Friedrich schlug die Augen nieder und wühlte mit dem Fuß im Sägmehl, das am Boden lag. Ist denn das Bauwesen so nöthig? fuhr er endlich in seiner Verlegenheit heraus.
Justement so nöthig, als dein Geschwätz unnöthig ist, war die Antwort.
O ich will nicht lang mit dir ränkeln, du zuckerig's Bürschle du. Bau du mein'twegen so hoch wie der babylonisch' Thurn gewesen ist.
Dieses brummend nahm er einen verdeckten Rückzug, das heißt, er setzte den eingeschlagenen Weg an der Mühle vorüber fort, um in einem weiten Bogen wieder nach Hause zu kommen.
Der junge Müller sah ihm verwundert und ärgerlich nach. Ich glaub', der hat Maulaffen feil, brummte er, indem er wieder zur Säge griff.
Die Katz' maust links, die Katz' maust links! sagte Friedrich zu sich, mit bedenklichem Gesichte seine Schritte fördernd. Ich wollt' nur, daß der Tag im Kalender durchgestrichen wär'.
Von Noth und Eifer getrieben rannte er dahin, obgleich er eigent¬ lich nicht wußte, warum er zu eilen habe; es war eine Aufregung in ihm, die seinem Gesicht in diesem Augenblick ein besonders kräfti¬ ges Aussehen gab. Die Leute, die auf der Straße oder an den Fenstern waren, mußten ihn unwillkürlich mit Wohlgefallen betrachten, und ein Mädchen, das ihm begegnete, grüßte ihn auf eine Weise, die trotz seiner gedankenvollen Selbstvergessenheit nicht unbemerkt von ihm blieb. Es war ein schlankes Mädchen mit gelben Zöpfen, noch sehr jung und von auffallend hellen Gesichtszügen; in ihren Mienen lag eine eigenthümliche Mischung von Zutraulichkeit und Unschuld. Sie grüßte ihn mit dem gebräuchlichen Bauerngruße, das heißt, sie "wünschte ihm die Zeit", aber mit einem Blicke, der, so schnell und schüchtern er vorüberglitt, eine Freundlichkeit, eine gewisse Theilnahme und Hingebung aussprach, die nur in einem Blicke so ausgesprochen und eben deßhalb nicht weiter beschrieben werden kann. Genug, ihm war als hätte sich das junge Mädchen mit diesem Blicke ganz und voll und warm in seine Arme gelegt, und er, für einen solchen Ein¬ druck nichts weniger als unempfänglich, fühlte sich hingerissen, obgleich er sich erst einige Secunden nach der Begegnung bewußt ward, daß er gegrüßt worden sei, daß er einen Blick dabei wahrgenommen, und
Friedrich ſchlug die Augen nieder und wühlte mit dem Fuß im Sägmehl, das am Boden lag. Iſt denn das Bauweſen ſo nöthig? fuhr er endlich in ſeiner Verlegenheit heraus.
Juſtement ſo nöthig, als dein Geſchwätz unnöthig iſt, war die Antwort.
O ich will nicht lang mit dir ränkeln, du zuckerig's Bürſchle du. Bau du mein'twegen ſo hoch wie der babyloniſch' Thurn geweſen iſt.
Dieſes brummend nahm er einen verdeckten Rückzug, das heißt, er ſetzte den eingeſchlagenen Weg an der Mühle vorüber fort, um in einem weiten Bogen wieder nach Hauſe zu kommen.
Der junge Müller ſah ihm verwundert und ärgerlich nach. Ich glaub', der hat Maulaffen feil, brummte er, indem er wieder zur Säge griff.
Die Katz' maust links, die Katz' maust links! ſagte Friedrich zu ſich, mit bedenklichem Geſichte ſeine Schritte fördernd. Ich wollt' nur, daß der Tag im Kalender durchgeſtrichen wär'.
