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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Bäffchen oder Ueberschlägchen, wie man dieses geistliche Würdezeichen
in Süddeutschland heißt, begleiteten ihre Unterredung, indem sie, beim
Sprechen von den Halsmuskeln in Bewegung gesetzt, taktmäßig über
der Brust auf und nieder klappten. Arglos überschritten die Pastoren
die verhängnißvolle Staffel, die, wenn Gedanke und That Ein Ding
wären, ihnen ein Stein des Anstoßes und gewiß auch nicht geringen Aerger¬
nisses geworden sein würde. Dem Chirurgus hatte es sein guter
Geist eingegeben, daß er die Nachhut bildete, und so gelangte auch
er wohlbehalten unter den Fittigen der geistlichen Macht herauf. Die
Herren verfügten sich in ihr besonderes Cabinet. Die übrigen Mit¬
glieder der Gesellschaft ließen nun auch nicht länger auf sich warten;
als die Allerletzten kamen, um keine unschickliche Eile zu beweisen, der
Pfarrer und, Saul unter den Propheten, der Amtmann des Orts.
Mittlerweile fanden die dampfenden Schüsseln ihren Weg aus der
Küche in's Cabinet. Die Sonnenwirthin und Magdalene trugen sie.
Letztere hatte, als einen schwachen Versuch sich mit Krankheit zu ent¬
schuldigen, ein Tuch um den Kopf gebunden, das ihr aber noch un¬
terwegs von der sorgsamen Mutter abgerissen wurde. Morgen kannst
Kopfweh haben, so viel du willst, sagte sie, aber heut darfst nicht
wehleidig sein. Der Sonnenwirth begnügte sich, die Herren zu em¬
pfangen, in's Cabinet hinein zu complimentiren, und von Zeit zu Zeit
nachzusehen, ob nichts fehle. Der Chirurgus durfte die Flaschen auf¬
tragen helfen, was dem Amtmann und dem Pfarrer Anlaß gab, ein
wenig zu sticheln. Nachher hatte er die Ehre, einem von den Herren
Schnupftabak zu besorgen, und zuletzt, als man nichts mehr von ihm
wollte, zog er sich mit einer feinen Wendung zurück. Mit dem Haupt¬
auftritt mußte man natürlich warten, bis die Herren ihre nächste
Aufgabe, nämlich die theils gebackenen, theils blau abgesottenen Forellen
vom Tische verschwinden zu machen, bereinigt haben würden.

Friedrich war mit der Aufwartung im gewöhnlichen Wirthszimmer
bei den Fuhrleuten betraut worden, erhielt aber nach einiger Zeit
durch Vermittlung seiner Mutter, die ihm doch nicht recht traute,
vom Vater den Befehl, in den Stall zu gehen und die Pferde zu
füttern. Die unschuldigen Thiere mußten sich dabei manchen Puff
gefallen lassen. Als er wieder herauf kam, sah er, was ihm sein
Verstand schon gestern Abend hätte voraussagen können, seine Schwester

Bäffchen oder Ueberſchlägchen, wie man dieſes geiſtliche Würdezeichen
in Süddeutſchland heißt, begleiteten ihre Unterredung, indem ſie, beim
Sprechen von den Halsmuskeln in Bewegung geſetzt, taktmäßig über
der Bruſt auf und nieder klappten. Arglos überſchritten die Paſtoren
die verhängnißvolle Staffel, die, wenn Gedanke und That Ein Ding
wären, ihnen ein Stein des Anſtoßes und gewiß auch nicht geringen Aerger¬
niſſes geworden ſein würde. Dem Chirurgus hatte es ſein guter
Geiſt eingegeben, daß er die Nachhut bildete, und ſo gelangte auch
er wohlbehalten unter den Fittigen der geiſtlichen Macht herauf. Die
Herren verfügten ſich in ihr beſonderes Cabinet. Die übrigen Mit¬
glieder der Geſellſchaft ließen nun auch nicht länger auf ſich warten;
als die Allerletzten kamen, um keine unſchickliche Eile zu beweiſen, der
Pfarrer und, Saul unter den Propheten, der Amtmann des Orts.
Mittlerweile fanden die dampfenden Schüſſeln ihren Weg aus der
Küche in's Cabinet. Die Sonnenwirthin und Magdalene trugen ſie.
Letztere hatte, als einen ſchwachen Verſuch ſich mit Krankheit zu ent¬
ſchuldigen, ein Tuch um den Kopf gebunden, das ihr aber noch un¬
terwegs von der ſorgſamen Mutter abgeriſſen wurde. Morgen kannſt
Kopfweh haben, ſo viel du willſt, ſagte ſie, aber heut darfſt nicht
wehleidig ſein. Der Sonnenwirth begnügte ſich, die Herren zu em¬
pfangen, in's Cabinet hinein zu complimentiren, und von Zeit zu Zeit
nachzuſehen, ob nichts fehle. Der Chirurgus durfte die Flaſchen auf¬
tragen helfen, was dem Amtmann und dem Pfarrer Anlaß gab, ein
wenig zu ſticheln. Nachher hatte er die Ehre, einem von den Herren
Schnupftabak zu beſorgen, und zuletzt, als man nichts mehr von ihm
wollte, zog er ſich mit einer feinen Wendung zurück. Mit dem Haupt¬
auftritt mußte man natürlich warten, bis die Herren ihre nächſte
Aufgabe, nämlich die theils gebackenen, theils blau abgeſottenen Forellen
vom Tiſche verſchwinden zu machen, bereinigt haben würden.

