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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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daß dieser Blick ihm gegolten habe. Jetzt erst blieb er stehen und
sah ihr nach. Sie war schon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe
flogen lustig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, sagte
er: ist's vielleicht eine Fremde? Sie trägt sich übrigens ganz Ebers¬
bachisch. Aber das ist ein blitznett's Schelmengesicht! -- Er wäre
ihr gerne nachgegangen, aber er scheute die Mühle. Auch fiel ihm
nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hause
getrieben hatte. Er wandte sich, durchmaß einige Gäßchen, ging
weiter oben über das Wasser zurück, und kam unverrichteter Dinge
nach Hause, wo ihm ein vielsagender Duft aus der Küche entgegen¬
strömte.

Nach dem Essen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit
seiner Schwester allein zu sein, fragte er sie: Ist dir's noch wie
gestern ?

Magdalene versuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬
lingen. Ich thu's eben nicht! flüsterte sie, indem sie in der gestrigen
Haltung auf den Boden stampfte; aber ihre Stimme klang wie eine
ohnmächtige Einsprache gegen das Schicksal und über ihre Augen flog
ein Nebel hin. Die Geschwister hörten des Vaters Tritt; da stoben
sie auseinander.

Friedrich's Beklemmung stieg immer höher. Der Geist der Ge¬
waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch
das Haus und suchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann stieg
er auf den Boden, um Erbsen zu holen. Er wollte dem Chirurgus
einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn sie mich auch wieder
nach Ludwigsburg schicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit
seinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geistlichen
Herren, die heute ihr "Kränzchen" in der Sonne hatten, mit nächstem
anrücken würden, und er entsagte seinem Attentat. Vor der Klerisei
hatte er einen wohlbegründeten Respekt. Denn, dachte er in seiner
rohen Weise, statt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den
Pfarrern abe hageln, und das thät' mir schlimmer gedeihen, als wenn
ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt'
ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, so erschienen die Er¬
sten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitschößigen schwarzen
Röcken umrauscht, stiegen sie ernsthaft die Treppe empor, und ihre weißen

daß dieſer Blick ihm gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und
ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe
flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, ſagte
er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬
bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! — Er wäre
ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm
nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe
getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging
weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge
nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬
ſtrömte.

Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit
ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie
geſtern ?

Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬
lingen. Ich thu's eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen
Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine
ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog
ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben
ſie auseinander.

Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬
waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch
das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg
er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus
einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder
nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit
ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen
Herren, die heute ihr „Kränzchen“ in der Sonne hatten, mit nächſtem
anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei
hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner
rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den
Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn
ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt'
ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬
ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen
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[53/0069] daß dieſer Blick ihm gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, ſagte er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬ bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! — Er wäre ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬ ſtrömte. Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie geſtern ? Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬ lingen. Ich thu's eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben ſie auseinander. Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬ waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen Herren, die heute ihr „Kränzchen“ in der Sonne hatten, mit nächſtem anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt' ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬ ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen Röcken umrauſcht, ſtiegen ſie ernſthaft die Treppe empor, und ihre weißen

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/69>, abgerufen am 27.11.2024.