Von Noth und Eifer getrieben rannte er dahin, obgleich er eigent¬ lich nicht wußte, warum er zu eilen habe; es war eine Aufregung in ihm, die ſeinem Geſicht in dieſem Augenblick ein beſonders kräfti¬ ges Ausſehen gab. Die Leute, die auf der Straße oder an den Fenſtern waren, mußten ihn unwillkürlich mit Wohlgefallen betrachten, und ein Mädchen, das ihm begegnete, grüßte ihn auf eine Weiſe, die trotz ſeiner gedankenvollen Selbſtvergeſſenheit nicht unbemerkt von ihm blieb. Es war ein ſchlankes Mädchen mit gelben Zöpfen, noch ſehr jung und von auffallend hellen Geſichtszügen; in ihren Mienen lag eine eigenthümliche Miſchung von Zutraulichkeit und Unſchuld. Sie grüßte ihn mit dem gebräuchlichen Bauerngruße, das heißt, ſie „wünſchte ihm die Zeit“, aber mit einem Blicke, der, ſo ſchnell und ſchüchtern er vorüberglitt, eine Freundlichkeit, eine gewiſſe Theilnahme und Hingebung ausſprach, die nur in einem Blicke ſo ausgeſprochen und eben deßhalb nicht weiter beſchrieben werden kann. Genug, ihm war als hätte ſich das junge Mädchen mit dieſem Blicke ganz und voll und warm in ſeine Arme gelegt, und er, für einen ſolchen Ein¬ druck nichts weniger als unempfänglich, fühlte ſich hingeriſſen, obgleich er ſich erſt einige Secunden nach der Begegnung bewußt ward, daß er gegrüßt worden ſei, daß er einen Blick dabei wahrgenommen, und
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Friedrich ſchlug die Augen nieder und wühlte mit dem Fuß im
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fuhr er endlich in ſeiner Verlegenheit heraus.
Juſtement ſo nöthig, als dein Geſchwätz unnöthig iſt, war die
Antwort.
O ich will nicht lang mit dir ränkeln, du zuckerig's Bürſchle du.
Bau du mein'twegen ſo hoch wie der babyloniſch' Thurn geweſen iſt.
Dieſes brummend nahm er einen verdeckten Rückzug, das heißt,
er ſetzte den eingeſchlagenen Weg an der Mühle vorüber fort, um in
einem weiten Bogen wieder nach Hauſe zu kommen.
Der junge Müller ſah ihm verwundert und ärgerlich nach. Ich
glaub', der hat Maulaffen feil, brummte er, indem er wieder zur
Säge griff.
Die Katz' maust links, die Katz' maust links! ſagte Friedrich zu
ſich, mit bedenklichem Geſichte ſeine Schritte fördernd. Ich wollt' nur,
daß der Tag im Kalender durchgeſtrichen wär'.
Von Noth und Eifer getrieben rannte er dahin, obgleich er eigent¬
lich nicht wußte, warum er zu eilen habe; es war eine Aufregung
in ihm, die ſeinem Geſicht in dieſem Augenblick ein beſonders kräfti¬
ges Ausſehen gab. Die Leute, die auf der Straße oder an den
Fenſtern waren, mußten ihn unwillkürlich mit Wohlgefallen betrachten,
und ein Mädchen, das ihm begegnete, grüßte ihn auf eine Weiſe,
die trotz ſeiner gedankenvollen Selbſtvergeſſenheit nicht unbemerkt von
ihm blieb. Es war ein ſchlankes Mädchen mit gelben Zöpfen, noch
ſehr jung und von auffallend hellen Geſichtszügen; in ihren Mienen
lag eine eigenthümliche Miſchung von Zutraulichkeit und Unſchuld.
Sie grüßte ihn mit dem gebräuchlichen Bauerngruße, das heißt, ſie
„wünſchte ihm die Zeit“, aber mit einem Blicke, der, ſo ſchnell und
ſchüchtern er vorüberglitt, eine Freundlichkeit, eine gewiſſe Theilnahme
und Hingebung ausſprach, die nur in einem Blicke ſo ausgeſprochen
und eben deßhalb nicht weiter beſchrieben werden kann. Genug, ihm
war als hätte ſich das junge Mädchen mit dieſem Blicke ganz und
voll und warm in ſeine Arme gelegt, und er, für einen ſolchen Ein¬
druck nichts weniger als unempfänglich, fühlte ſich hingeriſſen, obgleich
er ſich erſt einige Secunden nach der Begegnung bewußt ward, daß
er gegrüßt worden ſei, daß er einen Blick dabei wahrgenommen, und
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/68>, abgerufen am 27.11.2024.
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