halter, mit dem ganzen Gerichte sich erhebend, trat vor und eröffnete ihm das Todesurtheil mit dem Beifügen, daß der Herzog die Be¬ stätigung ertheilt habe, brach den Stab mit den Worten: "Gott sei deiner armen Seele gnädig!" und übergab sodann den armen Sünder dem Regierungsbeamten, der die Vollstreckung zu leiten hatte.
Das Urtheil, das die Juristenfacultät gefunden und der Herzog bestätigt hatte, verhängte über Friedrich Schwan die Todesstrafe in der schwersten Form, welche die Zeit kannte, und ohne alle Milderung. Christine Schettinger wurde zum Strang verurtheilt. Die Magd, ein bitterarmes Geschöpf auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Rangordnung, dessen eigenmächtige Diebstähle sich auf zwei Hemden, einige Tischmesser und Zinnlöffel und eine Semmel beschränkten, und das dem Richter auf die Frage nach Stand und Beschäftigung geantwortet hatte: "Schwefelhölzlen und Tragbäusche machen, und bei Gott und guten Leuten mein Brod ehrlich suchen" -- theilte das Schicksal der Frau. Den Knecht erreichte der Arm des Richters nicht: er war aus dem Vaihinger Gefängniß entflohen. Christine Müller wurde für ihre Theilnahme an einigen Diebstählen, noch mehr aber wegen ihrer Verbindung mit dem Erzbösewicht überhaupt, zur Ausstellung am Hochgerichte und hierauf zu erstehender vierjähriger Zuchthaus¬ strafe verurtheilt. Das Verhältniß beider Weiber zu dem Hauptange¬ klagten wurde im Urtheil ausdrücklich als Unzucht bezeichnet. Ueber das Kind endlich, das Christine Schettinger im Gefängniß geboren, wurde verfügt, daß dasselbe bis zum zuchthausfähigen Alter von neun Jahren, das heißt, wie man es nicht anders deuten kann, bis zur Aufnahme unter die sogenannten freiwilligen Armen, auf öffentliche Kosten untergebracht werden solle.
"Schwan", sagt sein Geschichtschreiber über die Verkündigung im Gefängniß, "hörte mit unveränderter Miene die schrecklichen Worte, keine Thräne entfloß seinen Augen, kein unwilliger Seufzer seinem Munde. Wenn sie meine Beine in tausend Stücke zerstoßen, sagte er, so können sie mich doch nicht von meinem Heiland reißen." Allein diese Ermannung, fügte er hinzu, habe ihn die ganze Anstrengung seiner Kräfte, den ganzen Schwung seiner Seele gekostet, und sobald diese nachließen, sei Furcht an die Stelle des Muthes getreten und er habe sich einige Stunden hernach beklagt, daß sein Tod doch immer
halter, mit dem ganzen Gerichte ſich erhebend, trat vor und eröffnete ihm das Todesurtheil mit dem Beifügen, daß der Herzog die Be¬ ſtätigung ertheilt habe, brach den Stab mit den Worten: „Gott ſei deiner armen Seele gnädig!“ und übergab ſodann den armen Sünder dem Regierungsbeamten, der die Vollſtreckung zu leiten hatte.
Das Urtheil, das die Juriſtenfacultät gefunden und der Herzog beſtätigt hatte, verhängte über Friedrich Schwan die Todesſtrafe in der ſchwerſten Form, welche die Zeit kannte, und ohne alle Milderung. Chriſtine Schettinger wurde zum Strang verurtheilt. Die Magd, ein bitterarmes Geſchöpf auf der unterſten Stufe der geſellſchaftlichen Rangordnung, deſſen eigenmächtige Diebſtähle ſich auf zwei Hemden, einige Tiſchmeſſer und Zinnlöffel und eine Semmel beſchränkten, und das dem Richter auf die Frage nach Stand und Beſchäftigung geantwortet hatte: „Schwefelhölzlen und Tragbäuſche machen, und bei Gott und guten Leuten mein Brod ehrlich ſuchen“ — theilte das Schickſal der Frau. Den Knecht erreichte der Arm des Richters nicht: er war aus dem Vaihinger Gefängniß entflohen. Chriſtine Müller wurde für ihre Theilnahme an einigen Diebſtählen, noch mehr aber wegen ihrer Verbindung mit dem Erzböſewicht überhaupt, zur Ausſtellung am Hochgerichte und hierauf zu erſtehender vierjähriger Zuchthaus¬ ſtrafe verurtheilt. Das Verhältniß beider Weiber zu dem Hauptange¬ klagten wurde im Urtheil ausdrücklich als Unzucht bezeichnet. Ueber das Kind endlich, das Chriſtine Schettinger im Gefängniß geboren, wurde verfügt, daß daſſelbe bis zum zuchthausfähigen Alter von neun Jahren, das heißt, wie man es nicht anders deuten kann, bis zur Aufnahme unter die ſogenannten freiwilligen Armen, auf öffentliche Koſten untergebracht werden ſolle.
