ich eigentlich einen ſchwarzen Strich in den Kalender machen ſollen, jetzt mach' ich aber einen rothen da¬ für. — Was iſt denn das, Beckin? rief er der eintretenden Frau entgegen. Habt Ihr Euch eine Kellnerin aus dem himmliſchen Reich verſchrieben?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/77
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/77>, abgerufen am 27.11.2024.