Friedrich war mit der Aufwartung im gewöhnlichen Wirthszimmer
bei den Fuhrleuten betraut worden, erhielt aber nach einiger Zeit
durch Vermittlung ſeiner Mutter, die ihm doch nicht recht traute,
vom Vater den Befehl, in den Stall zu gehen und die Pferde zu
füttern. Die unſchuldigen Thiere mußten ſich dabei manchen Puff
gefallen laſſen. Als er wieder herauf kam, ſah er, was ihm ſein
Verſtand ſchon geſtern Abend hätte vorausſagen können, ſeine Schweſter

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[54/0070] Bäffchen oder Ueberſchlägchen, wie man dieſes geiſtliche Würdezeichen in Süddeutſchland heißt, begleiteten ihre Unterredung, indem ſie, beim Sprechen von den Halsmuskeln in Bewegung geſetzt, taktmäßig über der Bruſt auf und nieder klappten. Arglos überſchritten die Paſtoren die verhängnißvolle Staffel, die, wenn Gedanke und That Ein Ding wären, ihnen ein Stein des Anſtoßes und gewiß auch nicht geringen Aerger¬ niſſes geworden ſein würde. Dem Chirurgus hatte es ſein guter Geiſt eingegeben, daß er die Nachhut bildete, und ſo gelangte auch er wohlbehalten unter den Fittigen der geiſtlichen Macht herauf. Die Herren verfügten ſich in ihr beſonderes Cabinet. Die übrigen Mit¬ glieder der Geſellſchaft ließen nun auch nicht länger auf ſich warten; als die Allerletzten kamen, um keine unſchickliche Eile zu beweiſen, der Pfarrer und, Saul unter den Propheten, der Amtmann des Orts. Mittlerweile fanden die dampfenden Schüſſeln ihren Weg aus der Küche in's Cabinet. Die Sonnenwirthin und Magdalene trugen ſie. Letztere hatte, als einen ſchwachen Verſuch ſich mit Krankheit zu ent¬ ſchuldigen, ein Tuch um den Kopf gebunden, das ihr aber noch un¬ terwegs von der ſorgſamen Mutter abgeriſſen wurde. Morgen kannſt Kopfweh haben, ſo viel du willſt, ſagte ſie, aber heut darfſt nicht wehleidig ſein. Der Sonnenwirth begnügte ſich, die Herren zu em¬ pfangen, in's Cabinet hinein zu complimentiren, und von Zeit zu Zeit nachzuſehen, ob nichts fehle. Der Chirurgus durfte die Flaſchen auf¬ tragen helfen, was dem Amtmann und dem Pfarrer Anlaß gab, ein wenig zu ſticheln. Nachher hatte er die Ehre, einem von den Herren Schnupftabak zu beſorgen, und zuletzt, als man nichts mehr von ihm wollte, zog er ſich mit einer feinen Wendung zurück. Mit dem Haupt¬ auftritt mußte man natürlich warten, bis die Herren ihre nächſte Aufgabe, nämlich die theils gebackenen, theils blau abgeſottenen Forellen vom Tiſche verſchwinden zu machen, bereinigt haben würden. Friedrich war mit der Aufwartung im gewöhnlichen Wirthszimmer bei den Fuhrleuten betraut worden, erhielt aber nach einiger Zeit durch Vermittlung ſeiner Mutter, die ihm doch nicht recht traute, vom Vater den Befehl, in den Stall zu gehen und die Pferde zu füttern. Die unſchuldigen Thiere mußten ſich dabei manchen Puff gefallen laſſen. Als er wieder herauf kam, ſah er, was ihm ſein Verſtand ſchon geſtern Abend hätte vorausſagen können, ſeine Schweſter

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/70>, abgerufen am 27.11.2024.