„Schwan“, ſagt ſein Geſchichtſchreiber über die Verkündigung im Gefängniß, „hörte mit unveränderter Miene die ſchrecklichen Worte, keine Thräne entfloß ſeinen Augen, kein unwilliger Seufzer ſeinem Munde. Wenn ſie meine Beine in tauſend Stücke zerſtoßen, ſagte er, ſo können ſie mich doch nicht von meinem Heiland reißen.“ Allein dieſe Ermannung, fügte er hinzu, habe ihn die ganze Anſtrengung ſeiner Kräfte, den ganzen Schwung ſeiner Seele gekoſtet, und ſobald dieſe nachließen, ſei Furcht an die Stelle des Muthes getreten und er habe ſich einige Stunden hernach beklagt, daß ſein Tod doch immer
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halter, mit dem ganzen Gerichte ſich erhebend, trat vor und eröffnete
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deiner armen Seele gnädig!“ und übergab ſodann den armen Sünder
dem Regierungsbeamten, der die Vollſtreckung zu leiten hatte.
Das Urtheil, das die Juriſtenfacultät gefunden und der Herzog
beſtätigt hatte, verhängte über Friedrich Schwan die Todesſtrafe in der
ſchwerſten Form, welche die Zeit kannte, und ohne alle Milderung.
Chriſtine Schettinger wurde zum Strang verurtheilt. Die Magd, ein
bitterarmes Geſchöpf auf der unterſten Stufe der geſellſchaftlichen
Rangordnung, deſſen eigenmächtige Diebſtähle ſich auf zwei Hemden,
einige Tiſchmeſſer und Zinnlöffel und eine Semmel beſchränkten,
und das dem Richter auf die Frage nach Stand und Beſchäftigung
geantwortet hatte: „Schwefelhölzlen und Tragbäuſche machen, und bei
Gott und guten Leuten mein Brod ehrlich ſuchen“ — theilte das
Schickſal der Frau. Den Knecht erreichte der Arm des Richters nicht:
er war aus dem Vaihinger Gefängniß entflohen. Chriſtine Müller wurde
für ihre Theilnahme an einigen Diebſtählen, noch mehr aber wegen
ihrer Verbindung mit dem Erzböſewicht überhaupt, zur Ausſtellung
am Hochgerichte und hierauf zu erſtehender vierjähriger Zuchthaus¬
ſtrafe verurtheilt. Das Verhältniß beider Weiber zu dem Hauptange¬
klagten wurde im Urtheil ausdrücklich als Unzucht bezeichnet. Ueber
das Kind endlich, das Chriſtine Schettinger im Gefängniß geboren,
wurde verfügt, daß daſſelbe bis zum zuchthausfähigen Alter von neun
Jahren, das heißt, wie man es nicht anders deuten kann, bis zur
Aufnahme unter die ſogenannten freiwilligen Armen, auf öffentliche
Koſten untergebracht werden ſolle.
„Schwan“, ſagt ſein Geſchichtſchreiber über die Verkündigung im
Gefängniß, „hörte mit unveränderter Miene die ſchrecklichen Worte,
keine Thräne entfloß ſeinen Augen, kein unwilliger Seufzer ſeinem
Munde. Wenn ſie meine Beine in tauſend Stücke zerſtoßen, ſagte er,
ſo können ſie mich doch nicht von meinem Heiland reißen.“ Allein
dieſe Ermannung, fügte er hinzu, habe ihn die ganze Anſtrengung
ſeiner Kräfte, den ganzen Schwung ſeiner Seele gekoſtet, und ſobald
dieſe nachließen, ſei Furcht an die Stelle des Muthes getreten und er
habe ſich einige Stunden hernach beklagt, daß ſein Tod doch immer
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/508>, abgerufen am 23.11.2024.
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