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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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seine schrecklichen Genossen, die sich täglich auf den Gedanken an ein
solches Ende einübten, verkleidet den Hinrichtungen beiwohnten, einan¬
der den Hergang bei denselben beschrieben und bei ihren Gelagen sich
gegenseitig einen leichten Tod zutranken. Nicht einmal sein Muth
machte ihn zu einer Ausnahme, an der die Abschreckung verloren war,
denn sein Geschichtschreiber sagt ausdrücklich von ihm, bei aller natür¬
lichen Herzhaftigkeit habe er sich durch diese abschreckenden Gewohnheiten
so erschüttert gefühlt, daß er gänzlich unfähig gewesen sei, dieselben
mitzumachen; und man kann überhaupt sagen, daß auch die Feigheit
nicht hinlänglich abschreckend wirkt, denn die Gerichtsverhandlungen zei¬
gen feige Verbrecher genug. So hat also weder sein Verstand noch
die Abschreckung selbst, die bei ihm nicht verloren war, ihn von dem
finstern Pfade abgeschreckt, hat weder seine zwar rohe, aber zur Er¬
kenntniß von Gut und Böse, von Wohl und Uebel völlig genügende
Bildung, noch die vorsorgende Liebe der Gesellschaft ihn vor diesem
fürchterlichen Ende bewahrt. Es gibt keine andere Milderung für
seine Todesart, keine andere Beschwichtigung für das empörte Gemüth,
als sich zu sagen, daß das Jahrhundert seitdem seine Speichen bei¬
nahe völlig umgewälzt hat, daß jene Mittagsstunde, um die er voll¬
endet zu haben hoffte, längst vorüber ist, daß jene arme, kranke Zeit
ein besseres Jahrhundert, reicher an Geist und Herz und Erkenntnissen,
geboren hat. Ja, so Vieles wir an unserer Zeit mit Recht verwerfen,
wir können ihr das Zeugniß nicht versagen, daß ein Mensch wie dieser
besser von ihr durch das Leben getragen worden wäre, daß er keinen
Pfarrer, Amtmann und Vogt getroffen hätte, die seine blühende Ju¬
gend fast gewaltsam unter die Räuber stießen, daß, wenn ihm auch
der Lieblingswunsch seines jungen Herzens versagt geblieben wäre, das
Leben ihm Befriedigung für sein Gemüth, für seinen Geist, für seine
Fähigkeiten nicht so ganz versagt haben würde, wie die dürre Wüste, mit
der ihn seine Zeit umgab. Wohl ist noch eine schwere Arbeit zu vollbrin¬
gen, bis unsre Zeit aus dem dunklen Mutterschoße jenes Jahrhunderts,
worin sie mit ihren Tugenden und Fehlern, mit ihren Wahrheiten und Irr¬
thümern wurzelt, losgerungen ist, und darum kämpfen wir. Aber die
Sonne, wie sie von Osten nach Westen wandelt, sieht das Volk in
der Mitte zwischen Ost und West täglich mehr im stillen Ringen nach
Licht und Recht begriffen, und sie wird die Mühe seiner Geister nicht

ſeine ſchrecklichen Genoſſen, die ſich täglich auf den Gedanken an ein
ſolches Ende einübten, verkleidet den Hinrichtungen beiwohnten, einan¬
der den Hergang bei denſelben beſchrieben und bei ihren Gelagen ſich
gegenſeitig einen leichten Tod zutranken. Nicht einmal ſein Muth
machte ihn zu einer Ausnahme, an der die Abſchreckung verloren war,
denn ſein Geſchichtſchreiber ſagt ausdrücklich von ihm, bei aller natür¬
lichen Herzhaftigkeit habe er ſich durch dieſe abſchreckenden Gewohnheiten
ſo erſchüttert gefühlt, daß er gänzlich unfähig geweſen ſei, dieſelben
mitzumachen; und man kann überhaupt ſagen, daß auch die Feigheit
nicht hinlänglich abſchreckend wirkt, denn die Gerichtsverhandlungen zei¬
gen feige Verbrecher genug. So hat alſo weder ſein Verſtand noch
die Abſchreckung ſelbſt, die bei ihm nicht verloren war, ihn von dem
finſtern Pfade abgeſchreckt, hat weder ſeine zwar rohe, aber zur Er¬
kenntniß von Gut und Böſe, von Wohl und Uebel völlig genügende
Bildung, noch die vorſorgende Liebe der Geſellſchaft ihn vor dieſem
fürchterlichen Ende bewahrt. Es gibt keine andere Milderung für
ſeine Todesart, keine andere Beſchwichtigung für das empörte Gemüth,
als ſich zu ſagen, daß das Jahrhundert ſeitdem ſeine Speichen bei¬
nahe völlig umgewälzt hat, daß jene Mittagsſtunde, um die er voll¬
endet zu haben hoffte, längſt vorüber iſt, daß jene arme, kranke Zeit
ein beſſeres Jahrhundert, reicher an Geiſt und Herz und Erkenntniſſen,
geboren hat. Ja, ſo Vieles wir an unſerer Zeit mit Recht verwerfen,
wir können ihr das Zeugniß nicht verſagen, daß ein Menſch wie dieſer
beſſer von ihr durch das Leben getragen worden wäre, daß er keinen
Pfarrer, Amtmann und Vogt getroffen hätte, die ſeine blühende Ju¬
gend faſt gewaltſam unter die Räuber ſtießen, daß, wenn ihm auch
der Lieblingswunſch ſeines jungen Herzens verſagt geblieben wäre, das
Leben ihm Befriedigung für ſein Gemüth, für ſeinen Geiſt, für ſeine
Fähigkeiten nicht ſo ganz verſagt haben würde, wie die dürre Wüſte, mit
der ihn ſeine Zeit umgab. Wohl iſt noch eine ſchwere Arbeit zu vollbrin¬
gen, bis unſre Zeit aus dem dunklen Mutterſchoße jenes Jahrhunderts,
worin ſie mit ihren Tugenden und Fehlern, mit ihren Wahrheiten und Irr¬
thümern wurzelt, losgerungen iſt, und darum kämpfen wir. Aber die
Sonne, wie ſie von Oſten nach Weſten wandelt, ſieht das Volk in
der Mitte zwiſchen Oſt und Weſt täglich mehr im ſtillen Ringen nach
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[500/0516] ſeine ſchrecklichen Genoſſen, die ſich täglich auf den Gedanken an ein ſolches Ende einübten, verkleidet den Hinrichtungen beiwohnten, einan¬ der den Hergang bei denſelben beſchrieben und bei ihren Gelagen ſich gegenſeitig einen leichten Tod zutranken. Nicht einmal ſein Muth machte ihn zu einer Ausnahme, an der die Abſchreckung verloren war, denn ſein Geſchichtſchreiber ſagt ausdrücklich von ihm, bei aller natür¬ lichen Herzhaftigkeit habe er ſich durch dieſe abſchreckenden Gewohnheiten ſo erſchüttert gefühlt, daß er gänzlich unfähig geweſen ſei, dieſelben mitzumachen; und man kann überhaupt ſagen, daß auch die Feigheit nicht hinlänglich abſchreckend wirkt, denn die Gerichtsverhandlungen zei¬ gen feige Verbrecher genug. So hat alſo weder ſein Verſtand noch die Abſchreckung ſelbſt, die bei ihm nicht verloren war, ihn von dem finſtern Pfade abgeſchreckt, hat weder ſeine zwar rohe, aber zur Er¬ kenntniß von Gut und Böſe, von Wohl und Uebel völlig genügende Bildung, noch die vorſorgende Liebe der Geſellſchaft ihn vor dieſem fürchterlichen Ende bewahrt. Es gibt keine andere Milderung für ſeine Todesart, keine andere Beſchwichtigung für das empörte Gemüth, als ſich zu ſagen, daß das Jahrhundert ſeitdem ſeine Speichen bei¬ nahe völlig umgewälzt hat, daß jene Mittagsſtunde, um die er voll¬ endet zu haben hoffte, längſt vorüber iſt, daß jene arme, kranke Zeit ein beſſeres Jahrhundert, reicher an Geiſt und Herz und Erkenntniſſen, geboren hat. Ja, ſo Vieles wir an unſerer Zeit mit Recht verwerfen, wir können ihr das Zeugniß nicht verſagen, daß ein Menſch wie dieſer beſſer von ihr durch das Leben getragen worden wäre, daß er keinen Pfarrer, Amtmann und Vogt getroffen hätte, die ſeine blühende Ju¬ gend faſt gewaltſam unter die Räuber ſtießen, daß, wenn ihm auch der Lieblingswunſch ſeines jungen Herzens verſagt geblieben wäre, das Leben ihm Befriedigung für ſein Gemüth, für ſeinen Geiſt, für ſeine Fähigkeiten nicht ſo ganz verſagt haben würde, wie die dürre Wüſte, mit der ihn ſeine Zeit umgab. Wohl iſt noch eine ſchwere Arbeit zu vollbrin¬ gen, bis unſre Zeit aus dem dunklen Mutterſchoße jenes Jahrhunderts, worin ſie mit ihren Tugenden und Fehlern, mit ihren Wahrheiten und Irr¬ thümern wurzelt, losgerungen iſt, und darum kämpfen wir. Aber die Sonne, wie ſie von Oſten nach Weſten wandelt, ſieht das Volk in der Mitte zwiſchen Oſt und Weſt täglich mehr im ſtillen Ringen nach Licht und Recht begriffen, und ſie wird die Mühe ſeiner Geiſter nicht

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/516>, abgerufen am 24.11.2024.